Wer 1.750 Euro hinblättert, bekommt in einer Berliner Klinik den „Premium Check-up“ – mal von Kopf bis Fuß durchchecken lassen. Nette Idee, aber eigentlich hat keiner so richtig was davon. Denn hier läuft etwas gewaltig schief.
Private Check-up-Untersuchungen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit bei Patienten und das Angebot an solchen individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) nimmt zu. Längst haben auch große Klinikkonzerne erkannt, dass sich damit gutes Geld verdienen lässt. Immer mehr verschwimmen dabei die Grenzen zwischen Dienstleistung und ärztlicher Behandlung, zwischen Präventiv- und Wellnessmedizin.
Patienten zahlen viel Geld dafür, sich einmal so richtig von Kopf bis Fuß durchchecken zu lassen. Ihre Gründe dafür sind vielfältig und hängen häufig mit den defizitären Zuständen im Gesundheitswesen zusammen. Manche haben Angst, dass gestresste Hausärzte schwerwiegende Erkrankungen übersehen. Andere möchten sich mit den Untersuchungen selbst etwas gönnen. Viele ausländische Patienten sind schlicht daran gewöhnt, dass die medizinische Versorgung Geld kostet und verstehen auch nicht, welche Leistungen ihnen mit einem Versicherungsstatus als Kassenpatient zustehen oder haben keinen Versicherungsstatus in Deutschland.
Stolze 1.750 Euro kostet der sogenannte „Premium Check-up“ im Helios Prevention Center in Berlin. Doch von Seiten der Anbieter ist für jeden Geldbeutel das passende Produkt dabei: Laborpakete unterschiedlicher Größe, Ultraschalluntersuchungen aller Art, die gegen Aufpreis dazu gekauft werden können. Für wen es ein bisschen mehr sein darf: Manche Praxen bieten gegen das entsprechende Kleingeld sogar Ganzkörper-MRT-Untersuchungen an. Ein wenig erinnert das an den Asia-Imbiss nebenan, wo von Frühlingsrolle bis All-You-Can-Eat alles dabei ist. Doch dort, wie in der Medizin, gilt: Mehr ist nicht immer besser.
Denn die Untersuchung beschwerdefreier Patienten ohne Risikofaktoren mittels Ultraschalls ist zurecht kontrovers diskutiert. Zum einen sind Ultraschalluntersuchungen vom Gerät und Untersucher abhängig. Zum anderen wurde in älteren Studien beschrieben, dass bis zu 50 % der untersuchten Patienten klinisch irrelevante Befunde aufwiesen. Somit birgt ein grundloser Ultraschall die Gefahr einer Überdiagnose, gerade wenn die Prävalenz für eine Erkrankung in einer Kohorte niedrig ist. Gleiches gilt für MRT-Untersuchungen.
Der Begriff Overtesting beschreibt den inadäquaten, übermäßigen Gebrauch von diagnostischen Mitteln, die in der Summe keinen Nutzen bringen oder sogar schädlich sein können, da sie Überdiagnosen hervorbringen können. Diese Überdiagnosen führen zu einem schlechteren Outcome, als wenn die Diagnosen erst gar nicht gestellt worden wären. Psychische Belastung, teure, teils zeitaufwändige Folgeuntersuchungen und unter Umständen unnötige Strahlenexposition sowie im schlimmsten Fall überflüssige invasive Eingriffe oder medikamentöse Therapien können die Folge sein.
Die zu Unrecht verunsicherten Patienten landen wieder im Gesundheitssystem, wo Betroffene selbst, Hausärzte und die Gemeinschaft der Versicherten abfangen müssen, was durch die Check-up-Diagnostik angerührt wurde. Verdienen tun dabei nur die Anbieter am Anfang der Diagnostikkette.
Für einige Krankheitsbilder wie Schilddrüsen-, Mamma- und Prostatakarzinome sind die Effekte des Overtestings in den letzten Jahren vermehrt diskutiert worden und damit mit auch stärker in das Bewusstsein von Ärzten und Patienten gerückt. Orientiert an der US-amerikanischen Initiative „Choosing Wisely“ hat die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin die Initiative „Klug entscheiden“ ins Leben gerufen. In deren Beiträgen heißt es zum Beispiel ausdrücklich, dass bei älteren Menschen nicht grundlos Sonographien der Schilddrüse erfolgen sollten, wie sie in vielen der Check-up-Pakete zu finden sind. Was den Ultraschall des Abdomens angeht, hat sich nur das Screening der über 65-Jährigen auf ein Aortenaneurysma als wirklich vorteilhaft herauskristallisiert und dieses wird ja auch von den Kassen übernommen.
Es wird also Zeit, mit der Einstellung aufzuräumen, dass Ultraschall wegen der fehlenden Strahlenbelastung eine schadlose Untersuchung darstellt, die bedenkenlos durchgeführt werden kann. Dass trotzdem so viele Untersuchungen angeboten werden, hat zweifellos mehr mit finanziellen Fehlanreizen als mit rationalen medizinischen Erwägungen zu tun.
Manche Praxen bieten die Check-up-Untersuchungen an, um die stark budgetierte Kassenmedizin querzufinanzieren, was mehr über die Probleme unseres Gesundheitssystems aussagt, als über die Kollegen. Ein weiteres Motiv, sich zu Überdiagnostik hinreißen zu lassen, mag der Erwartungsdruck von Patienten sein. Dem wird Tür und Tor geöffnet, wenn verschiedene Pakete angeboten werden, aus denen die Patienten selbst die diagnostischen Mittel auswählen, mit denen sie untersucht werden wollen. Schnell kann der Eindruck entstehen, man wolle jemandem eine bestimme Diagnostik nicht gönnen, obwohl er diese doch wünscht und ja schließlich auch dafür bezahlt. Wer Medizin bestellen kann, erwartet auch, dass geliefert wird.
Dabei sollte man als Arzt sein Gewissen nicht damit beruhigen, dass man den Patienten ja etwas Gutes tut, indem man sie von Kopf bis Fuß untersucht und ihnen so ja auch die Sorgen nimmt – eine Rechnung, die nur dann aufgeht, wenn die Untersuchungen wirklich unauffällig bleiben. Gleichzeitig können Check-ups gerade bei mangelnder Aufklärung zu falscher Sicherheit führen. So hörte ich in meiner Tätigkeit als Internistin von Patienten, dass sie noch nie eine Darmspiegelung hatten durchführen lassen, weil sie ja regelmäßig zum Check-up gingen und dort ja immer ein Ultraschall gemacht werde.
Nun kann man argumentieren, dass nicht alles an den Check-ups schlecht ist. Immerhin werden manchmal wirklich relevante Diagnosen aufgedeckt. Oft genug deuten darauf jedoch Risikofaktoren oder Beschwerden hin, die eigentlich in der hausärztlichen Versorgung auffallen müssten. Es sollte nicht so sein, das Patienten für sinnvolle Diagnostik extra Geld bezahlen müssen, obwohl sie versichert sind. Die Ärzte haben während der Check-ups Zeit, eine richtig ausführliche Anamnese zu erheben. Ein Luxus, der vielen Hausärzten nicht vergönnt ist, weil der „sprechenden Medizin“ sowie der körperlichen Untersuchung schlicht und einfach zu wenig Budget eingeräumt wird. Zeit zu haben ist eine Sehnsucht von Ärzten und Patienten und sollte nicht mit Geld erkauft werden müssen, wenn Menschen jeden Monat in die Krankenkassen einzahlen. Die Kasse sieht für die präventivmedizinische Behandlung im Rahmen des Check-up 35 alle drei Jahre ein Budget von gerade einmal 38,02 Euro vor. Was für diesen Betrag alles untersucht und mit dem Patienten durchgegangen werden soll, ist geradezu lächerlich.
Würde mehr Geld für Prävention ausgegeben, könnte auf der anderen Seite viel Geld für die Folgen von Überdiagnostik eingespart werden. Wo Menschen sich mit ihren Ängsten und Nöten gesehen und gehört fühlen – weil der Arzt auch die finanziellen Mittel erhält, um sich wirklich einmal Zeit zu nehmen –, müssen diese Bedürfnisse nicht durch teure und überflüssige Diagnostik im Rahmen privater Check-ups gestillt werden. Natürlich sollen auch Labor und Bildgebung erfolgen. Doch die Diagnostik ist ein scharfes Schwert und dieses sollte durch Menschen geführt werden, die das gelernt haben. Wir sollten unsere Patienten vor Überdiagnostik schützen. Die Indikation für eine Untersuchung zu stellen, ist Teil der ärztlichen Kunst und stellt auch eine Verantwortung dar, die nicht gegen Geld einfach in die Hände der Patienten gelegt werden sollte.
Die Autorin ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
Bildquelle: Freunde des Snacks e.V., unsplash