Kaum sinkt die Körpertemperatur unter 37 Grad, gefriert das Blut – ein wahr gewordener Albtraum für Menschen mit Kälteagglutininkrankheit. Jetzt gibt es erstmals eine Therapie. Wie sie funktioniert, lest ihr hier.
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Sinkt die Außentemperatur unter Körpertemperatur, kommt es bei den Betroffenen mit Kälteagglutininkrankheit zur Verklumpung von Erythrozyten und zur Hämolyse. Die Folgen können Kapillarstörungen und Müdigkeit sein. Bisher existierte keine Therapie gegen diese seltene Krankheit. Nun wurde mit Sutimlimab ein Orphan Drug zugelassen.
Die Kälteagglutininkrankheit (Cold Agglutinin Disease, CAD oder KHK) ist eine seltene Form der autoimmunen hämolytischen Anämie, die durch eine chronische Hämolyse gekennzeichnet ist, die vollständig durch die Aktivierung des klassischen Komplementwegs vermittelt wird. Sie hat eine Prävalenz von 5–20 : 1.000.000 und eine Inzidenz von 0,5–1,9 : 1.000.000 pro Jahr.
Bei den Patienten greift das Immunsystem bei Temperaturen unter 37 °C mit Kälteagglutininen die Erythrozyten an und verursacht dadurch eine Hämolyse. Durch die Degeneration der roten Blutkörperchen kommt es zu einer ausgeprägten Anämie. Die Erkrankung geht mit starker Fatigue und einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse einher. Bei Patienten mit CAD können komplement-vermittelte Symptome auftreten, einschließlich chronischer Hämolyse, die zu Anämie, starker Müdigkeit und Gelbsucht führt.
Patienten mit CAD haben Studien zufolge auch ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien und frühe Sterblichkeit. Wie bei anderen Ursachen von Anämie, leiden Betroffene eher an eingeschränkter Lebensqualität, Depression und Angstzuständen. Trotz fehlender unterstützender Daten und eines ungünstigen Nebenwirkungsprofils wurden bisher Kortikosteroide häufig eingesetzt. Mit Sutimlimab scheint es eine bessere Lösung zu geben: Er ist ein monoklonaler IgG4-Antikörper, der den klassischen Komplementweg hemmt, indem er an die Serinprotease C1s bindet.
Die Hämolyse wird durch IgM-Antikörper verursacht, die in vitro bei niedrigen Temperaturen am aktivsten sind. In vivo binden diese Antikörper Erythrozyten im kühleren peripheren Kreislauf und verursachen eine Agglutination, die bei manchen Patienten zu Akrozyanose oder Raynaud-Phänomen führt. IgM bindet C1q auf der Erythrozytenmembran, aktiviert den klassischen Komplementweg, dissoziiert aber zentral von den Erythrozyten.
Sutimlimab ist der erste humanisierte monoklonale Antikörper seiner Klasse, der auf C1s ausgerichtet ist. Durch die selektive Hemmung des klassischen Komplementwegs an C1s lässt Sutimlimab die Immunfunktionen des Lektins und der alternativen Komplementwege intakt. Vor der Zulassung von Sutimlimab gab es keine zugelassenen Therapien für CAD. Eine unterstützende Behandlung mit Kältevermeidung allein ist oft unzureichend und behandelt nicht die komplement-vermittelten Symptome, da die chronische hämolytische Anämie das ganze Jahr über anhält.
In der zulassungsrelevanten, offenen, einarmigen Phase-III-Studie CARDINAL zeigte Sutimlimab über 26 Wochen eine rasche und anhaltende therapeutische Wirkung bei Patienten mit CAD mit kürzlich erfolgter Bluttransfusion. In der Studie waren die häufigsten Nebenwirkungen, die bei 10 % oder mehr der Patienten auftraten, Atemwegsinfektionen, Virusinfektionen, Durchfall, Dyspepsie, Husten, Arthralgie, Arthritis und periphere Ödeme. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden bei 13 % der Patienten berichtet, die das Präparat erhielten. Diese schwerwiegenden Nebenwirkungen waren Streptokokken-Sepsis und Staphylokokken-Wundinfektion (n = 1), Arthralgie (n = 1) und Atemwegsinfektion (n = 1). Keine der Nebenwirkungen führte in der Studie zum Absetzen von der Therapie.
In der ersten Humanstudie von Jäger et al. stoppte die Blockade von C1s durch Sutimlimab die Hämolyse schnell, korrigierte die Anämie und machte die Notwendigkeit von Transfusionen bei Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit unnötig. Basierend auf diesen Daten wurde Sutimlimab von der FDA der Status einer bahnbrechenden Therapie für die Behandlung dieser Erkrankung zuerkannt. Der Antikörper antagonisiert selektiv eine Serinprotease des Komplementfaktors C1 und verhindert dadurch die Aktivierung des Komplementsystems. Darüber hinaus erlebten die mit Sutimlimab behandelten Patienten bereits in der ersten Woche eine klinisch bedeutsame Verringerung der Müdigkeit.
Eine weitere Studie bestätigt die positiven Ergebnisse. CADENZA war eine 26-wöchige randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studie zur Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit von Sutimlimab. Zweiundvierzig Patienten mit Screening-Hämoglobin ≤ 10 g/dl, erhöhtem Bilirubin und ≥ 1 CAD-Symptom erhielten Sutimlimab oder Placebo. Sutimlimab, aber nicht Placebo, erhöhte den mittleren Hämoglobinwert und die FACIT-Fatigue-Scores zum Zeitpunkt der Behandlungsbewertung signifikant. Sutimlimab normalisierte das mittlere Bilirubin bis Woche 1. Die Verbesserungen korrelierten mit einer nahezu vollständigen Hemmung des klassischen Komplementwegs (2,3 % mittlere Aktivität in Woche 1) und einer C4-Normalisierung. Einundzwanzig (96 %) Sutimlimab-Patienten und 20 (100 %) Placebo-Patienten erlitten ≥ 1 behandlungsbedingtes unerwünschtes Ereignis. Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Rhinitis, Raynaud-Phänomen und Akrozyanose traten unter Sutimlimab häufiger auf als unter Placebo.
Sutimlimab ist also hochwirksam, wirkt viel schneller als die versuchsweise Therapie mit Bendamustin plus Rituximab und ist wenig toxisch. Nachteile von Sutimlimab sind die fehlende Wirkung auf Kreislaufbeschwerden, die wahrscheinliche Notwendigkeit einer unbefristeten Behandlung und die sehr hohen Kosten. Die Pharmazeutische Zeitung bewertet den Arzneistoff als Sprunginnovation – also die höchste Stufe der möglichen Bewertungen.
Bildquelle: Justin Kauffman, unsplash