Herzenswünsche sollte man besser nicht aufschieben, so eine bittere Wahrheit am Lebensende. Der Wünschewagen macht letzte große Träume wahr – eine großartige Leistung palliativer Medizin.
Noch einmal die Heimatstadt besuchen, den Sonnenuntergang am Meer genießen oder an einem entfernten Familienfest teilnehmen: Leider fehlt Menschen am Lebensende dazu oft die Kraft, Angehörigen die Möglichkeit und beiden die finanzielle Freiheit, einen letzten großen Wunsch wahr werden zu lassen. Damit das nicht so bleibt, haben sich kreative Köpfe und großzügige Herzen zusammengetan und den Wünschewagen erfunden.
Das Projekt Wünschewagen wurde im Jahr 2007 von Kees Veldboer in Form der Ambulance Wish Foundation ins Leben gerufen. Als Krankenwagenfahrer in Rotterdam erzählte ihm ein schwerkranker Seemann von dessen Wunsch, noch einmal auf einem Schiff mitsegeln zu können. Dieser Wunsch wurde erfüllt und für den Standort Rhein-Ruhr des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) wurde Veldboer zum Initiator des ersten deutschen Wünschewages. Mittlerweile gibt es bundesweit 24 spezielle Fahrzeuge an 23 Standorten, die Menschen am Ende ihres Lebens noch einmal zu ihrem Traumort bringen.
Organisiert wird der Wünschewagen vom ASB mit Hilfe 1.800 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Sie werden für die Einsätze eigens geschult und kommen vorwiegend aus dem Pflege- und Palliativsektor oder der Notfallrettung. Sie alle haben sich bereiterklärt, Schwerstkranke und ihre Begleitperson kostenfrei zu begleiten und dabei eine adäquate medizinische Versorgung zu gewährleisten. Das Projekt finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Mitarbeiter im Gesundheitswesen sollten es kennen, um es an ihre Patienten und deren Angehörige vermitteln zu können.
Die Fahrzeuge sind eigens umgebaute Krankentransportwägen (KTW) und sind gezielt auf die Bedürfnisse der Fahrgäste abgestimmt. Sie verfügen über spezielle Stoßdämpfer, eine Rundumverglasung und ein stimmiges Konzept aus Licht und Farben. Eine Musikanlage ermöglicht die mitgebrachte Lieblingsmusik, das Sternbild des Großen Wagens ist als Lichtinstallation im Innenraum angedeutet. Über einen Monitor kann die Reise mitverfolgt werden. Für eine Notfallversorgung ist alles an Bord, jedoch versteckt.
„Es handelt sich um spezielle KTWs mit Hoverboard-Luftfederung, eigene Fixierungsvorrichtung für mitgebrachte Rollstühle und medizinische Notfallausrüstung“, erklärt Yannick Kehrer, Projektleiter des Wünschewagen Südbaden.
„Wir sprechen ganz bewusst von Fahrgästen, nicht von Patienten. Bei der Erfüllung des Herzenswunsches, wie etwa kürzlich einem Musicalbesuch, treten wir nach der Ankunft aus dem Blickfeld, damit der Betroffene möglichst alle Begleitumstände vergessen kann“, berichtet Kehrer von einem zurückliegenden Einsatz mit dem Wünschewagen. Wunschanfragen können entweder von Betroffenen selbst oder Angehörigen gestellt werden. Alles, was an einem Tag machbar ist, kann grundsätzlich durchgeführt werden. Bei einer längeren Strecke, wie sie beispielsweise vor einigen Wochen von Mannheim nach Paris stattfand, wird auch die Übernachtung organisiert. Vor Fahrtbeginn wird Rücksprache mit dem behandelnden Arzt bezüglich der Transportfähigkeit gehalten. Bisher sei noch niemand auf einem Transport verstorben, jedoch wenige Tage danach.
Auf die Frage, was das häufigste Wunschziel sei, muss Kehrer nicht lange überlegen: „Tatsächlich noch einmal das Elternhaus besuchen. Und dann das Fußballspiel des Lieblingsvereins oder ein letztes Mal ans Meer.“
Der Zeit mit einem schwerkranken Menschen ist für die Angehörigen eine Gratwanderung zwischen intensiver Zuwendung, mannigfaltiger Organisation und schmerzhaftem Loslassen. Ein Berg an Aufgaben, der kaum zu bewältigen ist. Für die Erfüllung eines Herzenswunsches fehlt es dann oft an Energie, organisatorischen Möglichkeiten oder finanziellen Mitteln. Auch hier greift das Konzept Wünschewagen: „Einmal noch einen Delphin streicheln“, so der Herzenswunsch der 20-jährigen Franziska, die an einem malignen Hirntumor leidet. Den Ausflug mit dem Wünschewagen ins Delphinarium fasst ihre Mutter so zusammen: „Für mich als Mutter ein Traum. […] Gerade für die jetzt kommende schwere Zeit ist dieser Tag ein ganz großes Energiepaket.“
Beim ASB habe man beobachtet, so Kehrer, dass der Einsatz auch die Helfer bereichere. Viele Ehrenamtliche brächten einen entsprechenden persönlichen Hintergrund aus Familie oder Freundeskreis mit, wo sie ähnliche Situationen erlebt haben. Damit würde es für sie zu einer Herzensangelegenheit, Menschen am Lebensende ihre Zeit zu schenken. Unter den ehrenamtlichen Mitarbeitern fallen Sätze wie „Wir möchten ein Tabuthema auf die Straße bringen“ oder „Wir wollen das Thema Sterben mitten in die Gesellschaft holen.“ Es ist auch die Rede von einer sehr vertrauensvollen Aufgabe, denn letzte Wünsche sind äußerst persönlich und privat. Man sehe es als Bereicherung, daran teilhaben zu dürfen.
Am Ende ihres Lebens bedauern Menschen häufig, zu viel gearbeitet und sich zu wenig Freude gegönnt haben. Sich am Lebensende noch einmal einen besonderen Wunsch zu erfüllen, ist ein großartiges Projekt. Aber es sollte auch daran erinnern, sich und anderen bereits viel früher immer wieder Freude zu schenken und die persönlichen Prioritäten neu zu überdenken.
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