Bei leichten Erkältungen wollen viele Patienten „was ohne Chemie“ inhalieren. Was ihr guten Gewissens empfehlen könnt, erfahrt ihr hier.
Die Kundin vor mir fragt: „Geben Sie mir noch Kochsalzlösung mit? Ich will damit inhalieren, das tut mir immer so gut, wenn ich das Gefühl habe, dass ich eine Erkältung bekomme.“ Das sollte kein Problem sein. Ich antworte: „Na klar, mache ich gerne! Welchen Inhalator nutzen Sie denn zuhause? Soll ich Ihnen gleich einen neuen Yearpack mitgeben, oder steht vielleicht auch ein Filterwechsel an?“ Ihre Antwort überrascht: „Nein, nein. Ich mache das immer in einen Pott mit heißem Wasser und inhaliere das dann mit einem Handtuch über dem Kopf. Hat mir mal mein Hausarzt gesagt, das mache ich seither immer so.“
Wieder einmal so ein Moment, in dem ich gerne einmal wüsste, wie man darauf kommt, das zu empfehlen. Isotonische Kochsalzlösung in heißes Wasser einzutropfen, wo sie so weit verdünnt wird, dass sie nicht mehr isotonisch ist. Und dann über dem heißen Wasserdampf inhalieren, obwohl die verdünnten Salze genau dort bleiben, wo man sie hineingetropft hat, nämlich im Pott.
Ich frage die Kundin, ob sie weiß, wie man Meersalz gewinnt. Sie ist etwas verwundert, antwortet aber, dass ihres Wissens das Salzwasser der Sonne ausgesetzt wird und das Meersalz übrigbleibt, wenn das Wasser verdunstet ist. Ich erkläre ihr, dass genau das auch in ihrem Pott mit heißem Wasser passiert. Das Salz ist im Wasser gelöst, das heiße Wasser verdampft, das Salz aber nicht – sonst würde die Salzgewinnung so nicht funktionieren. Sie denkt nach, ist aber nicht ganz überzeugt. Ich frage sie daher, ob sie das Nudelwasser immer wieder nachsalzen muss, wenn es verdampft. Der Groschen ist gefallen. Sie lacht. Das ist tatschlich eine der hartnäckigsten Mythen, mit denen wir in der Apotheke konfrontiert werden.
Wie sinnvoll ist aber eigentlich die Inhalation über dem Pott mit ätherischen Ölen beispielsweise – kann man die empfehlen? Allgemein zählt die Anwendung ätherischer Öle zur Gesunderhaltung zum großen Feld der Phytotherapie. Ihre Inhalation hat eine sehr lange Tradition und wird seit tausenden von Jahren praktiziert. Pflanzen bilden ätherische Öle unter anderem zum Schutz vor Fraßfeinden und gegen den Befall mit Bakterien, Pilzen und Viren. Da liegt es nahe, dass ihr Einsatz auch beim Menschen sinnvoll sein kann, wenn er von Keimen befallen wird. Und tatsächlich haben viele In-vitro-Studien bewiesen, dass ätherische Öle genau das bewirken können. In welchem Maße sie dies vermögen, hängt dabei entscheidend von ihrer Zusammensetzung ab.
Besonders wirksam sind hier ätherische Öle, die einen hohen Anteil an Ketonen, Aldehyden oder Kohlenwasserstoffen aufweisen. Die Mehrkomponentengemische, die meist aus 20–60 verschiedenen Inhaltsstoffen bestehen, haben eine sogenannte Multi-Target-Wirkung an der Bakterienzellmembran. Es ist also kein einzelner Inhaltsstoff für die Wirkung des Öls verantwortlich, sondern die Wirkung scheint hier synergistischer Natur zu sein. Hauptsächlich durchdringen sie die Zellwand der Bakterien und die Cytoplasmamembran, was aufgrund ihrer Lipophilie problemlos möglich ist, zerstören die Struktur ihrer verschiedenen Schichten aus Polysacchariden, Fettsäuren und Phospholipiden und machen sie durchlässig. Bei Bakterien führt eine solche Permeabilisierung zu Ionenverlusten und weiterem Membranabbau.
Für die Wirkung beispielsweise von ätherischem Thymianöl sind vermutlich Thymol und Carvacrol verantwortlich, die ihm eine antiinfektiöse und, vor allem im bronchopulmonalen Bereich, spasmolytische und schmerzlindernde Wirkung verleihen sowie die mukoziliäre Clearance verbessern. Diese Wirkung resultiert vermutlich aus der Förderung der Flimmertätigkeit des Bronchialepithels durch reflektorische Reizung des Nervus vagus über die Magenschleimhaut. Zusätzlich erfolgt nach der Resorption eine direkte Stimulation seröser Drüsenzellen aufgrund der pulmonalen Ausscheidung. Ähnliche Wirkweisen können auch für Eukalyptusöl nachgewiesen werden. Aber kann man diese Informationen aus der oralen Anwendung auch direkt auf die Inhalation, also einen Teilbereich der Aromatherapie, übertragen?
In den Apotheken ist der Trend zur Natürlichkeit längst angekommen, oft fragen Kunden nach einer Möglichkeit, ihre Krankheitssymptome „ohne Chemie“ abzumildern. Der weltweite Marktanteil ätherischer Öle in Therapie und Prophylaxe wird laut einer Studie voraussichtlich bis zum Jahr 2024 etwa 8,2 Milliarden US-Dollar erreichen. Er würde damit jährlich um von 8,4 % anwachsen. Es wird also höchste Zeit, sich mit der Evidenz einer solchen Empfehlung zu befassen.
Trotz der zahlreichen In-vitro-Studien gibt es kaum eindeutige klinische Studien zur Wirksamkeit von Inhalationen bei Erkältungskrankheiten. Es könnte also auch sein, dass es vor allem das subjektive Gefühl ist, das eine Erleichterung bei der Anwendung bringt. Eine Verblindung der Studien ist hier nun mal nicht möglich, daher sind es vor allem Erfahrungen aus traditioneller Anwendung, die zu einer Empfehlung bei akuten Bronchitiden führen. Eine bedenkenlose Empfehlung als Zusatztherapie ist trotzdem nicht immer möglich. Bekannt ist, dass Säuglinge und Kleinkinder wegen des zwar sehr selten vorkommenden, aber potenziell lebensbedrohlichen Kratschmer-Reflexes in Gefahr kommen können. Sie sollten daher weder menthol- noch kampferhaltige Öle zur Inhalation erhalten. Bei Asthmatikern steht der schleimhautreizende Effekt im Vordergrund, von der Inhalation ätherischer Öle ist grundsätzlich abzusehen. Bei Patienten mit Pseudokrupp oder Keuchhusten besteht dagegen die Gefahr einer Bronchokonstriktion, was gegen die Anwendung von Kiefer- oder Fichtennadelöl spricht. Auch das Vorliegen einer COPD oder bronchialer Hyperreaktivität sind Kontraindikationen. All dies sind Fragen, die man im Vorfeld bei der Beratung klären muss, bevor eine unterstützende Anwendung empfohlen werden kann.
„Warum schickt man die Leute dann ans Meer, wenn sie Probleme mit den Bronchien haben? Da ist das Salz doch auch im Wasser gelöst und geht nicht in die Atemluft über“, ist eine weitere häufige Frage, die man aufklären kann. Durch den Wellenschlag und die Brandung wird in diesem Fall eben doch Salz in die Atemluft gebracht, daher hat das Inhalieren von Kochsalzlösung über einen Inhalator auch durchaus einen Sinn. Die Schleimhäute werden befeuchtet – was übrigens auch ein positiver Effekt des reinen Heißwasserinhalierens ist, aber eben bei Weitem nicht so effektiv wie bei einem Vernebler. Die Aerosoltherapie eignet sich ohne Zweifel zur Befeuchtung bei trockenen Nasenschleimhäuten, Erkältungskrankheiten, zur Mukolyse und – wie in diesem Fall – auch zur Prophylaxe von Atemwegserkrankungen
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