Die Augen sind trocken und brennen? Patienten liebäugeln dann gerne mit freiverkäuflichen Tränenersatzmitteln. Doch das kann schnell ins Auge gehen, wie aktuelle Case Reports zeigen.
Zumindest Ärzte und Apotheker haben es durchaus auf dem Schirm, dass auch vermeintlich harmlose OTC-Medikamente gewisse Risiken bergen. Patienten haben hingegen oft wenig Bedenken bei freiverkäuflichen Produkten. Ein Produkt, auf das wohl die allerwenigsten einen Gedanken verschwenden, sind Tränenersatzflüssigkeiten. Diese „künstlichen Tränen“ sind frei in der Apotheke erhältlich und können bei gereizten oder trockenen Augen Linderung verschaffen. Ihre Effektivität wird in Fachkreisen zwar durchaus debattiert, aber Sicherheitsbedenken gibt es bislang wenig. Schäden sind nicht zu erwarten, wenn die Augentropfen nach Belieben von den Patienten angewendet werden – oder?
Ein aktueller Ausbruch eines seltenen, multiresistenten Pseudomonas aeruginosa-Stammes in den USA gibt allerdings Anlass, diese lässige Haltung zu überdenken. Stand 21. März meldet das amerikanische CDC 68 Fälle von schweren P. aeruginosa-Infektionen in 16 Bundesstaaten, die möglicherweise mit der Verwendung solcher künstlicher Tränen in Verbindung stehen. In den meisten Fällen entwickelten die Patienten schwere Keratitiden. 8 dieser Patienten verloren ihre Sehfähigkeit, in vier weiteren Fällen mussten die betroffenen Augen chirurgisch entfernt werden. In 3 Fällen führte die systemische Ausbreitung der Infektion sogar zum Tod. Denn obwohl die Infektionen höchstwahrscheinlich auf die topische Verwendung kontaminierter Augentropfen zurückzuführen waren, konnten die Erreger bei mehreren Patienten auch in Blut-, Stuhl- und Sputumproben nachgewiesen werden.
Die meisten der Betroffenen verwendeten dabei Tränenersatzmittel verschiedener Marken, zum Teil auch parallel. Am allerhäufigsten fand sich allerdings ein Produkt der Firma EzriCare wieder. Dabei handelte es sich um konservierungsmittelfreie Augentropfen mit dem Verdickungsmittel Natrium-Carboxymethylcellulose in einem Mehrdosis-Behälter.
Wie diese Fälle aussehen, demonstriert ein aktueller Fallbericht in JAMA Ophthalmology. M. Shoji, N. Gutkind et al. berichten von einem 72-jährigen Patienten, der sich mit Schmerzen und einer verminderten Sehfähigkeit im rechten Auge vorstellte. Bei der weiteren Untersuchung stellten die behandelnden Ärzte im rechten Auge eine Hyperämie der Bindehaut, ein 6 x 5 mm großes Infiltrat der Kornea mit einem darüberliegenden Epitheldefekt, sowie ein 2 mm großes Hypopyon und einen erhöhten Augeninnendruck von 20 mmHg fest.
Der Patient litt schon länger an koronarer Herzkrankheit, Diabetes und COPD und gab keine vorhergegangenen Operationen oder Traumata am Auge an. Der Patient nutzte zwar Kontaktlinsen, nahm sie aber stets zum Schlafen heraus und gab an, sie nicht übermäßig zu nutzen. Wohl aber benutzte er gegen trockene Augen frei erhältliche Augentropfen der Firma EzriCare.
Seine Ärzte leiteten umgehend eine Behandlung mit topischem Vancomycin, Tobramycin sowie Trimethoprim-Polymyxin-Tropfen einmal stündlich ein. In Kulturen des Infiltrats sowie der Augentropfen des Patienten entdeckten die Ärzte P. aeruginosa. Die Bakterien zeigten ausgeprägte Resistenzen gegen Fluorochinolone, Aminoglycoside und Cephalosporine, weshalb der Patient auf Imipenem-Cilastatin alle 2 Stunden umgestellt wurde. Die stündliche Behandlung mit Trimethoprim-Polymyxin wurde fortgesetzt. Auch wenn sich der Zustand des Patienten nach einem Monat zwar verbesserte, befindet er sich laut Report nach wie vor in Behandlung. Das Hornhautinfiltrat bleibt bestehen, und die Sehkraft des Patienten bleibt eingeschränkt.
Ein zweiter simultan veröffentlichter Case Report von Morelli et al. zeichnet ein ähnliches Bild. Hier stellte sich eine 72-jährige Patientin mit einem P. aeruginosa-positiven Hornhautulcus nach Benutzung von nicht näher benannten OTC-Augentropfen gegen trockene Augen vor. Ihr Fall wurde durch eine Aderhautablösung zusätzlich verkompliziert. Zwei Monate später blieb auch hier die Sicht der Patientin eingeschränkt.
Angesichts dieser Fälle ist es nur sinnvoll, dass FDA und CDC nun vor der weiteren Verwendung des EzriCare-Produktes warnen. Bislang ungeklärt ist aber die große Frage, woher die Kontaminationen stammen – und warum vor allem diese eine Marke betroffen ist. Eine Möglichkeit wäre, dass die Kontamination bereits im Herstellungsprozess auftrat und sich von vornherein in den Produkten befand. Aus diesem Grund warnen die Behörden auch vor der Nutzung von Produkten anderer Marken, die auf den gleichen Hersteller zurückgreifen. Zurzeit wird noch untersucht, ob die P. aeruginosa-Kontaminationen auch in ungeöffneten Flaschen wiederzufinden sind.
Die andere Möglichkeit: Die Produkte wurden erst nach der Öffnung durch die Anwender kontaminiert. Heutzutage verzichten viele Hersteller bei ihren Tränenersatzmitteln auf Konservierungsmittel, da diese bei häufiger und langfristiger Nutzung der Augenoberfläche schaden können. Ohne Konservierungsstoffe lässt sich die Sterilität der Flüssigkeiten zwar durch eine Verpackung in Einzeldosen sicherstellen – der Spaß kostet aber und produziert eine Menge Müll. Dementsprechend gewinnen zunehmend größere Verpackungen an Beliebtheit, die mehrere Dosen in einem Fläschchen enthalten und durch ihr ausgefeiltes Produktdesign die Sterilität des Inhalts über mehrere Monate hinweg bewahren sollen.
Wie der aktuelle Ausbruch, der hauptsächlich solche großen Packungen betrifft, demonstriert, sind sie aber wohl doch nicht so sicher wie erhofft. Denn oft haben Patienten Schwierigkeiten mit der korrekten und hygienisch einwandfreien Applikation, insbesondere wenn ihre motorischen Fähigkeiten im Alter eingeschränkt sind. Da kann es schon einmal vorkommen, dass die Flaschenöffnung Auge, Wimpern oder die Augenlider berührt und so Keime ihren Weg in die Fläschchen finden. Es ist auch nicht hilfreich, dass einige Patienten ihre Augentropfen bedenkenlos mit anderen Personen teilen.
Das ist natürlich soweit nichts Neues: Dass kontaminierte Augentropfen oder auch Kontaktlinsen zu Keratitiden führen können, sollte einleuchten. Allerdings ist dieser P. aeruginosa-Ausbruch das erste Mal, dass das Phänomen in einem solchen Ausmaß bei den vermeintlich harmlosen künstlichen Tränen auftritt. Dementsprechend kommentieren die Ophthalmologinnen Dr. Christina R. Prescott und Dr. Kathryn A. Colby in JAMA Ophthalmology: „Dieser Ausbruch ist eine eindringliche Erinnerung daran, dass alle Augentropfen, einschließlich künstlicher Tränen, Medikamente mit potenziellen unerwünschten Wirkungen sind, am häufigsten am Auge, aber potenziell auch systemisch.“
Ein guter Anlass also, um Patienten und Kunden grundsätzlich an die Kontaminationsgefahr bei Tränenersatzmitteln zu erinnern und sie über die richtige Anwendung aufzuklären. Gerade, wenn es sich um Multidosis-Verpackungen handelt.
Bildquelle: Nora Hutton, Unsplash