Ein Patient kramt in der Praxis einen Zeitungsartikel über die renale Denervation heraus. Damit könne man doch seinen Bluthochdruck ohne Medikamente in den Griff kriegen, meint er. Stimmt’s?
Vor einigen Monaten suchte mich ein 87-jähriger Patient in meiner Sprechstunde auf. Er gab an, Bluthochdruck zu haben und dagegen Amlodipin und Candesartan einzunehmen. Der Hausarzt habe eine Langzeitblutdruckmessung durchgeführt und der Blutdruck sei gut eingestellt. Auch fühle er sich wohl, Schwindel oder Stürze wurden verneint. Er wolle jedoch einfach keine Medikamente nehmen, das habe er sein ganzes Leben lang nie getan. Nun habe er da etwas entdeckt, sein Hausarzt sei jedoch dagegen, weshalb er sich eine zweite Meinung einholen wollte. Er kramte aus einem Rollköfferchen einen Zeitungsartikel über die renale Denervation heraus, dessen Überschrift versprach, dass darin eine wirksame Methode zur Behandlung von Bluthochdruck liege. Doch stimmt diese Verheißung? Kann die renale Denervation es Patienten ermöglichen, normale Blutdrücke zu erreichen, ohne Medikamente einzunehmen?
Bei der renalen Denervation werden sympathische Nervenfasern in den Nierenarterien durchtrennt. Eine gesteigerte Sympathikusaktivität führt an der Niere zu einer erhöhten Reninsekretion, einer Retention von NaCl sowie einer vermehrten Ausschüttung von Noradrenalin. Durch die Denervation können diese Effekte durchbrochen werden – ein Prinzip, das bereits seit rund 70 Jahren bekannt ist. Im Verlauf wurde ein Verfahren zur Denervation mittels Katheters entwickelt. Dabei wird der Katheter über die A. femoralis eingeführt. Anschließend werden punktförmig Verödungen gesetzt.
Die Euphorie war zunächst groß, als in zwei kleinen, nicht verblindet randomisierten Studien 2009/2010 eine gute Wirksamkeit des Verfahrens bei Patienten mit unzureichend kontrollierter resistenter Hypertonie festgestellt wurde. Ein risikoarmes Verfahren zur effektiven Blutdrucksenkung bei diesem Kollektiv schien geboren. Mit großen Erwartungen wurden die Ergebnisse der bis dato ersten randomisierten Studie mit Scheinprozedur – die sogenannte HTN-3-Studie – erwartet. Darin waren 535 Patienten eingeschlossen, die unter resistenter Hypertonie litten und auch über die Studiendauer ihre Medikation weiter einnahmen. Die Enttäuschung war groß, als die Ergebnisse 2014 veröffentlicht wurden und sich keine signifikanten Unterschiede in der Blutdrucksenkung zwischen der Interventions- und der Kontrollgruppe zeigten. Zunächst schien dies das Aus für die Prozedur zu bedeuten.
Wie konnte es sein, dass die Studien zu so diskrepanten Ergebnissen gekommen waren? Möglicherweise trugen eine nicht optimale technische Durchführung der Prozedur, eine unzureichende Vorselektion der Teilnehmer sowie das mangelnde Monitoring der Medikamentenadhärenz zu den enttäuschenden Ergebnissen der HTN-3 Studie bei. Die Technik der renalen Denervation wurde weiterentwickelt und in kleineren Studien erfolgreich eingesetzt. So wurde ein spiralförmigen Multielektrodenkatheter entwickelt, mit dem die Verödungen präziser gelingen. Außerdem konnte auch mit einer anderen Methode der renalen Denervierung mittels Radiofrequenzablation durch Ultraschall der Blutdruck gesenkt werden.
Es folgte die SPYRAL-HTN-ON-MED-Studie, eine randomisierte, einfach verblindete, placebokontrollierte Studie, die Teilnehmer aus 25 Zentren weltweit einschloss. Alle Pateinten litten unter einem therapieresistenten Hypertonus, der sich trotz einer Medikation mit bis zu drei Antihypertensiva nicht auf systolische 24-Stunden-Werte unter 140 mmHg einstellen ließ.
Von 467 Patienten wurden 80 in zwei Gruppen randomisiert und erhielten dann eine renale Radiofrequenz-Denervation (n = 38) oder einen Schein-Eingriff (n = 42). Primärer Endpunkt war der Unterschied im systolischen mittleren 24-Stunden-Blutdruck zwischen beiden Gruppen nach sechs Monaten. Es zeigte sich eine signifikante Absenkung des systolischen (9,3 mmHg in der Interventionsgruppe, 1,6 mmHg in der Kontrollgruppe) sowie diastolischen mittleren 24-Stunden-Blutdrücke (6 mmHg in der Interventionsgruppe versus 1,9 mmHg in der Kontrollgruppe). 2022 konnten die Langzeitergebnisse nach einer Beobachtungszeit von 36 Monaten veröffentlicht werden. Auch hier zeigte sich eine signifikante Senkung des mittleren systolischen und diastolischen Blutdruckes (systolisch um 10 mmHg niedriger in der Gruppe der denervierten Patienten, diastolisch um 5,9 mmHg niedriger). Die Prozedur zeigte in der Folge keine kurz- oder langfristigen Komplikationen.
In der Interventionsgruppe hatten nur 77 % der Patienten ihre Medikamente wie verordnet eingenommen, während es in der Kontrollgruppe 93 % waren. Möglicherweise wäre sonst der Effekt deutlicher gewesen.
Die Denervation kann Patienten nicht die Einnahme von Blutdruckmedikamenten ersparen und kommt nach aktuellem Stand nur bei ausgewählten Patienten mit therapierefraktärem Hypertonus als Add-On zu einer medikamentösen Therapie in Frage. Wichtig ist, dass vorher sekundäre Hypertonieursachen ausgeschlossen werden. Die genaue Selektion der Patienten bleibt den spezialisierten Zentren vorbehalten. So wirkt sie zum Beispiel aus unbekannten Gründen nicht gut bei Patienten, bei denen isoliert die systolischen Blutdruckwerte erhöht sind und hohe Pulswellengeschwindigkeiten vorliegen. Wurde die Ablation durchgeführt, muss die Therapieadhärenz in Bezug auf die Blutdruckmedikation besonders adressiert werden.
Die erreichte Blutdrucksenkung von im Schnitt 10 mmHg klingt nicht nach viel, bedeutet aber eine relativen Risikoreduktion von 27 % für Schlaganfälle, 20 % für kardiovaskuläre Ereignisse, 17 % für KHK, 28 % für Herzinsuffizienz sowie 13 % für Mortalität. Zudem kann die Blutdrucksenkung je nach Patient auch höher ausfallen. Somit sollte man die Behandlungsoption gerade für Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko und unzureichender Blutdruckkontrolle trotz optimaler Therapie im Hinterkopf behalten.
Es bleibt jedoch, dass zunächst alle anderen Möglichkeiten der Blutdrucksenkung ausgeschöpft werden sollten. Dazu gehört auch, die Behandelten zur Medikamenteneinnahme und einem gesundheitsfördernden Lebensstil zu motivieren:
Und was war nun mit unserem 87-jährigen Patienten? Wir schlossen uns der Einschätzung seines Hausarztes an. Froh, dort in guten Händen zu sein, packte er seinen Artikel wieder ein und zog mit seinem Köfferchen von dannen.
Quellen
Hanssen H et al., Personalized exercise prescription in the prevention and treatment of arterial hypertension: a Consensus Document from the European Association of Preventive Cardiology (EAPC) and the ESC Council on Hypertension. Eur J Prev Cardiol, 2021. doi:10.1093/eurjpc/zwaa141.
Deutsche Gesellschaft für Ernährung: Mit Gewichtsabnahme, Ernährung und Bewegung Bluthochdruck senken, 2022. https://www.dge.de/presse/pm/mit-gewichtsabnahme-ernaehrung-und-bewegung-bluthochdruck-senken/.
Berra E et al., Evaluation of Adherence Should Become an Integral Part of Assessment of Patients With Apparently Treatment-Resistant Hypertension. Hypertension, 2016. https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/hypertensionaha.116.07464.
Mahfoud F. et al., Catheter-based renal denervation: the next chapter begins, European Heart Journal, 2018. doi:10.1093/eurheartj/ehy584.
Wenzel U., Die renale Denervierung - eine akademische Spielerei? MMW Fortschr Med. 2020. doi: 10.1007/s15006-020-4358-z.
American College of Cardiology, RADIANCE-HTN TRIO: Renal Denervation Effective, Safe in Treatment-Resistant, 2021. https://www.acc.org/latest-in-cardiology/articles/2021/05/12/19/08/sun-1045am-radiance-htn-trio-acc-2021.
Bildquelle: Meghan Hessler, unsplash