Wissenschaftler haben überprüft, wie sicher eine Langzeitbehandlung mit Methylphenidat bei ADHS ist. Dabei fiel auf, dass ADHS-Medikamente nicht für alle Patienten weltweit gleich gut zugänglich sind. Die WHO könnte dies nun ändern.
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) ist eine neurologische Entwicklungsstörung mit einer weltweiten Prävalenz von ca. 7 % bei Kindern und 2 % bei Erwachsenen. Untherapiert kann die Störung zu emotionalen Problemen, Selbstverletzung, Drogenmissbrauch, schlechten schulischen Leistungen und Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie Kriminalität führen. Eine rechtzeitige Diagnose und angemessene Behandlung von ADHS sind daher von entscheidender Bedeutung.
Methylphenidat ist in vielen Ländern das am häufigsten verschriebene Medikament für die Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Obwohl die kurzfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Methylphenidat schon durch zahlreiche Studien belegt wurde, gibt es nur wenige Daten, die eine langfristigen Verträglichkeit von Methylphenidat belegen. Die WHO lehnte daher die Aufnahme von Methylphenidat in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel bisher ab. Um diese Bedenken auszuräumen, finanzierte die EU das Projekt ADDUCE (Attention Deficit Hyperactivity-Disorder Drugs Use Chronic Effects): eine zweijährige Studie, in der die nachteiligen Auswirkungen von Methylphenidat auf Wachstum und Entwicklung, psychiatrische, neurologische und kardiovaskuläre Erkrankungen untersucht wurden.
Dazu wurden Daten von 1.410 Kindern und Jugendlichen mit ADHS aus 27 europäischen Ländern ausgewertet. Das Projekt lieferte damit erstmals Langzeitdaten zu Methylphenidat. Kinder und Jugendliche, die den Wirkstoff einnahmen, konnten direkt mit ADHS-Patienten verglichen werden, die kein Methylphenidat bekamen. Die Ergebnisse zeigten, dass die langfristige Einnahme von Methylphenidat nicht mit einer Verlangsamung des Wachstums oder mit psychiatrischen oder neurologischen Symptomen verbunden war. Dennoch zeigte sich in der Methylphenidat-Gruppe im Durchschnitt ein leichter Anstieg des systolischen und diastolischen Blutdrucks und der Pulsfrequenz. Diese Erhöhungen werden jedoch nicht als schwerwiegend oder gesundheitsschädlich angesehen. Die Studienautoren zeigten weiterhin, dass die Einnahme von Methylphenidat das Risiko von Suizidversuchen und Vergiftungen insgesamt nicht erhöht.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Langzeitbehandlung mit Methylphenidat über zwei Jahre sicher und gut verträglich ist. Wir haben weiterhin keine Hinweise darauf gefunden, dass eine Langzeitbehandlung mit Methylphenidat zu einer Verringerung des Wachstums führt“, sagt Studienautor Prof. Ian Wong von der Universität Hong-Kong.
Die Wissenschaftler wollten außerdem wissen, ob sich der Medikamentenverbrauch in einkommensstarken Ländern von Ländern mit mittlerem Pro-Kopf-Einkommen unterscheidet und welche Medikamente global verordnet werden. Dazu untersuchten sie anhand von Verkaufsdaten die Verschreibungsmuster von ADHS-Medikamenten in 64 verschiedenen Ländern. Es zeigte sich, dass der multinationale Verbrauch von ADHS-Medikamenten um +9,72 % pro Jahr gestiegen ist. Bei der Analyse nach Einkommensniveau der Länder wurde dieser Anstieg jedoch nur in Ländern mit hohem Einkommen, nicht aber in Ländern mit mittlerem Einkommen beobachtet.
„Zusammen mit anderen Studien, die die Wirksamkeit von Methylphenidat und anderen ADHS-Medikamenten belegen, sind diese Daten ein starkes Argument für die WHO, ihre Entscheidung, Methylphenidat in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel aufzunehmen, zu überdenken“, kommentiert Wong die Ergebnisse. Die Aufnahme sei wichtig, da die Liste die Verfügbarkeit von Medikamenten weltweit bestimme und so die Benachteiligung und der ungedeckte Behandlungsbedarf von ADHS-Patienten in wirtschaftlich schwachen Ländern beseitigt werden könnte, so der Studienautor.
Dieser Text beruht auf einer Pressemitteilung der University of Hong Kong. Hier findet ihr die Originalpublikation.
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