Die telefonische AU ist dahin, die elektronische AU ist da – und ich sehe das mit gemischten Gefühlen. Warum der aktuelle Plan uns Ärzten das Leben nicht leichter machen wird.
Zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) hab ich mich ja schon mehrfach kritisch geäußert (hier und hier). Jetzt kommen neue Aspekte dazu: Die telefonische AU, die zum 31. März ausgelaufen ist, und das Thema der elektronischen Übermittlung an die Krankenkasse – bei der dann auch der Arbeitgeber idealerweise die AU abrufen kann. Dann muss der Arbeitnehmer nicht mehr vorbeikommen, muss nichts mehr verschicken, weniger (physische) Patienten in den Praxen, die Post wird entlastet, alles gut. Stimmt das so? Schauen wir uns die Aspekte mal nacheinander an.
Grundsätzlich fand ich die telefonische AU zu dem Zeitpunkt, als sie eingeführt wurde, eine extrem gute Idee. Viele Covid-positive Patienten konnten so zu Hause bleiben und wir hatten weder für uns noch für andere Patienten das Ansteckungsrisiko. Klar, es ginge auch immer volle Schutzmontur mit Face-Shield und FFP2-Maske, aber natürlich konnte man einfacher und schneller per Telefon die wichtigsten Fragen klären. Und wenn wir unsicher waren, haben wir den Patienten halt doch einbestellt. Was aber ja nicht immer nötig war und damit eine große Entlastung.
Initial konnten wir ja auch andere Patienten telefonisch krankschreiben. Das wurde ehrlich gesagt gar nicht so viel genutzt, wie ich gedacht hätte. Aber es war doch ein Segen, besonders für Krebspatienten oder andere mit stark geschwächtem Immunsystem, um lange Wartezeiten und Kontakt zu möglichen infektiösen Patienten zu vermeiden. Denn speziell mit den langen Inkubationszeiten des Covid-Wildtyps gab es ja häufig das Problem, dass die Leute gerade dann ansteckend waren, wenn sie es noch nicht wussten. Deswegen half die Infektsprechstunde ja auch nur teilweise.
Mit der zuletzt geltenden Regelung, ausschließlich Patienten mit akuten Atemwegsinfekten für 1–2 Wochen krankschreiben zu können, fand ich den Umgang schon etwas schwieriger. Es war zwar einerseits genau umschrieben, unter welchen Umständen wir telefonisch krankschreiben durften, aber die Logik dahinter fand ich manchmal schwierig zu erklären. Wenn ich weiß, dass mein Patient demnächst wieder zur Bestrahlung oder Chemo muss, weiß ich auch, dass er nicht arbeitsfähig ist. Warum darf man diese Patienten dann nicht eben per Telefon krankschreiben, sondern nur denjenigen, der mir was von Hals-, Kopf-, Gliederschmerzen und Schnupfen erzählt, bei dem man aber am Telefon nicht unbedingt was hört? Wofür wird da meine ärztliche Expertise gebraucht? Wäre es da nicht eher die Arbeitsersparnis für die eh schon überlasteten Praxen, von vorneherein die AU-Pflicht erst ab Tag 5 zu machen? Denn ich schreibe den so oder so krank, wenn er von Erkältungssymptomen berichtet. Ohne es nachprüfen zu können (das kann ich auch im persönlichen Kontakt ja nur schwer – wo sieht man Kopf- und Gliederschmerzen oder stattgehabtes Fieber?). Es nimmt aber ärztliche Kapazität, die eh sehr knapp ist.
Um das ganz klar zu sagen: Es gibt für mich Dinge, die ich am Telefon für (fast) nicht beurteilbar halte. Allen voran Bauch-Probleme. Ja, ich hab schon mehrere vermeintliche Magen-Darm-Infekte gesehen, die dann doch z. B. eine Appendizitis oder eine komplizierte Sigmadivertikulitis waren und dann quasi direkt ins Krankenhaus auf den OP-Tisch gegangen sind. Das ist am Telefon kaum bis gar nicht beurteilbar und muss meines Erachtens fast immer gesehen (und angefasst) werden, um das wirklich einschätzen zu können.
Was aber zuletzt dafür gesorgt hat, dass ich die telefonische AU doch etwas kritisch gesehen habe, war die eAU. Denn wir übermitteln ja ganz brav bereits seit letztem Jahr die Daten an die Krankenkasse und ab 1. Januar sollten alle Arbeitgeber die eAU dann dort auch abrufen können. Damit hatte aber der Patient subjektiv keinen Grund mehr, in die Praxis kommen zu müssen. Für ihn war ja alles geregelt – Arbeitgeber und Krankenkasse wussten Bescheid. Aber wir hatten (gerade im ersten Quartal des neuen Jahres) unzählige fehlende Krankenkassenkarten! Und die brauchen wir ja für die Abrechnung.
Unsere Anmeldungs- und Abrechnungs-MFA hat ehrlich gesagt aufgeatmet, als ich meinte, dass die telefonische AU jetzt ausläuft. Denn auf unserer Abrechnungsprüfliste waren Patienten, die sie mehrfach angerufen hatte, um endlich die Karte zu bekommen. Aber da der Leidensdruck für die Patienten weg war, nochmal in die Praxis kommen zu müssen, kamen sie schlichtweg nicht mehr. Gerade die Jüngeren (die Älteren brauchen häufig noch Medikamente, da kann man dann nochmal nachfragen).
Deswegen sehe ich das aktuell mit gemischten Gefühlen. Ich bin ein großer Freund von Arbeitserleichterungen – aber wenn für den Patienten alles mal eben telefonisch zu erledigen ist und wir dadurch mal wieder noch mehr Verwaltungsaufwand haben, ist das nicht im Sinne des Erfinders. Deswegen: Das Grundkonzept der AU bitte so aufstellen, dass alle Beteiligten eine Entlastung haben – Patient, Arbeitgeber, Krankenkasse und auch wir Ärzte!
Bildquelle: Patrick Perkins, unsplash