Frühgeburten zählen zu den häufigsten Todesursachen bei Neugeborenen. Die Gene des ungeborenen Kindes würden daher von einer Verlängerung der Schwangerschaft profitieren – aber die Gene der Mutter lassen das nicht zu.
Je früher die Geburt stattfindet, desto höher ist das Sterberisiko. Neue Erkenntnisse über die genetischen Faktoren, die für Frühgeburten und Schwangerschaftsdauer verantwortlich sind, liegen jetzt vor. Die Ergebnisse einer groß angelegten internationalen Studie unter der Leitung der Universität Göteborg zeigen unter anderem, wie die Gene der Frau und des ungeborenen Kindes vor der Geburt gegensätzliche Auswirkungen haben.
Die Studie bezieht mehr als 20 internationale Geburtskohorten mit insgesamt 279.043 untersuchten Personen ein. Die Ergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht wurden, verbessern das Potenzial für die langfristige Entwicklung von Medikamenten zur Einleitung der Geburt und – was noch wichtiger ist – für die Verhinderung von Frühgeburten.
Der Mensch unterscheidet sich von anderen Säugetieren durch den geringen Spielraum bei der Geburt. Das Becken einer Frau lässt kaum einen ausgewachsenen Fötus hindurch; im Gegensatz dazu hat der Beckengang eines Schimpansenweibchens zum Beispiel einen doppelt so großen Durchmesser wie der ihres Jungen. Der Prozess, der einer menschlichen Geburt vorausgeht, ist also äußerst kritisch – und um die Vorgänge zu verstehen, die den Zeitpunkt des Einsetzens der Wehen bestimmen, müssen die Genetik der Frau und ihres ungeborenen Kindes untersucht werden.
„Die Ergebnisse haben uns geholfen, besser zu verstehen, wie die Wehen eingeleitet werden, sowohl bei Vollgeburten als auch bei vorzeitigen Wehen. In den Stichproben konnten wir zahlreiche bisher unentdeckte genetische Varianten identifizieren, die mit dem Zeitpunkt der Geburt in Verbindung stehen. Diese bieten einen unvergleichlichen Einblick in die zugrunde liegenden biologischen Mechanismen“, so Studienautor Bo Jacobsson, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie.
Um herauszufinden, ob die Schwangerschaftsdauer von den Genen der Frau oder des Fötus bestimmt wird, wurden 136.833 Fälle untersucht. Dabei handelte es sich entweder um die Kombination aus beiden Elternteilen und ihren Nachkommen oder um die Frau und ihre Nachkommen, so dass die Auswirkungen des Genoms der Frau bzw. des Kindes genauer unterschieden werden konnten.
Pol Solé Navais, Erstautor der Studie und Forscher an der Sahlgrenska Akademie der Universität Göteborg, beschreibt, wie die Ergebnisse die Hypothese von genetischen Konflikten zwischen Mutter und Kind unterstützen: „Wir sehen, dass es einen Konflikt zwischen den Genomen der Frau und des ungeborenen Kindes geben könnte, wenn es um die Dauer der Schwangerschaft geht. Genetisch gesehen bevorzugen die Gene der Frau einen früheren Beginn der Wehen, um das Kind zum eigenen Überleben auszutreiben, während die Gene des ungeborenen Kindes eine Verlängerung der Schwangerschaft bevorzugen, um an Gewicht zuzunehmen. Sie schließen also eine Art Kompromiss.“
Langfristig verfolgen die Forscher zwei Ziele: die Entwicklung von Medikamenten, die Frühgeburten verhindern können, und die Abschwächung oder Verstärkung der Wehen während der Geburt. Den Forschern zufolge zeigen ihre Studienergebnisse, dass humangenetische Untersuchungen ein guter Weg sind, um denkbare Angriffspunkte für diese medikamentösen Therapien zu finden.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Schwedischen Forschungsrats – The Swedish Research Council. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Tony Luginsland, unsplash