Wer von einer Krankheit betroffen ist und dazu nichts im Internet findet, nimmt die Sache oft selbst in die Hand: Immer mehr Patienten informieren andere online über Medikamente und Therapien. Warum das gefährlich ist.
Patienten, die auch Social-Media-Influencer sind, geben ihren Followern oft auch Ratschläge zu verschreibungspflichtigen Medikamenten. Dabei haben sie häufig enge Beziehungen zu Pharmaunternehmen, wie eine Studie der University of Colorado Boulder jetzt zeigt. Allerdings hätten Influencer in der Regel gute Absichten. Die Studie, die im Journal of Medical Internet Research veröffentlicht wurde, bietet einen ersten Einblick in die aufkeimende, bisher kaum regulierte Welt der sogenannten Patienten-Influencer.
„Die Quintessenz ist, dass Patienten-Influencer als eine Form der interaktiven DTC-Werbung (Direct-to-Consumer) agieren, indem sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit pharmazeutischen Medikamenten mit Gemeinschaften von Followern teilen, in denen sie großen Einfluss ausüben“, sagt Autorin Erin Willis, außerordentliche Professorin für Werbung, Public Relations und Mediendesign. „Dies wirft ethische Fragen auf, die genauer untersucht werden müssen.“ Die Studie greift damit auch die wachsende Besorgnis angesichts möglicher schädlicher Folgen von Arzneimittelwerbung in sozialen Medien auf.
In den vergangenen Wochen, als eine Reihe von TikTok-Videos und Twitter-Posts die Vorteile des Diabetes-Medikaments Ozempic® (Semaglutid) bei der Gewichtsabnahme anpriesen, sahen sich Patienten, die das Medikament zur Behandlung ihrer Krankheit benötigen, mit weltweiten Engpässen konfrontiert. Bei denjenigen, die das Medikament Off-Label verwenden, um abzunehmen, sind überraschende Nebenwirkungen aufgetreten, darunter heftiger Durchfall und extreme Gesichtsverjüngung. „Das ist ein großartiges Beispiel für die Macht der sozialen Medien und die unbeabsichtigten Folgen“, so Willis.
Die seit ihren Anfängen in den 1980er Jahren umstrittene und bis heute nur in den Vereinigten Staaten und Neuseeland mögliche DTC-Werbung ermöglicht es Arzneimittelherstellern, sich direkt an die Verbraucher zu wenden, anstatt ausschließlich über Ärzte. Etwa die Hälfte der Menschen, die ihren Arzt nach einem Medikament fragen, nachdem sie eine Fernsehwerbung gesehen haben, bekommen es auch. Da das Vertrauen in Pharmaunternehmen und traditionelle Medien schwindet, wenden sich Arzneimittelhersteller nun an echte Patienten als Botschafter.
Willis führte persönliche, einstündige Zoom-Interviews mit Influencern, die an einer Reihe von Krankheiten und gesundheitlichen Problemen leiden, darunter Lupus, Fibromyalgie, Parkinson, Asthma, HIV, Zöliakie, chronische Migräne und Perimenopause. Achtzehn der 26 Befragten arbeiteten in irgendeiner Weise mit einem Pharmaunternehmen zusammen. Die meisten hatten zwischen 1.000 und 40.000 Follower. Die Zusammenarbeit mit solchen Mikro-Influencern ist für Werbetreibende in der Regel kostengünstiger als die mit Prominenten. Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass sie den größten Einfluss auf das Kaufverhalten haben, so Willis. Einige der Befragten haben Pressemitteilungen von Unternehmen direkt gepostet. Andere lasen Studien über Medikamente und präsentierten die Ergebnisse für ihre Follower. Einige wurden dafür bezahlt, Inhalte für Arzneimittelhersteller zu veröffentlichen.
„Sowohl die Gesundheitskompetenz als auch die digitale Kompetenz sind […] besorgniserregend niedrig“, sagt Willis und merkt an, dass Verbraucher oft nicht den Unterschied zwischen einer gesponserten Werbung und einem altruistischen, persönlichen Beitrag erkennen können. „Die Tatsache, dass Patienten ohne medizinische Ausbildung auf breiter Front Informationen über Arzneimittel weitergeben, sollte uns alarmieren.“
Andererseits war Willis von den Gründen beruhigt, warum Teilnehmer Influencer wurden. Fast alle gaben an, dass sie sich zu der Rolle hingezogen fühlten, weil sie das Gefühl hatten, dass die Antworten, die sie selbst als Patienten suchten, auf anderen Kanälen nicht zu finden waren. „Ich habe viel Zeit damit verbracht, nach Diabetes-Informationen zu suchen, die mich als afroamerikanische Frau aus dem Süden der USA betreffen“, berichtete eine Studienteilnehmerin. „Ich habe nicht gefunden, was ich brauchte, also habe ich es erstellt.“ Andere waren motiviert durch den Wunsch, Themen in bestimmten Gemeinschaften zu entstigmatisieren. „Es wird immer noch nicht viel über Latinos und HIV gesprochen“, sagte ein anderer Teilnehmer. „Wenn es Informationen gab, dann waren sie kulturell nicht angemessen.“
Fünf gaben an, dass sie niemals Informationen über Medikamente weitergeben würden, da sie dies für „grenzwertig unethisch“ hielten. Andere sagten, sie würden nur über Medikamente berichten, die sie selbst verschrieben bekommen und eingenommen hätten. Auch ermutigten sie ihre Follower immer, einen Arzt zu konsultieren. Alle sagten, dass sie sich generell bemühen, sich ethisch korrekt zu verhalten. „Es ist beruhigend, dass die von uns befragten Personen im Allgemeinen auf dem neuesten Stand der Wissenschaft bleiben und eine glaubwürdige Quelle sein wollen“, so Willis. „Aber ich weiß auch, dass Ärzte nicht ohne Grund ein Medizinstudium absolvieren.“
Mehrere Influencer berichteten, dass ihre Follower ihnen häufig private Nachrichten schicken, um detaillierte Informationen über Dosierung und Nebenwirkungen zu erhalten. „In einer Online-Community gibt es andere Menschen, die sagen können: ‚Das stimmt nicht‘, oder ‚Das ist nicht das, was ich erlebt habe.‘ Aber in den sozialen Medien findet ein Großteil der Konversation im privaten Rahmen statt“, sagt Willis. Sie befürchtet auch, dass Influencer die Vorzüge von Medikamenten hervorheben, ohne die Nebenwirkungen vollständig offenzulegen.
Ein Beispiel sei ein berühmt-berüchtigte Beitrag von Kim Kardashian aus dem Jahr 2015, in dem sie ihren Millionen Followern auf Instagram ein Medikament namens Diclegis® anpries, das gegen Morgenübelkeit helfen solle. Die US-Arzneimittelbehörde FDA verwies daraufhin auf die lange Liste der Risiken des Medikaments, forderte Kardashian auf, den Beitrag zu entfernen und belegte den Arzneimittelhersteller mit einem Warnschreiben. Die Federal Trade Commission (FTC) verlangt nun von Influencern, dass sie über Hashtags wie #ad oder #sponcon offenlegen, ob sie bezahlt werden und die FDA hat Regeln dafür, was in sozialen Beiträgen gepostet werden darf. Diese Regeln sind jedoch offen für Interpretationen und Videos, verschwundene Inhalte und Direktnachrichten lassen sich nur schwer verfolgen.
Willis räumt ein, dass ihre Stichprobe klein war und dass viele der Befragten von Health Union, einer Firma, die Influencer und Pharma-Frimen verbindet, an sie verwiesen wurden, so dass sie wahrscheinlich eher der verantwortungsbewussten Seite zuzurechnen sind. In künftigen Studien will sie größere Stichproben einbeziehen, untersuchen, wie Influencer Behandlungsentscheidungen beeinflussen und die Vergütung und Vorschriften für Patienten-Influencer untersuchen. Analysten gehen davon aus, dass die Influencer-Marketing-Branche als Ganzes im Jahr 2023 einen Wert von 21,1 Milliarden US-Dollar haben wird. Da Patienten-Influencer zunehmend ihren Platz in dieser Branche finden, sollten die Regulierungsbehörden nach Ansicht von Willis härter daran arbeiten, mit all den neuen Plattformen Schritt zu halten. „Dies geschieht, mit oder ohne Regulierung und die Menschen sollten sich dessen bewusst sein“, sagt Willis.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der University of Colorado Boulder. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Laura Chouette, Unsplash