Eine schlecht heilende oder sogar chronische Wunde, die einfach verschwinden will? Ein leider recht häufiges Problem in vielen verschiedenen Bereichen der Medizin und eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Gefragt sind dann viele Expert:innen aus diversen medizinischen Berufsgruppen, um die bestmögliche Diagnostik und schlussendlich zielführende Therapie leisten zu können. Eine einheitliche Nomenklatur ist da natürlich eine entscheidende Grundlage für die Kommunikation sowie Dokumentation zwischen den Berufsgruppen. Aus diesem Grund hat der Vorstand des Initiative Chronische Wunde (ICW) e. V. die ABCDE-Regeln entwickelt, welche verschiedene Vorgehensweisen für die Diagnostik und Therapie definieren und so einen einheitlichen Standard bieten. Aber erst einmal: Wofür steht denn die ABCDE-Regel?
A wie Anamnese (Anamnesis)B wie Bakterien (Bacteria)C wie klinische Untersuchung (Clinical examination)D wie Durchblutung (Defective vascular system)E wie Extras (Extras)
Gehen wir jetzt also Schritt für Schritt jeden „Buchstaben“ durch.
Der erste Schritt in der Diagnostik lautet immer: Anamnese! Hierbei wird der bzw. die Patient:in nicht nur bezüglich der aktuellen sondern auch vergangenen Wunden befragt. Außerdem sollten Komorbiditäten geklärt werden.
Anamnestische Angabe
Mögliche Wundursache
Auftreten „über Nacht“
Artefizielle Ulzera
Abends „müde und schwere“ Beine
chronische venöse Insuffizienz
Immobilität
Dekubitus
Polyneuropathie, fehlende Schmerzhaftigkeit
Diabetes
Necrobiosis lipoidica
Diabetes mellitus
Zustand nach Knochenmarktransplantation
Graft-versus-Host
Niereninsuffizienz/Dialysepflicht
Kalziphylaxie
Auslandsaufenthalt, z. B. Tropen, östliches Afrika
Leishmaniose
Rezidivierendes Auftreten im Sommer
Livedovaskulopathie
Einnahme von z. B. Hydroxyurea, Phenprocoumon, Sirolimus
Medikamente
Claudicatio intermittens („zeitweises Hinken“)
periphere arterielle Verschlusskrankheit
Beginn als „Insektenstich“, „Abszess“, nach Trauma z. B. Operation
Pyoderma gangraenosum
Insuffizient eingestellter arterieller Hypertonus
Ulcus hypertonicum
Tab. 1: Mögliche Wundursache nach Anamnese.
Bakterien sind selten die alleinige Ursache für eine chronische Wunde. Dennoch: Nicht selten sind Wundheilungsstörungen auf bakterielle Infektionen zurückzuführen. Gibt es einen klinischen Verdacht auf eine Wundinfektion, so sollte vor Durchführung des bakteriologischen Abstriches eine Wundsäuberung stattfinden, um klinisch nicht relevante Kontaminanten zu entfernen. Die Durchführung des bakteriologischen Abstriches entsprechend der Levine-Technik ist im infiziert erscheinenden Areal empfehlenswert. Weitere Hinweise zur praktischen Durchführung der bakteriologischen Wunddiagnostik finden Sie in der Tabelle 3.
Bakterium
Krankheitsbild
Chlamydia trachomatis
Lymphogranuloma venereum
Corynebacterium diphtheriae
Diphterie
Haemophilus ducreyi
Ulcus molle
Klebsiella granulomatis
Granuloma inguinale
Mycobakterien
Buruli-Ulcus, Lupus vulgaris
Treponema pallidum
Lues (maligna)
Tab. 2: Bakterium und dazugehöriges Krankheitsbild der infizierten Wunde.
Bakteriologischer Abstrich OHNE vorherige Wundsäuberung
→ Nachweis/Ausschluss multiresistenter Erreger (Screening)
Bakteriologischer Abstrich MIT vorheriger Wundsäuberung
→ Auffinden kausaler Erreger bei klinisch relevanter Wundinfektion
→ Besiedlung/Infektion mit Hefepilzen
Biopsie für die Erregerdiagnostik
→ Wundinfektion bei tieferen Wunden, diabetischem Fußulcus
→ Fistelgewebe, wenn kein Fistelinhalt gewonnen werden kann
→ Vermutete Erreger: Mykobakterien, Leishmanien, Aktinomyzeten, Nocardien, Schimmelpilzen
→ Wundinfektion ohne Erregernachweis im Abstrich
Tab. 3: Praktische Durchführung der bakteriologischen Wunddiagnostik.
Der Wundrand, Wundumgebung sowie die anatomische Lokalisation der Wunde können wichtige Hinweise auf die zugrundeliegende Ursache liefern.
Lokalisation
Malleolus medialis
Sakral, Fersen
Plantar, Vorfuß, Zehen
Tibia, Fußrücken
Zehen, Vorfuß
Sklerodermie
Fingerkuppen
Thrombangiitis obliterans
Zehen
Dorso-lateraler Unterschenkel
Tab. 4: Typische Lokalisationen chronischer Wunde nach Krankheitsbild.
Pathologische Veränderung
Atrophie blanche
CVI, Livedovaskulopathie, Hydroxyurea
Beinglatze
pAVK, Thrombangiitis obliterans
Ekzem
CVI (Stauungsdermatitis), allergisches/toxisches Kontaktekzem
Hyperkeratose
Polyneuropathie, Plattenepithel-Karzinom
Kühl und atroph
pAVK
Livides Erythem
PG, Vaskulitis, Vaskulopathie, Ulcus hypertonicum, Kalziphylaxie
Sklerose
CVI (Dermatoliposklerose), Sklerodermie, Graft-versus-Host
Tab. 5: Pathologische Veränderung von Wundumgebung und -rand. CVI = chronische venöse Insuffizienz, pAVK = periphere arterielle Verschlusskrankheit, PG = Pyoderma gangraenosum
Das arterielle sowie das venöse Gefäßsystem sollte zur Klärung der Durchblutungssituation untersucht werden (siehe Tab. 6). Darüber hinaus sollte auch immer dopplersonographisch der Knöchel-Arm-Index (KADI) bestimmt werden – ein KADI-Wert von < 0,9 gilt als Beleg für das Vorliegen einer relevanten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Mittels direktionaler Doppler-Sonographie, oder noch besser mittels farbcodierter Duplex-Sonographie der Beinvene, kann die Basisdiagnostik bei Verdacht auf eine chronisch venöse Insuffizienz (CVI) durchgeführt werden. Funktionelle Verfahren wie z.B. Lichtreflexionsrheographie (LRR) können die Venendiagnostik darüber hinaus ergänzen.
Gefäß
Maßnahme
Arterien
Fußpulse tasten, Knöchel-Arm-Druck-Index
Venen
Doppler-, Duplex-Sonographie
Tab. 6: Basisdiagnostik des Gefäßsystems.
Es gibt zahlreiche weiterführende Diagnostikverfahren, die zielgerichtet eingesetzt werden können, sofern die Basisdiagnostik nicht eindeutig zur Genese der Wunde beitragen kann.
Extras
Biopsie
Neoplasie, Vaskulitis, Vaskulopathie, Leishmaniose, Necrobiosis lipoidica
Genetische Analysen
Klinefelter-Syndrom, Faktor-V-Leiden-Mutation
Kapillarmikroskopie
Pathergie-Test
Pyoderma gangraenosum, Morbus Behçet
Polyneuropathie-Diagnostik*
* Berührungssensibilität → 10g Monofilament, Vibrationsempfinden → Stimmgabeltest
Rumpel-Leede Test
Vaskulitis, Gerinnungsstörung
Serologie
Vaskulitis, Kalziphylaxie
Tab. 7: Weiterführende Diagnostik.
Schlussendlich sollen die ABCDE-Regeln eine Unterstützung für die Kommunikation zwischen den verschiedenen medizinischen Fachbereichen sein sowie einen Standard für die Diagnostik bei chronischer Wunden bieten. Wenn Sie mehr über lokale sowie systemische Störfaktoren für die Wundheilung erfahren wollen, dann können Sie sich hier unseren Zweiteiler zu Störfaktoren durchlesen.