Bislang tappt man beim neu auftretenden refraktären Status epilepticus (NORSE) im Dunkeln. Einem Forscherteam gelang es nun, eine mögliche Ursache und Prognosemarker für die seltene Epilepsie zu entschlüsseln.
Ein seltenes, aber beunruhigendes Ereignis im Bereich der Epilepsien ist der neu auftretende refraktäre Status epilepticus (NORSE), eine Form des anhaltenden Anfalls, bei dem die Neuronen des epileptischen Herdes eine kontinuierliche Entladung von Neurotransmittern erleiden. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall, der intensivmedizinisch behandelt werden muss. Er kann erhebliche neurologische Langzeitfolgen verursachen und ist mit einer durchschnittlichen Sterblichkeitsrate von 12 % bei Kindern und 16–27 % bei Erwachsenen verbunden. NORSE kann als Reaktion auf eine Infektion oder eine Tumorentwicklung auftreten. Trotz umfangreicher Untersuchungen bleibt der Ursprung bei der Hälfte der betroffenen Patienten aber unbekannt.
„Derzeit gibt es keinen Konsens über die besten therapeutischen Optionen für die Behandlung der Patienten“, erklärt Vincent Navarro, Leiter des Teams für zelluläre Erregbarkeit und neuronale Netzwerkdynamik am Paris Brain Institute. „Das Verständnis der pathophysiologischen Mechanismen bei NORSE ist entscheidend für ein frühzeitiges Eingreifen mit der geeignetsten Behandlung, in der Hoffnung, neuronale Schäden im Zusammenhang mit dem Status epilepticus zu verhindern. Zurzeit werden die Patienten empirisch mit Immuntherapien behandelt, um die Entzündung zu reduzieren. Diese Empfehlung beruht jedoch nicht auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen.“
Die Identifizierung von Prognosemarkern für die Krankheit erwies sich bislang als schwierig, da NORSE selten und sehr heterogen ist. Um diesen Datenmangel zu beheben, rekrutierten die Forscher des Brain Institutes zusammen mit Forschern der Yale University eine Kohorte von 61 NORSE-Patienten, die in den Vereinigten Staaten, Kanada und im Pariser Krankenhaus La Pitié-Salpêtrière (AP-HP) stationär behandelt wurden. 51 von ihnen hatten kryptogene NORSE, bei denen die Ursache nicht entschlüsselt werden konnte.
Die Forscher bewerteten den klinischen Zustand der Patienten unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der Intensivstation sowie nach 12 Monaten. Dabei untersuchten sie Entzündungsmarker im Blut und im Liquor cerebrospinalis. Die gleichen Daten wurden bei einer Kohorte von 37 Patienten mit Status epilepticus bekannter Ursache und 52 Kontrollpatienten erhoben.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Konzentration mehrerer Zytokine [...] bei Patienten mit Status epilepticus höher war als bei Kontrollpersonen“, erklärt Erstautorin Dr. Aurélie Hanin. „Darüber hinaus war der Anstieg der Zytokine, die mit der angeborenen Immunität zusammenhängen – IL-8, CCL2 und MIP-1α – bei Patienten mit unbekannter Ursache des NORSE mit einer schlechten Kurz- und Langzeitprognose korreliert.“
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Störung der angeborenen Immunität am Ausbruch von NORSE und seinen langfristigen Folgen beteiligt ist. Sie bestätigen auch das Interesse an entzündungshemmenden therapeutischen Strategien.
„Langfristig könnte uns die Quantifizierung und Analyse von Zytokinen bei Ankunft auf der Intensivstation ein besseres Verständnis des Entzündungszustands von NORSE-Patienten ermöglichen und wichtige Informationen für die Wahl spezifischer immunmodulatorischer Behandlungen liefern“, sagt Hanin. „Eine der größten Herausforderungen dieser Studie bestand darin, festzustellen, ob der Anstieg der Zytokine auf langanhaltende epileptische Anfälle zurückzuführen ist oder direkt mit einer spezifischen Immunanomalie bei NORSE zusammenhängt. Jetzt wissen wir, dass die letztere Hypothese wahrscheinlicher ist.“
Weitere Forschungsarbeiten müssen nun bestätigen, ob Zytokine vielversprechende Biomarker für NORSE sind – sowohl für die Feststellung der Diagnose, die Überwachung der Patienten als auch für die Einschätzung der neurologische Erholungsfähigkeit nach der Intensivbehandlung.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Institut du Cerveau (Paris Brain Institute). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Sandra Tan, unsplash