Auf der nächsten Grillparty einfach mal ’ne Grille grillen – so einfach ist es leider nicht. Welche Vorteile der Verzehr krabbeliger Proteinquellen wirklich hat, lest ihr hier.
Insekten in Lebensmitteln sorgen aktuell für einige Aufregung in der Bevölkerung. Weltweit essen laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) derzeit rund zwei Milliarden Menschen regelmäßig Insekten. Hierzulande schwanken Verbraucher zwischen Neugier und Ekel. Um sich ein umfassendes Bild machen zu können, sind ein paar grundlegende Informationen hilfreich. Die Entscheidung für oder gegen den Verzehr von Insekten trifft am Ende jedoch jeder für sich selbst.
Insekten als Lebensmittel sind in der Europäischen Union nicht erst seit diesem Jahr zulässig. Bestandteile von Insekten kommen schon sehr lange in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz. So wird z. B. aus Scharlachschildläusen ein Farbstoff gewonnen, der als rotes Karmin (E 120) etwa in Fruchtgummis enthalten ist. Bunte Schokolinsen werden mit einem Überzug aus Schellack (E 904) versehen, der aus den Ausscheidungen von Lackschildläusen gewonnen wird. Und seit den 1950er Jahren befindet sich ein Wurm in jeder Flasche des mexikanischen Agavenschnapses Mezcal®. Dabei handelt es sich um die Raupe der Agaven-Rotwurm-Motte (Comadia redtenbacheri).
Erzeugnisse, die in der Europäischen Union vor dem 15. Mai 1997 in nicht nennenswertem Umfang als Lebensmittel verwendet worden sind, zählen lebensmittelrechtlich zur Kategorie der neuartigen Lebensmittel (Novel Food). Dafür ist seit dem 1. Januar 2018 eine spezielle Zulassung nötig, bevor sie in Verkehr gebracht werden dürfen. Zu den neuartigen Lebensmitteln zählen Produkte wie Chiasamen, die Früchte des Noni-Baums und Lebensmittel auf Algenbasis. Sie sind im Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission zusammengefasst. Für jedes neuartige Produkt müssen die Hersteller ein umfangreiches wissenschaftliches Dossier einreichen, so auch für Insekten. Die Überprüfung der Zulassungsunterlagen erfolgt durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Einzelheiten des Verfahrens sind in der EU-Verordnung 2015/2283 geregelt.
Derzeit sind in der EU vier Insektenarten als Lebensmittel zugelassen:
Seit dem 24. Januar 2023 dürfen diese Speiseinsekten nun auch in Form von Pulver oder Paste zahlreichen Fertigprodukten wie z. B. Back-, Teig- und Wurstwaren sowie Kartoffel- und Schokoladenerzeugnissen beigemischt werden. Ab sofort ist es also möglich, dass beim Biss in Brot, Kekse, Müsliriegel, Schokolade, Nudeln, Klößen, Pizza, Salami oder Mortadella gemahlene Insekten mit verzehrt werden.
Insektenfarmen gibt es mittlerweile in vielen Ländern, etwa in den Niederlanden und in Spanien – aber auch in Deutschland. Der Großteil der Hersteller aus Europa importiert die Rohware allerdings aus Regionen wie Südostasien oder Kanada. Für Pulver aus der Hausgrille hat das vietnamesische Unternehmen Cricket One Co. Ltd die EU-Zulassung erhalten (Cricket = engl. für Grille). Gleichzeitig wurde dem Hersteller das exklusive Nutzungs- bzw. Vermarktungsrecht für die Dauer von fünf Jahren erteilt. Regelungen zur Einfuhr von Insekten für den menschlichen Verzehr von außerhalb der EU sind in der Novel-Food-Verordnung niedergelegt. Die Herkunft der Insekten muss derzeit jedoch noch nicht auf der Verpackung angegeben werden.
Öffentlich einsehen lassen sich die von Cricket One eingereichten Zulassungsunterlagen jedoch nicht. Damit bleiben Angaben zur Haltung, Fütterung, Hygiene, Verarbeitung, Qualität, Reinheit sowie Verträglichkeit und Sicherheit des Insektenpulvers im Verborgenen. Europäische Hersteller weisen darauf hin, dass die Insekten ohne den Einsatz von Antibiotika, Hormonen oder anderen Chemikalien gezüchtet werden. Diese Angaben lassen sich bisher jedoch nicht unabhängig überprüfen.
Wie das Insektenpulver gewonnen wird, wird von der EU-Kommission nur andeutungsweise beschrieben. Es handele sich um ein teilweise entfettetes Pulver aus ganzen Hausgrillen. Vor der Verarbeitung würde den Grillen 24 Stunden lang jegliches Futter entzogen, damit sie ihren Darminhalt abgeben können. Danach würden sie durch Gefrieren abgetötet und anschließend gewaschen, mit Hitze behandelt, getrocknet und als Ganzes vermahlen. Das so gewonnene Insektenmehl kann den erlaubten Lebensmitteln dann in den erlaubten Höchstmengen beigemischt werden.
Derzeit sind sowohl ganze Speiseinsekten als auch Insektenpulver in Nahrungsmitteln noch absolute Nischenprodukte. Viele Food-Start-Ups haben sich bereits bestimmten Würmern und Larven angenommen und hippe Produkte, wie etwa einen Insektenburger, auf den Markt gebracht. Auch Mehlwürmer sind als frittierte und gewürzte Snacks oder mit feiner Schokolade ummantelt im Handel. In diesen Fällen werden Insekten als Zutat explizit auf der Verpackung ausgelobt und proaktiv als Verkaufsargument genutzt. Insekten sind vereinzelt auch schon als Nudelgerichte in Supermärkten oder Restaurants erhältlich.
Als Proteinlieferanten übertreffen Insekten sowohl Rinder-, Schweine- und Geflügelfleisch als auch Nüsse und sämtliche Hülsenfrüchte, einschließlich der Sojabohne. Der Proteingehalt gefriergetrockneter Insekten ist deutlich höher als der von Fleisch. So haben z. B. Heimchen 68,5 g Eiweiß, 19,2 g Fett, 0,2 g Kohlenhydrate und einen Energiegehalt von 462 kcal (1.945 kJ) pro 100 g. Mageres Rindfleisch hat 21 g Eiweiß, 4 g Fett, keine Kohlenhydrate und nur 106 kcal (444 kJ). Darüber hinaus sind Insekten reich an mehrfach ungesättigten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Neben zahlreichen Mikro- und Makronährstoffen enthält Insektenpulver auch den Ballaststoff Chitin aus den Außenskeletten der Insekten.
Lebensmittelhersteller müssen den tierischen Zusatz, für dessen Beimischung maximal 10 % als Höchstmenge derzeit erlaubt sind, in der Zutatenliste der Umverpackung deklarieren. So dürfen beispielsweise Mehrkornbrot oder -brötchen maximal 2 g Insektenpulver pro 100 g enthalten, Getreideriegel 3 g, Snacks auf Maismehlbasis 4 g und Fleischimitate 5 g. Die Aufschrift auf der Umverpackung könnte z. B. lauten: „teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)“. An Vorgaben für eine rechtlich einheitliche Bezeichnung wird noch gearbeitet.
Als ausdrücklich vegan oder vegetarisch gekennzeichnete Fertigprodukte dürfen kein Insektenpulver enthalten. Ein Problem, das dabei nicht thematisiert wird, ist, dass die Beimischung des Pulvers auch in vielen Produkte zugelassen wurde, die gemeinhin als vegan oder vegetarisch gelten. So gehen die meisten Menschen davon aus, dass Brot und Brötchen, Kekse, Nudeln oder Fleisch-Ersatzprodukte keine Bestandteile getöteter Tiere enthalten. Es ist die Aufgabe der Lebensmittelüberwachungsämter der Bundesländer sicherzustellen, dass die Kennzeichnungsvorschriften, Verwendungsbedingungen und Spezifikationen der Novel-Food-Verordnung eingehalten werden.
Sowohl bei Back- und Teigwaren als auch bei Wurstwaren und Fleischersatzprodukten, denen Insektenpulver zugesetzt wird, handelt es sich normalerweise um stark verarbeitete Fertigprodukte. Aufgrund ihres hohen Verarbeitungsgrads sind sie in die Gruppe 4 der NOVA-Klassifikation einzuordnen. Nahrungsmittel dieser Gruppe setzen sich vorwiegend aus extrahierten, raffinierten und angereicherten Nährstoff-Komponenten zusammen und enthalten darüber hinaus häufig zahlreiche Additive wie z. B. Emulgatoren, Bindemittel und Stabilisatoren, die die Haltbarkeit, den Geschmack und das Aussehen verbessern. Nahrungsmittel dieser Kategorie sind nach übereinstimmender Ansicht zahlreicher medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Fachgesellschaften nicht für den täglichen bzw. ausschließlichen Verzehr geeignet.
Anders verhält es sich hingegen mit dem Verzehr von gekochten, gebratenen oder gegrillten Speiseinsekten als Ganzes. Derartige Nahrungsmittel fallen aufgrund ihres vergleichsweise geringen Verarbeitungsgrades in die Gruppe 1 der NOVA-Klassifikation. Dazu gehören weitgehend naturbelassene Lebensmittel, die durch Erhitzen überhaupt erst genießbar gemacht werden. Insofern sind vollständige Speiseinsekten als ganzheitliche Lebensmittel einzustufen. Für spezifische gesundheitsfördernde Eigenschaften von Speiseinsekten gibt es bisher noch keine Anhaltspunkte.
Wie viele andere Lebensmittel können auch Insekten bzw. Insektenpulver in seltenen Fällen allergische Reaktionen auslösen – etwa bei Menschen, die empfindlich gegenüber dem Verzehr von Garnelen, Schnecken oder Muscheln sind, bzw. sensibel auf Hausstaubmilben reagieren. Verantwortlich wird dafür unter anderem das Chitin aus den Außenskeletten der Insekten gemacht. Der kaum verdauliche Ballaststoff kommt nämlich auch in Schalen- und Weichtieren sowie in Pilzen vor.
Die Beimischung von Insektenpulver zu Lebensmitteln muss derzeit noch nicht durch Fettdruck, Kursiv- oder Großbuchstaben wie andere Allergene im Zutatenverzeichnis hervorgehoben werden. Bislang ist lediglich ein entsprechender Hinweis in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste erforderlich.
Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Zoonosen lässt sich derzeit nur schwer abschätzen. Denn über Krankheiten, die Insekten befallen, ist gegenwärtig noch wenig bekannt. Der Einhaltung strenger Hygienevorschriften bei der Aufzucht und Verarbeitung kommt deshalb eine große Bedeutung zu.
Insekten benötigen weniger Fläche, Wasser und Futter als herkömmliche Nutztiere. Und da ihre Produktion auch weniger Energie verbraucht und geringere Treibhausgas-Emissionen verursacht, gilt ihre Aufzucht auch als umweltfreundlicher. Trotz der wirtschaftlichen und ökologischen Vorteile bleibt jedoch die Grundsatzfrage, ob die Produktion von pflanzlichem Eiweiß nicht geeigneter wäre, um dem Klimawandel sowie dem Hunger auf der Welt entgegenzuwirken. Denn auch für die Insektenzucht gilt die Formel, wonach zwischen 5 bis 10 Kilogramm pflanzliches Eiweiß verfüttert werden müssen, um 1 Kilo tierisches Eiweiß zu gewinnen (trophischer Faktor). Hinzu kommt der ungünstige Umstand, dass sich manche Insekten wie z. B. Heimchen und Mehlkäfer vorzugsweise tierisch ernähren.
Insekten als Lebensmittel sowie Insektenpulver in Fertigprodukten können das hiesige Nahrungsmittelangebot durchaus bereichern und ganz neue Geschmackserlebnisse vermitteln. Um die Verbraucher zu überzeugen, muss die Einhaltung und Überwachung der Vorschriften sichergestellt werden. Dazu sind in erster Linie transparente Richtlinien zur Haltung, Verarbeitung, Kennzeichnung und Sicherheit notwendig. Wünschenswert wären darüber hinaus auch unabhängige Studien zu den gesundheitlichen Aspekten des Insektenverzehrs, zur tatsächlichen Umweltbilanz sowie zum praktizierten Tierschutz. Letztlich wird aber vor allem der Geschmack überzeugen müssen.
Bildquelle: Jeffrey Hamilton, unsplash