Sie sollen Schlafstörungen behandeln, gegen Depression helfen und chronische Schmerzen lindern. Aber sind Gewichtsdecken wirklich so ein Alleskönner – oder steckt dahinter mehr Schein als Sein?
Angststörungen, Depression, Schlaflosigkeit: Die Pandemie hat viele psychische Probleme verschlimmert oder bei vielen Menschen erst ausgelöst. Die WHO verzeichnete allein im ersten Corona-Jahr einen rapiden Anstieg von Depression um bis zu 25 %. Angststörungen sind mittlerweile die häufigste psychische oder neurologische Störung weltweit. Besonders betroffen: junge Menschen und Frauen.
„Die Informationen, die wir jetzt über die Auswirkungen von COVID-19 auf die psychische Gesundheit in der Welt haben, sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, WHO-Generaldirektor. „Dies ist ein Weckruf an alle Länder, der psychischen Gesundheit mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die psychische Gesundheit ihrer Bevölkerung besser zu unterstützen.“ Einfache, schnell wirksame und nebenwirkungsarme Therapieoptionen sind deswegen gefragter denn je.
Eine beliebte Therapie – auch aufgrund ihrer einfachen Anwendung – sind beschwerte Decken. Ihr Gewicht erhalten diese Decken meist durch eingearbeitete Glas- oder Plastikperlen und es gibt sie in unterschiedlichen Gewichtsklassen. Ursprünglich sollten die heute sehr breit eingesetzten Decken für einen besseren Schlaf bei autistischen Kindern sorgen. Das war allerdings nicht von Erfolg gekrönt. So konnte keine Verbesserung des Schlafs im Vergleich mit einer handelsüblichen Decke bei 67 autistischen Kindern festgestellt werden. „Es gab keine Gruppenunterschiede bei anderen objektiven oder subjektiven Messungen des Schlafs, einschließlich Verhaltensergebnissen“, schreiben die Studienautoren. „Bei den subjektiven Präferenzmessungen bevorzugten die Eltern und Kinder aber die beschwerte Decke.“
Weitere Studien kamen zu einem ähnlichen Ergebnis: Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung und/oder ADHS sagen, dass – subjektiv gesehen – die Verwendung einer beschwerten Decke ihren Tagesablauf verbessert, insbesondere Morgens und Abends. Dabei gab es einen signifikanten Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen (68,8 % vs. 45,7 %; p < 0,05). Von den 85 inkludierten Studienteilnehmern gaben 26,5 % an, dass die beschwerte Decke das Aufwachen verbesserte und 16,5 % sagten, die Decke hätte ihre Leistungsfähigkeit verbessert. Insgesamt gaben 59 % der Probanden an, dass die beschwerte Decke ihnen dabei helfen würde, besser einzuschlafen. „Das bestätigt die Ergebnisse anderer Studien, die positive Tendenzen in Richtung einer Erhöhung der Gesamtschlafdauer pro Nacht sowie eine leichte Verringerung der Einschlafzeit zeigten“, fassen die Studienautoren ihre Ergebnisse zusammen.
Aber gibt es neben der subjektiven Wahrnehmung noch weitere Argumente für Therapiedecken? Eine schwedische populationsbasierte Studie nahm sich dieser Fragestellung an. Die Studie hatte das Ziel, die Häufigkeit von schlafbezogener Medikation und Substanzgebrauchsstörungen vor und nach der Verwendung einer beschwerten Decke zu vergleichen. Die Forscher untersuchten 1.785 Erwachsene mit psychiatrischen Diagnosen. Jede Person bekam eine beschwerte Decke. Die Ergebnisse wurden jeweils mit den Ergebnissen derselben Personen ein Jahr vorher verglichen.
Die Zahl der Patienten ohne Verschreibung von Schlafmedikamenten stieg um 3,3 % (95 % Konfidenzintervall (CI): 0,2–6,4, p= 0,04). Der Anteil der Patienten ohne Verschreibung von Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten/Antihistaminika stieg um 5,5 % (95 % CI: 2,2–8,8, p = 0,001). Aber: Auch die Verschreibung von Melatonin stieg um 3,6 % (95 % CI: 1,1–6,2, p = 0,006). Nicht alle Probanden profitierten von den Therapiedecken. Während Patienten mit Angst-, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts- und posttraumatischen Belastungsstörungen von den Decken profitierten, wurde bei Patienten mit psychotischen und bipolaren Persönlichkeitsstörungen keine Verbesserungen verzeichnet.
Eine weitere Studie konnte hingegen feststellen, dass beschwerte Decken eine effektive Therapie für Menschen mit Depression, bipolarer Störung, Angststörungen oder ADHS darstellen können. Aber auch hier war die Kohorte mit 120 Personen, die 1:1 zu einer schweren oder leichten Decke randomisiert wurden, eher klein. Nach 4 Wochen zeigte sich ein signifikanter Vorteil bei der Bewertung des Insomnia Severity Index für die gewichtete Decke gegenüber der leichten Decke (p < 0,001). Dieser Effekt blieb auch in einem 12-Monate-Follow-Up an dem 112 Probanden teilnahmen, bestehen – wenn die Probanden weiterhin eine beschwerte Decke verwendeten.
Depressions- und Angstsymptome sowie Blutdruck der Probanden hätten sich durch die Therapiedecken ebenfalls verbessert. Zusätzlich konnten die Wissenschaftler einen positiven Effekt auf die Tagesmüdigkeit der Probanden feststellen. „Wir fanden heraus, dass Patienten, die beschwerte Decken verwendeten, nach der Behandlung einen signifikanten Anstieg der zirkadianen Aktivitätsspitze im Vergleich zu den Kontrollpersonen aufwiesen“, so die Studienautoren. „Der Einsatz der beschwerten Decke verbesserte also nicht nur den nächtlichen Schlaf, sondern auch die Leistungsfähigkeit am Tag, was sich in einem höheren Aktivitätsniveau und einer Verringerung der Symptome von Müdigkeit, Depression und Angst zeigte.“
Neben den bereits bekannten und teilweise etablierten Verwendungszwecken bei neurologischen, psychologischen und psychiatrischen Indikationen – sei ihr Nutzen auch oftmals eher subjektiv – werden beschwerte Decken auch in anderen Bereichen eingesetzt. Beispielsweise scheint einer doppelblinden randomisierten Studie zufolge eine beschwerte Decke chronischen Schmerzpatienten zu einem besseren Schlaf zu verhelfen. „Obwohl Druck akute Schmerzen lindern kann, ist seine Wirkung auf chronische Schmerzen nur unzureichend beschrieben“, schreiben die Studienautoren. Die Studie, die 94 chronische Schmerzpatienten einschloss, zeigte, dass eine 15 lb (6,8 kg) schwere Decke deutlich besser chronische Schmerzen linderte, als die Vergleichsdecke mit 5 lb (2,7 kg).
Allerdings war diese Studie mit einer Laufzeit von nur einer Woche sehr kurz. Außerdem waren die Ergebnisse bei Personen mit einer höheren Neigung zu Angststörungen stärker ausgeprägt – was die Ergebnisse der Wirksamkeit gegen chronische Schmerzen verzerren könnte.
Trotz weniger randomisierter und auf lange Zeit angelegte Studien werden gewichteten Decken viele positive Eigenschaften zugeschrieben. Dazu gehören: eine verringerte Aktivität der körpereigenen Stresssysteme sowie eine erhöhte Ausschüttung von Hormonen wie Oxytocin und Melatonin. Eine kleine Studie an 26 jungen gesunden Probanden hat sich deswegen damit beschäftigt, ob beschwerte Decken im Vergleich zu regulären Decken zu höheren Speichelkonzentrationen von Melatonin und Oxytocin führen.
„Bei Verwendung einer beschwerten Decke war der Anstieg des Melatoninspiegels im Speichel vom Zeitpunkt des Hinlegens (22:00 Uhr) bis zum Ausschalten des Lichts (23:00 Uhr) um etwa 32 % höher (p = 0,011). Es wurden aber keine weiteren signifikanten Unterschiede zwischen den Deckenbedingungen festgestellt, einschließlich der subjektiven Schläfrigkeit und der Gesamtschlafdauer”, fassen die Studienautoren ihre Ergebnisse zusammen. Ebenfalls konnten die Autoren keinen signifikanten Anstieg des Oxytocin-Levels feststellen.
Sie weisen auch darauf hin, dass sich weitere Studien mit der Frage beschäftigen müssen, ob sich diese Ergebnisse über einen langen Zeitraum und über die gesamte Nacht bestätigen lassen. Außerdem wurde nicht getestet, ob unterschiedlich schwere Decken zu anderen Ergebnissen führen und es ist ebenfalls unklar, ob auch andere Populationen, die nicht jung und gesund sind, von den Effekten profitieren.
Beim Thema beschwerte Decken scheiden sich also die Geister. Einerseits berichten viele Personen – ob gesund oder mit unterschiedlichsten Indikationen – von deutlichen Verbesserungen ihrer Symptome und/oder ihres Schlafs. Das sind eben oft subjektive Empfindungen, aber ein gutes Placebo soll ja auch viel bringen. Die Studienlage zu Therapiedecken und ihren offenbar so vielseitigen Einsatzgebieten ist jedenfalls sehr spärlich. Bei welchen Indikationen ein Einsatz also sinnvoll ist und bei welchen nicht, muss noch weiter erforscht werden. Einzelne Studien mit meist kleinen Kohorten liefern unterschiedliche Ergebnisse, ein großer Konsens zur Nützlichkeit der Decken scheint bisher nicht zu herrschen.
Eine umfassende Literaturrecherche über die Auswirkungen von gewichteten Decken auf Schlaflosigkeit und Angstsymptome aus dem Jahr 2020 konnte nur 8 Studien in das systematische Review aufnehmen. Auch hier kommen die Studienautoren zu einem eher ernüchternden Ergebnis: „Gewichtsdecken können ein geeignetes therapeutisches Mittel zur Verringerung von Angstzuständen sein; es gibt jedoch nicht genügend Beweise dafür, dass sie bei Schlaflosigkeit wirklich hilfreich sind.“
Was sind eure Erfahrungen mit beschwerten Decken? Schreibt es uns gerne in die Kommentare!
Bildquelle: Kelly Sikkema, unsplash