Wer suchthaft arbeitet, hat mehr gesundheitliche Probleme – sucht aber seltener ärztliche Hilfe. Laut einer aktuellen Studie sind rund 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland davon betroffen.
Wer arbeitssüchtig ist, arbeitet nicht nur sehr lang, schnell und parallel an unterschiedlichen Aufgaben – die Personen können auch nur mit schlechtem Gewissen freinehmen und fühlen sich oft unfähig, am Feierabend abzuschalten und zu entspannen. Das geht auf die Gesundheit: Suchthaft Arbeitende stufen ihren Gesundheitszustand etwa doppelt so häufig als weniger gut oder schlecht ein wie nicht betroffene Erwerbstätige.
Deutlich häufiger als moderat Arbeitende haben Betroffene körperliche oder psychosomatische Beschwerden, suchen deswegen aber seltener ärztliche Hilfe. Das ergibt eine neue Studie von Forschern des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig.
Mögliche langfristige Folgen bei suchthaftem Arbeiten sind erhöhte Risiken für Burnout oder depressive Verstimmungen – psychische Leiden, die zu langwierigen Arbeitsausfällen führen können. Exzessivem und zwanghaftem Arbeiten vorzubeugen, erscheint auch vor dem Hintergrund zunehmender Fachkräfteengpässe angezeigt, betonen die Forscher. Ansatzpunkte seien die Gesundheitsförderung, Änderungen der Betriebskultur sowie die Mitbestimmung durch Betriebsräte.
Der weit verbreitete Begriff „Workaholic“ beschreibt das, was Forscher mit suchthaftem Arbeiten meinen, nur zum Teil. Denn im alltäglichen Sprachgebrauch wird er oft zur Beschreibung von Menschen genutzt, die einfach viel arbeiten – und dabei glücklich sind. Der zwanghafte Aspekt, der mit negativen Faktoren wie schlechter Gesundheit einhergeht, wird dabei zu wenig berücksichtigt.
Die Studie beruht auf Daten des BIBB und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, für die in den Jahren 2017 und 2018 gut 8.000 Erwerbstätige zu ihrem Arbeitsverhalten und ihrem Wohlbefinden befragt worden sind. Die Ergebnisse zeigen den Forschern zufolge „deutlich, dass suchthaftes Arbeiten in Deutschland im Zusammenhang mit schlechterer Gesundheit steht. Dies gilt für die subjektive Selbsteinstufung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Befragten genauso wie für die Zahl der berichteten psychosomatischen und körperlichen Beschwerden.“ Außerdem gehen die Betroffenen bei gesundheitlichen Beschwerden seltener zum Arzt.
Die Forscher ordnen rund ein Zehntel der Befragten in die Kategorie suchthaftes Arbeiten ein. Das heißt, diese Erwerbstätigen arbeiten nicht nur „exzessiv“, sondern auch „zwanghaft“ – wobei Ersteres wesentlich weiterverbreitet ist als Letzteres. Ein zwanghaftes Verhältnis zum Job attestieren die Studienautoren denjenigen Erwerbstätigen, die Aussagen zustimmen wie: „Es ist wichtig für mich, hart zu arbeiten, auch wenn mir das, was ich tue, keinen Spaß macht“, „Es fällt mir schwer zu entspannen, wenn ich nicht arbeite“ oder „Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir frei nehme.“
Daneben sollten die Befragten sowohl eine allgemeine Einschätzung ihrer Gesundheit abgeben als auch Angaben zu 22 konkreten Arten von Gesundheitsbeschwerden machen – von Kopfschmerzen über Verdauungsprobleme und Nervosität bis zu geschwollenen Beinen. Außerdem wurde nach Arztbesuchen und Fehltagen gefragt.
Von den suchthaft Arbeitenden gaben 28 % an, ihr allgemeiner Gesundheitsstatus sei weniger gut oder schlecht. Bei den „gelassen“ Arbeitenden – der Mehrheit der Erwerbstätigen – waren es hingegen nur 14 %. Erwerbstätige, die exzessiv, aber nicht zwanghaft arbeiten, schätzen ihre Gesundheit ähnlich gut ein wie gelassen Arbeitende.
Ähnlich ist das Ergebnis bei den abgefragten Einzelbeschwerden: Nur 8 % der suchthaft Arbeitenden gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten keine Beschwerden gehabt zu haben, bei den gelassen Arbeitenden waren es 20 %. Im Schnitt nannte die erste Gruppe 7,1 Beschwerden, die zweite 4,3. Alle Arten von Beschwerden sind bei den suchthaft Arbeitenden häufiger. Das gilt im Besonderen für die psychosomatischen Beschwerden, etwa Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit, aber auch für Muskel- und Skelettbeschwerden wie Rückenschmerzen. Suchthaft Arbeitende gehen wegen ihrer Beschwerden zudem seltener zu Ärzten. Rund 30 % von ihnen haben mehr als sechs unbehandelte Beschwerden. Bei den Gelassenen sind es 15 % mit mehr als sechs unbehandelten Beschwerden.
Es sei auf Grundlage der Befunde und des Forschungsstands zudem anzunehmen, dass suchthaft Arbeitende „besonders von einem erhöhten Risiko für Burnout und depressiven Verstimmungen betroffen“ seien, folgern die Autoren. Das sei nicht nur aus Perspektive der Betroffenen, sondern auch für Betriebe und die Gesellschaft problematisch. Insbesondere vor dem Hintergrund von demografischem Wandel und Fachkräftemangel seien Arbeitskräfte schon jetzt in vielen Branchen knapp.
Daher ist es nach Analyse der Forscher dringend geboten, „Betriebskulturen zu etablieren, die exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken“. Eine besondere Rolle dürften in diesem Kontext Betriebsvereinbarungen spielen – „ein wichtiges Instrument der betrieblichen Regulierung, welches exzessivem und zwanghaftem Arbeiten entgegenwirken kann“.
Der Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung. Die Studie findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Tim Gouw, unsplash