Unklare Schmerzen am Hoden lassen die Krebs-Alarmglocken schrillen. Aber de facto findet sich oft kein pathologischer Lokalbefund. Das Skrotum-Dilemma in Zahlen.
Vielleicht kein tägliches Thema in allgemeininternistischen (und natürlich urologischen) Praxen, aber auch nicht ganz selten: Chronische Schmerzen im Bereich des Hodens bzw. des Skrotums können die Lebensqualität relevant einschränken, und sie sind eine diagnostische Herausforderung. Ärzte um Michael Sischka und Matthew Ziegelmann von der Mayo Clinic in Rochester berichten jetzt in Urology über eine retrospektive Querschnittserhebung an einer maximalversorgenden Klinik, im Rahmen derer zugewiesene Patienten mit chronischem Schmerz im Bereich des Skrotums (Chronic Scrotal Content Pain, CSCP) systematisch untersucht wurden.
Insgesamt 110 Patienten mit CSCP, definiert als anhaltende oder ständig wiederkehrende Beschwerden über mindestens drei Monate, wurden im Rahmen der Studie ausgewertet. Die Patienten waren im Mittel 45 Jahre alt und hatten seit durchschnittlich drei Jahren Beschwerden, zu 80 % unilateral. Drei von vieren hatten vorher bereits einen Urologen wegen des Problems konsultiert, und immerhin jeder vierte war wegen seiner CSCP schon einmal erfolglos operiert worden. Bei der klinischen Untersuchung in der Universitätsambulanz fand sich bei zwei von drei Patienten eine reproduzierbare Druckschmerzhaftigkeit. Diese betraf bei 45 % den Hoden, bei 55 % den Nebenhoden (Epididymis) und bei 28 % den Samenleiter. Bei jedem dritten fand sich trotz intensiver Suche kein reproduzierbar druckschmerzhafter Punkt im Bereich des Skrotums.
Jenseits des Hodensacks wurde bei immerhin 39 % der Patienten der Verdacht auf eine muskuloskelettale Ätiologie geäußert, beispielsweise im Bereich des Beckenbodens, und entsprechend wurden zusätzliche Untersuchungen angefordert. Andere, seltenere „Verdachtsätiologien“ bei der CSCP sind chronische Prostatitis, vaskuläre Aneurysmen, Uretersteine und vertebrale Pathologien. Interessant an der Studie ist unter anderem, dass zwar bei 62 % der Patienten abnormale Befunde im skrotalen Ultraschall gefunden wurden, darunter Epididymis-Zysten, Varikozelen, Hydrozelen und Spermatozelen, dass diese aber praktisch gar nicht mit den klinischen Druckschmerzbefunden korrelierten.
Letztlich wurde in der Mayo-Kohorte bei 52 % der Betroffenen eine (urologische) Operation empfohlen, davon bei knapp der Hälfte die mikroskopische Denervation des Samenleiters (MDSC). Eine 2021 publizierte Übersichtsarbeit zum CSCP-Syndrom weist darauf hin, dass eine diagnostische Samenleiter-Blockade mit zum Beispiel Bupivacain hohe temporäre Erfolgsraten hat. Dies seien Patienten, die von einer Denervation am ehesten profitierten, so die Autoren. Prinzipiell sei die Erstlinientherapie beim idiopathischen CSCP die orale Gabe von nicht-steroidalen Antirheumatika. Die Review-Autoren empfehlen hier drei Mal täglich Ibuprofen 600 mg. Alternativ könne ein Therapieversuch mit einem antineuropathischen Medikament unternommen werden.
Helfen medikamentöse Therapien nicht, ist das operative Spektrum relativ breit, wobei es nur wenige gute klinische Studien gibt. Es bestehen in Sachen operative Eingriffe laut Review-Autoren auch unterschiedliche Präferenzen in den jeweiligen Ländern. Je nach Lokalisation des Schmerzes kommen u.a. Epididymektomien und die besagte MDSC zum Einsatz. Wiederholte Blockaden des Samenleiters, die dann allerdings etwa alle zwei Wochen nötig sind, werden im Review ebenfalls als Option genannt.
Der Allgemeininternist Prof. Allan S. Brett von der Universität Colorado kommentiert die aktuellen Mayo-Daten in dem Magazin NEJM Journal Watch General Medicine dahingehend, dass viele Befunde im Skrotalultraschall als inzidentell zu werten seien. Aus Sicht des Allgemeinmediziners sei das beruhigend, weil nicht sofort nach einer Operation gerufen werden müsse. Der hohe Anteil an Patienten mit zumindest Verdacht auf muskuloskelettale Ätiologien kann einen Therapieversuch mit Beckenboden-Physiotherapie rechtfertigen.
Quellen
Sischka MF et al. Testicular Pain – Not Always What it Seems: A Cross-Sectional Assessment of Patients Presenting for Chronic Scrotal Content Pain at a Tertiary Care Center. Urology 2023; 174:18-22 https://www.goldjournal.net/article/S0090-4295(23)00065-1/fulltext#%20Oh PJ et al. Chronic Scrotal Content Pain: a Review of the Literature and Management Schemes | SpringerLink. Current Urology Reports 2021; 22:12 https://link.springer.com/article/10.1007/s11934-020-01026-6#citeas
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