Gezielte Gentherapie bei Parkinson ohne komplizierte Neurochirurgie? Das könnte bald Realität werden. Forscher knackten die Blut-Hirn-Schranke mit fokussiertem Ultraschall – beim Menschen.
Das Gehirn ist ein besonders gut geschütztes Organ. Krankheitserreger, Schadstoffe und anderer Müll soll Nerven- und Gliazellen gar nicht erst behelligen. Dafür gibt es zwischen Zirkulation und Gewebe eine besonders undurchlässige Barriere, die Blut-Hirn-Schranke. Sie hat schon so manche Enzephalitis verhindert. Aber sie macht es leider auch schwierig, bestimmte Arten von Medikamenten bzw. Therapien bei neuronalen Erkrankungen ins Gehirn zu bekommen.
Therapieformen, für die das in besonderem Maße gilt, sind Zell- und Gentherapien sowie Immuntherapien. Während diese Behandlungen bei vielen anderen Geweben durch eine Art molekulare Zielsteuerung an den Wirkort gelenkt werden können, funktioniert das im Gehirn – bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer, Huntington oder ALS – nicht so gut. Insbesondere Zell- und Gentherapien werden deswegen experimentell oft neurochirurgisch appliziert, durch intrathekale oder sogar intrazerebrale Injektionen. Das ist ein recht invasives Vorgehen, das zudem ein gewisses Komplikationsrisiko in sich trägt. Letzteres wird vor allem dann relevant, wenn beispielsweise bei einer Gentherapie verschiedene Zielregionen im Gehirn adressiert werden sollen.
Dass es möglich ist, die Blut-Hirn-Schranke in definierten Regionen nicht-invasiv zu „knacken“, ist seit einigen Jahren bekannt. Genutzt werden kann dafür der so genannte Low-Intensity Focused Ultrasound, kurz LIFU, der gezielt auf jene Blutgefäßregionen gerichtet wird, in denen die Blut-Hirn-Schranke passierbar gemacht werden soll. Gleichzeitig werden Mikrobläschen intravenös appliziert, und die im Normalfall sehr dichten Zell-Zell-Verbindungen der Blut-Hirn-Schranke werden durch das Zusammenwirken von Ultraschall und Mikrobläschen mechanisch gelockert: Eine Gefäßwand, die sonst fast eine Art Berliner Mauer ist, wird zeitweilig durchgängig.
Wissenschaftler aus Spanien und Japan haben diese Methodik jetzt konkret bei neurodegenerativen Erkrankungen genutzt, um unter anderem Gentherapien gezielt zu applizieren – und zwar beim Morbus Parkinson. Sie berichten darüber in der aktuellen Ausgabe von Science Advances. Das Ganze fand zunächst an nicht-menschlichen Primaten – philippinischen Langschwanzmakaken – statt, bevor das Applikationsprinzip dann im letzten Schritt bei drei Patienten mit Parkinson-Erkrankung erprobt wurde.
Die Wissenschaftler gingen in mehreren Schritten vor. Sie begannen mit zwei gesunden Affen, bei denen mittels LIFU das Striatum, der posteriore ventrolaterale Thalamus und das Mittelhirn behandelt wurden. Sie behandelten einseitig und applizierten dann das MRT-Kontrastmittel Gadolinium, das normalerweise die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreitet. Diese Versuchsreihe zeigte, dass die selektive Schrankenöffnung am Primatenmodell prinzipiell funktionierte. Im nächsten Schritt wurde bei weiteren zwei gesunden Affen das Putamen multiplanar mit LIFU behandelt. Für therapeutische Studien bei Parkinson ist eine großflächige Öffnung der Blut-Hirn-Schranke im Bereich des gesamten Putamens nötig. Auch dies gelang und die Sache funktionierte auch bei einem fünften Affen, der eine um 60 % reduzierte, dopaminerge Innervation des Striatums aufwies.
Danach wurde es dann nicht mehr „nur“ physiologisch, sondern auch medizinisch spannend. Bei allen fünf Affen wurde Adeno-assoziiertes Virus Typ 9 (AAV9) appliziert, ein typischer Vektor für Gentherapien. Der Vektor war ausgestattet mit einem Gen für grün-fluoreszierendem Protein (GFP), gekoppelt an den humanen Synapsin-Promotor. Als die Tiere vier Wochen später in der Pathologie untersucht wurden, fanden sich in der Zielregion eine neuronale Expression von GFP sowie andere histologische Marker. Mit anderen Worten: Die Genfähren hatten ihr Frachtgut dort abgeladen, wo es hinsollte – nämlich in den Regionen des Gehirns, in denen bei Parkinson zu wenig Dopamin produziert wird.
Entscheidend bei den Tierversuchen war unter anderem, dass durch die Prozedur kein größerer Gewebeschaden entstand. Das GFP wurde von den AAV-Fähren vor Ort, im Putamen, deponiert und dort unilateral exprimiert. Andere relevante neuronale Marker unterschieden sich nicht zwischen den beiden Hirnhälften. Insbesondere fand sich kein Hinweis auf größere, lokalisierte Gewebeschäden. Was nicht selbstverständlich ist, denn es wäre ja zumindest denkbar gewesen, dass die LIFU-Behandlung die Blut-Hirn-Schranke nicht nur temporär durchlässig macht, sondern das Gewebe irreversibel schädigt. Danach sieht es nicht aus.
Entsprechend trauten es sich die Wissenschaftler dann zu, das Verfahren leicht modifiziert bei Parkinson-Patienten zu erproben. Hier wurden kein GFP und auch noch keine Gentherapie-Vektoren benutzt, sondern der PET-Tracer 18F-Cholin. Auch der schafft es unter normalen Umständen nicht über die Blut-Hirn-Schranke. Nachdem bei einem sechsten Affen gezeigt wurde, dass die LIFU-Therapie analog zu Gadolinium und GFP zu einer Anreicherung von 18F-Cholin führte, wurden als Teil einer laufenden klinischen Studie insgesamt drei Patienten mittels LIFU in der Putamen- und Mittelhirn-Region behandelt. Und analog zu den nicht-humanen Primaten kam es dort zu einer Erhöhung der Tracer-Aufnahme um 60 % (Putamen) bzw. knapp 40 % (Mittelhirn).
Die Wissenschaftler sehen erhebliche Implikationen ihrer Arbeit für das Feld der neurodegenerativen Erkrankungen. Nicht nur werden nicht-invasiv applizierbare, regional gezielte Gentherapien denkbar. Die gezielte, regional begrenzte Öffnung der Blut-Hirn-Schranke könne auch zur Applikation vieler anderer potenziell neurorestorativer Therapien genutzt werden, schreiben die Forscher.
Andere Wissenschaftler warnen allerdings vor zu großen Erwartungen. Für Prof. Regine Heilbronn, Leiterin der Arbeitsgruppe Gentherapie an der Neurologie der Charité Berlin, steht eine nicht-invasiv applizierbare Parkinson-Gentherapie nicht unmittelbar vor der Tür: „Wie die Autoren selbst diskutieren, ist die gezeigte Verstärkung des GFP viel zu gering, um darauf hoffen zu können, dass therapeutische Gene zum Beispiel bei Parkinson funktionell wirksam würden. Da muss technologisch noch erheblich nachgebessert werden.“ Auch werde die nicht-invasive AAV-Transduktion erkauft durch hohe Dosen von AAV9, von denen nur ein Bruchteil im ZNS ankomme.
Prof. Heinz Wiendl, Leiter der AG Experimentelle und translationale Neuroimmunologie der Klinik für Neurologie an der Universität Münster, weist darauf hin, dass viele neurodegenerative Erkrankungen keine fokalen Erkrankungen seien, sodass sich die Frage nach der Notwendigkeit einer fokalen Therapie stelle. Dies gelte auch für den Morbus Parkinson. Etwas optimistischer gestimmt ist Dr. Gaetano Gargiulo von der Forschungsgruppe Molkulare Onkologie am MDC in Berlin: „Ich betrachte diese Arbeit als einen sehr wichtigen präklinischen Meilenstein, der den Grundstein für die künftige Nutzung dieser Technologie zur gezielten Öffnung der Blut-Hirn-Schranke und zur Gentherapie legt.“
Quelle
Blesa J et al. BBB opening with focused ultrasound in nonhuman primates and Parkinson’s disease patients: Targeted AAV vector delivery and PET imaging. Science Advances 2023. DOI: 10.1126/sciadv.adf4888.
Bildquelle: Yc Liao, unsplash