Niedrige Langzeitblutzuckerwerte sind kein Risikofaktor mehr für eine schwere Hypoglykämie oder Koma bei Kindern und Jugendlichen. Das Hypoglykämie-Risiko hat demnach um bis zu 50, das Koma-Risiko um bis zu 86 Prozent abgenommen, wie aktuelle Daten zeigen.
Der Langzeitblutzuckerwert, das HbA1c, soll laut Leitlinie unter 7.5 Prozent liegen. Lange Zeit galt, dass unter Insulinbehandlung bei Kindern und insbesondere Jugendlichen ein niedriger Blutzuckerwert mit einem deutlich erhöhten Risiko für Unterzuckerungen einhergeht.
Nun zeigen die Daten der „Diabetes Patienten Verlaufsdokumentation“, dass heute bei zeitgemäßer Diabetesbetreuung eine normnahe Blutzuckereinstellung die Gefahr für eine Hypoglykämie nicht mehr erhöht. Am Dokumentationsprogramm, das von 1995 bis 2012 an 372 Zentren in Deutschland und Österreich lief, haben mehr als 53.000 Patienten teilgenommen. Es werden circa 80 Prozent aller an Typ-1-Diabetes erkrankten Kinder und Jugendlichen erfasst. 1995 kamen auf 100 Patienten und pro Jahr im Durchschnitt noch 42,3 Hypoglykämien und 13,5 Fälle von Bewusstlosigkeit („Koma“) durch Unterzuckerung. Doch seither ist die Zahl stetig gesunken. Im Jahr 2012 traten nur noch 17,6 Hypoglykämien und 1,8 Koma-Fälle pro 100 Patienten pro Jahr auf.
Die aktuellen Zahlen belegen somit einen deutlichen Rückgang der Hypoglykämien. Dies gilt besonders für Patienten, deren Langzeitblutzuckerwert zwischen 6 bis 7.9 Prozent lag. Bei diesen Individuen nahm das Risiko für schwere Hypoglykämien um 50 Prozent und für Koma-Fälle um 86 Prozent ab. „Ein niedriger HbA1c-Wert ist erstrebenswert, weil er Spätfolgen des Diabetes vermeidet“, erläutert Prof. Dr. med. Beate Karges vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Mitautorin der Studie. Im ersten Studienjahr stieg das Hypoglykämie-Risiko noch um 28 Prozent, sobald die Patienten ihren HbA1c-Wert um einen Prozentpunkt absenkten. Im Jahr 2012 nahm das Risiko dann nur noch um 5 Prozent zu. Karges fasst zusammen: „Bei guter fachärztlicher Betreuung kann heute das Therapieziel einer normnahen Blutzuckereinstellung ohne zusätzliche Gefährdung erreicht werden.“
Die genauen Gründe für die Abnahme der Hypoglykämien kann die Studie nicht klären. DGE-Mediensprecher Prof. Dr. med. Dr. h. c. Helmut Schatz, Bochum, meint, dass die Versorgung junger Diabetespatienten insgesamt besser geworden ist. „Heute bekommen die Patienten oft die neuen Analoginsuline und in recht differenzierten Formen wie mehrfachen Injektionen am Tag oder zunehmend mit der Insulinpumpe. Sie werden von diabetologisch erfahrenen Teams behandelt, intensiv geschult und auch psychologisch betreut.“ Diese neuen Daten seien erfreulich. Nach wie vor sollte man aber gerade bei Kindern und Jugendlichen sorgfältig darauf achten, dass Unterzuckerungen, insbesondere schwere, das heißt mit Bewusstseinsverlust einhergehende, vermieden werden, betont Schatz. Originalpublikation: Hemoglobin A1c Levels and Risk of Severe Hypoglycemia in Children and Young Adults with Type 1 Diabetes from Germany and Austria: A Trend Analysis in a Cohort of 37,539 Patients between 1995 and 2012 Beate Karges et al.; PLOS Medicine, doi: 10.1371/journal.pmed.1001742; 2014