Er ist scheinbar überall – aber wie schlimm ist Zucker wirklich? Unser Autor hat die bisher größte Publikation zu den Gefahren des Zuckerkonsums für euch zusammengefasst.
Chinesische und amerikanische Wissenschaftler verschiedener medizinischer Fachdisziplinen haben sich in einem aktuellen Umbrella Review kritisch mit den Gesundheitsgefahren des Zuckers auseinandergesetzt. Bei der vorliegenden Publikation handelt sich um die umfangreichste jemals durchgeführte Übersicht zu den gesundheitlichen Risiken des Zuckerkonsums. Sie fasst den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zusammen.
Nach einer systematisch durchgeführten Literaturrecherche in den einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken haben die Autoren 8.601 relevant erscheinende Veröffentlichungen zu den potenziellen Gesundheitsrisiken von Zucker gefunden. Davon erfüllten 73 qualitativ hochwertige Metaanalysen die definierten Einschlusskriterien.
In den 73 Metaanalysen fanden sich insgesamt 83 medizinische Endpunkte, von denen der Zusammenhang zwischen der Exposition und dem gesundheitsschädlichen Effekt für 45 Endpunkte statistisch signifikant war. Dabei handelt es sich um 18 endokrinologische bzw. metabolische Erkrankungen, 10 kardiovaskuläre Erkrankungen, 7 Krebserkrankungen sowie 10 weitere Krankheiten verschiedenster Organsysteme. Lediglich für vier Endpunkte war die Datenlage uneinheitlich. Für die restlichen 34 Endpunkte war der Zusammenhang zwischen Zuckerverzehr und Erkrankung statistisch nicht signifikant.
Vielen Zusammenhängen lag eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung zugrunde, was einen kausalen Effekt nahelegt. Für die meisten anderen Endpunkte zeigte sich ein signifikanter Dosiseffekt beim Vergleich des höchsten mit dem niedrigsten Zuckerverzehr.
Eine Metaanalyse von sechs randomisierten kontrollierten Studien guter Qualität ergab, dass der Konsum von zuckergesüßten Getränken signifikant mit einem erhöhten Körpergewicht, einer Leberverfettung sowie einer krankhaften Muskelfettansammlung assoziiert war. Eine weitere Metaanalyse mittlerer Güte zeigte einen linearen Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Konsum von künstlich gesüßten Getränken und einem signifikant erhöhten Gichtrisiko. Des Weiteren fand sich ein klarer Dosis-Wirkungs-Effekt zwischen dem Konsum von Softdrinks und der Erhöhung des Body-Mass-Index (BMI) sowie der Entwicklung von Fettleibigkeit bei Kindern. Für die Endpunkte metabolisches Syndrom, erhöhte LDL-Cholesterinwerte, Fettleibigkeit bei Erwachsenen, Typ-2-Diabetes und latenter Autoimmundiabetes (LADA) fand sich eine Evidenz geringerer Qualität.
In einer Metaanalyse mittlerer Qualität wurde ein positiver Zusammenhang zwischen dem Konsum von zuckergesüßten Getränken und dem Risiko einer koronaren Herzkrankheit beobachtet. Die Dosis-Wirkungs-Analyse zeigte, dass jeder Anstieg des Konsums um 250 ml/Tag signifikant mit einem um 17 % höheren Risiko für das Auftreten einer koronaren Herzkrankheit assoziiert war. Der höchste Softdrink-Konsum war darüber hinaus mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Myokardinfarkts assoziiert. In Studien geringerer Güte zeigte sich für die Endpunkte Schlaganfall sowie Hypertonie bei Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen ebenfalls eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Eine Metaanalyse mittlerer Güte zeigte eine Risikoerhöhung um 100 % für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms beim Vergleich zwischen dem höchsten und niedrigsten Konsum von Softdrinks. Eine weitere Meta-Analyse vergleichbarer Qualität ergab eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen dem Konsum von Fruktose und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine Evidenz niedrigerer Güte zeigte sich für die Zunahme des allgemeinen Krebsrisikos sowie für die Entwicklung von Brust- bzw. Prostatakrebs.
Eine Meta-Analyse von 11 Kohortenstudien mittlerer Qualität deutet darauf hin, dass jeder Anstieg des Konsums von zuckergesüßten Getränken um 250 ml / Tag mit einem um 4 % höheren Risiko für die Gesamtmortalität einhergeht. Darüber hinaus wurde in einer Metaanalyse von 10 Beobachtungsstudien ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von zuckergesüßten Getränken und dem Auftreten von Depression beobachtet. In Metaanalysen niedrigerer Güte zeigten sich positive Assoziationen für die Endpunkte Karies, Asthma bei Kindern, ADHS, verminderte Knochenmineraldichte bei Frauen, Anreicherung von intrahepatozellulären Lipiden sowie der Entwicklung einer nicht-alkoholischen Fettleber.
Die Gefahren von industriell gesüßten Speisen und Getränken für die menschliche Gesundheit sind nicht erst seit der Veröffentlichung des aktuellen Umbrella Reviews bekannt. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts warnten Ärzte, Ernährungsexperten und Wissenschaftler vor den gesundheitlichen Risiken des zunehmenden Zuckerverzehrs.
John Yudkin, ein britischer Physiologe und Ernährungswissenschaftler, war einer der ersten, der geltend machte, dass Zucker eine der Hauptursachen für Karies, Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen darstellt. Sein 1972 veröffentlichtes Buch mit dem provokanten Titel Pur-Weiß-Tödlich erregte international großes Aufsehen. Im deutschen Sprachraum wurde etwa zur gleichen Zeit der Arzt und Sachbuchautor Max Otto Bruker durch seine Warnungen vor dem Konsum von Fabrikzucker bekannt. Seitdem hat die Ernährungsforschung eine Vielzahl weiterer Erkenntnisse hervorgebracht, die den Zucker als Ursache zahlreicher Zivilisationskrankheiten verantwortlich macht und als Bürde für die öffentliche Gesundheit einstuft.
Aus Gründen der wissenschaftlichen und begrifflichen Exaktheit sowie zur Einordnung der oben besprochenen Studienergebnisse soll der Begriff „Zucker“ zunächst definiert werden. Lebensmittelrechtlich gilt nur der weiße, kristalline Haushaltszucker aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr als „Zucker“. Haushaltszucker (Saccharose) wird von der Lebensmittelindustrie in großen Mengen in Fertiggerichten, Süßigkeiten und Erfrischungsgetränken eingesetzt.
Zuckerarten aus anderen Zuckerpflanzen müssen entsprechend ihrer Herkunft gekennzeichnet werden (z. B. Ahornsirup oder Palmzucker). Chemisch handelt es sich hierbei um Gemische aus Saccharose, Glukose und Fruktose in unterschiedlichen Mengenverhältnissen. Aus Kostengründen findet man diese exotischen Zuckervarianten eher selten in industriellen Fertigprodukten. Sie werden vielmehr als hochpreisige Zuckerspezialitäten über Bio-Märkte direkt an den Endverbraucher abgegeben.
Im weitesten Sinne gehören auch Mais, Weizen und Kartoffeln zu den Zuckerpflanzen, da ihre Stärke zu Zucker verarbeitet werden kann.
Lebensmittelchemiker sprechen deshalb auch von Stärkezucker bzw. Isoglukose. Meistens handelt es sich dabei um ein Gemisch aus den beiden Einfachzuckern Glukose und Fruktose oder dem Zweifachzucker Maltose. Stärkezucker kommt fast ausschließlich in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz. Hier findet er Verwendung in Fertiggerichten, Konserven, Back- und Wurstwaren, Süßigkeiten sowie in Softdrinks.
Beim Milchzucker (Laktose) handelt es sich um ein Doppelmolekül aus Traubenzucker (Glukose) und Schleimzucker (Galaktose). Reiner Milchzucker wird in großen Mengen in der industriellen Nahrungsmittelproduktion als Füllstoff, Bindemittel, Konservierungsstoff sowie als Geschmacksverstärker in zahlreichen Fertigprodukten und Konserven eingesetzt.
Honig besteht zu etwa gleichen Teilen aus Glukose und Fruktose sowie einer geringen Menge an Saccharose. In kommerziellen Fertigprodukten ist reiner Bienenhonig aus Kostengründen eher selten zu finden.
Bei der Mehrzahl der 83 beobachteten klinischen Endpunkte erfolgte die diätetische Zuckerexposition vorwiegend durch zuckergesüßte Getränke (70 %), gefolgt von Fruktose (13 %), Saccharose (5 %) und Laktose (1 %). In neun Studien wurde als Zuckerquelle lediglich „zugesetzter Zucker“ bzw. „Gesamtzucker“ angegeben (11 %). Softdrinks tragen also maßgeblich zur Zuckerbelastung bei. Sie werden hauptsächlich mit Saccharose bzw. Glukose-Fruktose-Sirup gesüßt. Der Zuckergehalt von Softdrinks variiert zwischen 10–15 %. In einem Glas (250 ml) können sich also leicht 25 bis 40 g Zucker verstecken. Damit überschreitet man schnell das von der WHO empfohlene Tageslimit.
Der Zucker in gesüßten Getränken wird ohne nennenswerte Verdauungsarbeit innerhalb von wenigen Minuten resorbiert und führt zu unnatürlich hohen Blutzuckerspitzen. Dem Zuckertsunami folgt i.d.R. eine über den notwendigen Bedarf hinausgehende Hypersekretion von Insulin. Die anschließende Unterzuckerung führt zu Heißhungerattacken und zur Wiederholung dieses Teufelskreises. Vereinfacht ausgedrückt überfordern die großen Mengen an zugesetztem Industriezucker unsere körpereigenen Regulationsmechanismen. Eine Vielzahl physiologischer, biochemischer und hormoneller Prozesse ist unmittelbar davon betroffen.
In der Folge entwickeln sich Fettleber, Insulinresistenz, Übergewicht, Adipositas, Bluthochdruck, Dyslipidämie, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und schließlich auch Krebs. Auch wenn die Pathomechanismen noch nicht in allen Einzelheiten verstanden sind, so unterstreicht die Vielzahl der betroffenen Organsysteme doch die generalisierte Schädlichkeit großer Mengen zugesetzten Zuckers für den menschlichen Körper.
Der Pro-Kopf-Verbrauch von Haushaltszucker (Saccharose) beträgt etwa 36 kg pro Jahr in Deutschland. Das sind 3 kg pro Monat und ca. 100 g pro Tag. Nicht in dieser Statistik enthalten ist der Konsum aller anderen Zuckerarten. Es ist deshalb zu vermuten, dass der tatsächliche Gesamt-Zuckerverzehr um einiges höher ist. Isolierten Zucker findet man mittlerweile in fast 90 % aller Fertigprodukte, die in einem Supermarkt angeboten werden. In der Nährwerttabelle werden alle Zuckerarten summiert und als Gesamtzuckergehalt sowohl in Gramm als auch in Prozent ausgewiesen. Die Zutatenliste gibt Aufschluss darüber, um welche Zuckerart es sich handelt. Ein Blick auf die entsprechenden Kennzeichnungen ist also hilfreich.
Die WHO empfiehlt, höchstens fünf Energieprozent des täglichen Kalorienbedarfs in Form von zugesetztem Zucker zu sich zu nehmen. Bei einem normalgewichtigen Erwachsenen entspräche das etwa 25 g bzw. 8 Stück Würfelzucker. Dieser Empfehlung schließen sich auch die Autoren des Umbrella Reviews an. Darüber hinaus schlagen sie vor, nicht mehr als ein Glas (ca. 250 ml) eines gesüßten Erfrischungsgetränks pro Woche zu trinken.
Quellen
Huang Y, Chen Z, Chen B et al. Dietary sugar consumption and health; umbrella review. BMJ 2023; 381: e071609
Bradford Hill A. The environment and disease: association or causation; Journal of the Royal Society of medicine 1965; 58: 295-300
Yudkin J. Pure, White and Deadly: How Sugar Is Killing Us And What We Can Do To Stop It. Penguin Books Ltd 1972, Great Britain
Bruker MO. Krank durch Zucker; Helfer Verlag E. Schwabe Bad Homburg v. d. Höhe. 8. Auflage 1980
Heuer T: Zuckerkonsum in Deutschland. Aktuelle Ernährungsmedizin 2018; 43 (Supplement1): S8-S11
Guideline: Sugars intake for adults and children. Geneva; World Health Organization; 2015.
Bildquelle: Myriam Zilles, unsplash