Wenn Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen zum Problem werden: Laut BEST-Studie leiden in Deutschland 6,3 Millionen Menschen an Osteoporose, darunter sind 1,1 Millionen Männer. Wissenschaftler bewerten etablierte Therapien wie Bisphosphonate oder Strontium neu – und haben jetzt therapeutisch wertvolle Antikörper entdeckt.
Nicht nur „ihr“ Problem: Anlässlich des Welt-Osteoporosetags wies die International Osteoporosis Foundation (IOF) auf Probleme beim vermeintlich starken Geschlecht hin – ein bislang wenig beachtetes Thema. Laut IOF-Angaben erleidet jeder fünfte Mann über 50 eine osteoporosebedingte Fraktur. Umfragen zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ärzte bei älteren Herren Knochendichtemessungen durchführen, um 18 Prozent geringer als bei Frauen. Apotheker sollten Patienten informieren, welche Präventionsmaßnahmen Sinn machen.
Jetzt hat die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) einen Drei-Punkte-Plan für Apotheken und Arztpraxen entwickelt. „Bewegungsmangel und unausgewogene Ernährung sind die größten Gegner stabiler Knochen“, sagt Professor Dr. Wolfgang Böcker von der DGOU. „Schon mit relativ einfachen Mitteln kann jeder sein eigenes Osteoporoserisiko senken.“ Wichtig sei, in jungen Jahren den Grundstein für starke Knochen zu legen. Böckers Tipps gelten seit Jahren, sind aber noch wenig bekannt. An erster Stelle nennt die DGOU kalziumreiche Ernährung in allen Lebensphasen – mit Milchprodukten, verschiedenen Gemüsesorten und Nüssen. Als Kalziumgegner gelten beispielsweise radikale Diäten. Um die Vitamin-D-Produktion anzukurbeln, sollte unser Körper täglich mindestens eine halbe Stunde Sonnenlicht abbekommen. Zur Not bleiben noch Supplementationen, hier gibt die DGOU 800 bis 1.000 Einheiten Vitamin D pro Tag an. Drittens fördert Sport den Knochenstoffwechsel und stärkt die Muskulatur. Bald werden die Tipps offiziell. Bis Ende 2014 rechnen Experten mit einer neuen S3-Leitlinie zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 60. Lebensjahr.
Erkranken Menschen dennoch an Osteoporose, verschreiben Ärzte oft Bisphosphonate. Sie empfehlen nach längerer Zeit eine Therapieunterbrechung, um Nebenwirkungen wie Kiefernekrosen, Femurfrakturen oder Ösophaguskarzinome zu vermeiden. US-amerikanische Ärzte raten, nach fünf Jahren die Behandlung zu überprüfen. Jetzt hat Douglas C. Bauer, San Francisco, neue Ergebnisse veröffentlicht. Er ging von Daten der Fracture Intervention Trial Long-term Extension (FLEX) aus. Laut Bauer nahm das Frakturrisiko um 54 Prozent pro fünf Lebensjahre zu, sollten Frauen Alendronat absetzen. Patientinnen mit niedrigen DXA-Werten im Femur hatten sogar ein um 87 Prozent erhöhtes Risiko. Der Forscher rät deshalb, vor „Arzneimittelferien“ die Knochendichte zu messen – als mögliches Kriterium, ob Pausen überhaupt Sinn machen.
Ein weiterer Arzneistoff ist ebenfalls in die Schusslinie von Wissenschaftlern gerückt: Strontiumranelat hemmt den Knochenabbau und fördert gleichzeitig den Knochenaufbau – zu einem hohen Preis. Das Pharmakon begünstigt kardiovaskuläre Ereignisse. Forscher der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) haben Daten von 7.500 postmenopausalen Frauen ausgewertet. Unter Strontiumranelat erlitten 1,7 Prozent einen Herzinfarkt (Placebo: 1,1 Prozent) beziehungsweise 1,9 Prozent eine Thromboembolie (Placebo: 1,3 Prozent). Pro 1.000 Patientinnen, die über zwölf Monate Strontiumranelat einnahmen, kam es zu vier zusätzlichen kardialen Ereignissen und zu vier zusätzlichen venösen Thromboembolien, von schweren Hautreaktionen ganz zu schweigen. Ärzten gelingt es auf der anderen Seite, fünf nichtspinalen Frakturen, 15 spinale Frakturen und 0,4 Hüftfrakturen zu vermeiden. Für das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der EMA stand schnell fest, Strontiumranelat vom Markt zu nehmen: an und für sich kein seltener Vorgang. Viel überraschender ist, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) entsprechenden Vorschlägen nicht folgen wird. Verantwortliche planen vielmehr, Indikationen stark einzuschränken. Vertragen Patienten andere Arzneistoffe nicht, bleiben Strontiumsalze auch künftig eine Alternative. Als Kontraindikationen gibt die europäische Behörde ischämische Herzerkrankungen, unkontrollierte Hypertonien, periphäre arterielle oder zerebrovaskuläre Leiden an.
Zeitgleich suchen Wissenschaftler nach neuen Ansatzpunkten, um den Knochenstoffwechsel zu beeinflussen. Laut Johannes Keller, Hamburg, führt eine Inaktivierung des Calcitonin-Rezeptors im Tierexperiment zu vermehrtem Knochenaufbau. Während hier noch viel Zeit von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung vergehen wird, gibt es beim Romosozumab schon Daten aus einer Phase-II-Studie. Dieser Antikörper bindet Sclerostin, ein Glykoprotein mit hemmender Aktivität auf Osteoblasten. Michael R. McClung vom Oregon Osteoporosis Center wählte 419 postmenopausalen Frauen im Alter zwischen 55 und 85 Jahren aus. Sie erhielten randomisiert Romosozumab, Alendronat, Teriparatid oder Placebo. Nach zwölf Monaten erhöhte sich die Knochendichte im Bereich der Lendenwirbelsäule in der Antikörpergruppe um maximal 11,3 Prozent. Alendronat (plus 4,1 Prozent) und Teriparatid (plus 7,1 Prozent) schnitten signifikant schlechter ab, bei Placebo waren es plus 0,1 Prozent. Ob Frauen unter Romosozumab seltener Frakturen erleiden, wird derzeit im Rahmen einer Phase III-Studie mit 4.000 Patientinnen untersucht. Neue Strategien gegen Osteoporose bleiben ein wichtiges Thema der pharmazeutischen Forschung.