Wer schön sein will, muss leiden – das gilt auch für die Psyche. Dass Fotofilter und unrealistische Schönheitsideale auf Social Media nicht gesund sind, ist bekannt. Aber wie schlimm ist die Lage wirklich?
Flache Bäuche, glatte Haut, dünne Beine – und dazu direkt mitgeliefert gibt es das passende Rezept zum absoluten Traumkörper. Viele Social-Media-Stars verdienen ihr Brot (oder eine Low-Carb-Variante davon) mit ihrem augenscheinlich perfekten Köper. Das ist jetzt erst mal nichts Neues. Denn auch Stars und Sternchen, die bereits länger etablierte Medien hervorgebracht haben, haben meist eines gemeinsam: Sie sind konventionell schön. Und dazu gehört in der westlich geprägten Welt nun mal auch ein schlanker Körper.
Was allerdings neu und auch bedenklich ist: Viele Influencer liefern das Rezept, wie man ebenfalls so einen Körper haben kann, direkt mit. Inklusive Rabattcodes für Detox-Tees und Nahrungsergänzungsmittel, an denen sie ordentlich mitverdienen. Was macht das mit dem Körperbild von jungen Menschen?
Eine aktuelle Auswertung der KKH liefert bedenkliche Zahlen: Die Fälle von Anorexie, Bulimie und Binge-Eating-Disorder nehmen weiterhin zu. Besonders betroffen, mit 88 % aller Fälle, sind – wenig überraschend – Teenager und junge Erwachsene. 20 von 1.000 jungen Menschen im Alter von 18–29 Jahren leiden demnach an einer diagnostizierten Essstörung. Ebenfalls bedenklich sind die Fallzahlen bei noch jüngeren Mädchen mit etwa 17 von 1.000 Betroffenen im Alter von 12–17 Jahren.
Essstörungen, besonders Anorexie, gehören zu den tödlichen psychischen Erkrankungen. Die am häufigsten diagnostizierten Krankheitsbilder sind Anorexie und Bulimie, mit deutschlandweit jeweils 7.355 bzw. 1.403 stationär behandelten Fällen im Jahr 2020. Allein im Jahr 2020 starben in Deutschland laut Statista 80 Menschen an Essstörungen. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Steigerung von mehr als 20 %.
Verlauf Todesfälle durch Essstörungen 1998–2020. Credit: Statista.
Die Lockdown-Jahre scheinen einen weiteren Anstieg von Essstörungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit sich gebracht zu haben. Eine Auswertung der Klinik für Kinder und Jugendliche, KJF Klinik St. Elisabeth, Neuburg/Donau zeigt, dass die Behandlungszahlen seit den Lockdown-Maßnahmen ansteigen. Jedoch konnte noch nicht untersucht werden, ob die Zahl der Neuerkrankungen ebenfalls anstieg.
Eine Übersichtsstudie, die Daten aus 50 Studien in 17 Ländern zusammenfasst, legt nahe, dass sich Social-Media-Nutzung, insbesondere die Nutzung visuell fokussierter Plattformen wie Instagram und Snapchat, negativ auf die Wahrnehmung des eigenen Körperbildes, die Einstellung zu Essstörungen und die psychische Gesundheit auswirken können. So konnten beispielsweise 11 der untersuchten Studien einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Social Media und gestörtem Essverhalten feststellen. Fünf Querschnittsstudien konnten laut dem Review einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und klinischen Essstörungen herstellen. Aber warum haben soziale Netzwerke so einen gravierenden Einfluss auf das Selbstbild?
Filter sind inzwischen fester Bestandteil vieler Social-Media-Aufritte. Jedoch sind die lustigen Hundeohren, die man noch vor ein paar Jahren für Selfies verwendete, längst überholt. Heute sind Filter so realistisch, dass sie nicht mehr als solche erkannt werden – und viele Influencer nutzen das aus, auch auf Grund des Gruppenzwangs. Man sieht kaum noch echte Gesichter online, und auch keine echten Körper mehr. Denn was es für Gesichter gibt, gibt es mittlerweile auch für Körper. Und was einst nur bei Fotos funktionierte, funktioniert jetzt auch bei Bewegtbildern.
Zusätzlich zu den täuschend echten Bodyfiltern werden dann mit Versprechungen, man selbst könne genauso aussehen, Diättipps, Work-Out-Routinen und Abnehmtees verkauft. Natürlich werden die perfekten Influencer-Körper im Normalfall nicht durch diese Mittel erreicht, aber der Eindruck wird oft vermittelt. So kommt bei vielen jungen Menschen der Gedanke auf: „Warum funktioniert das bei denen und bei mir nicht? Was ist falsch mit mir?“ Und das kann gefährlich werden.
Es gibt sie also bis auf wenige Ausnahmen online fast nicht mehr, die authentischen Fotos und Körper. „Solche Vorbilder können die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und auch dem eigenen Körper forcieren“, so eine Meldung der KKH. „Sie erzeugen einen starken Druck, dem propagierten Körperbild zu entsprechen. Das kann die Entwicklung eines gestörten Essverhaltens begünstigen.“
Bildquelle: Laura Chouette, Unsplash