Pharmazeutische Hersteller boykottieren Exekutionen in den USA. Nachdem Midazolam, Pentobarbital und Propofol knapp wurden und Experimente mit anderen Präparaten aus dem Ruder gelaufen sind, soll nun Fentanyl eingesetzt werden.
Wie US-Regierungsvertreter berichten, hat die Zahl an Hinrichtungen einen langjährigen Tiefststand erreicht. In 2016 wurden in den USA 20 Personen exekutiert – so wenig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Meldung bietet wenig Anlass zur Freude. Donald Trump gilt als glühender Befürworter der Todesstrafe, allerdings gehen ihm langsam die Mittel und Wege aus. International tätige Hersteller weigern sich schon länger, Vollzugsbehörden Midazolam, Pentobarbital oder Propofol zu verkaufen. Jetzt haben Behörden ausgerechnet Fentanyl ins Visier genommen, berichtet die Washington Post.
Eine makabre Entscheidung: Im vergangenen Jahr starben US-weit 60.000 Menschen an Drogen, häufig war Fentanyl im Spiel. Für den Einsatz bei einer Todesstrafe hat das Pharmakon aus Behördensicht allerdings mehrere Vorteile: Es wirkt bis zu 120 Mal stärker als Morphin, was die hohe Mortalität auf Amerikas Straßen augenscheinlich zeigt. Zudem ist Fentanyl leicht zu beschaffen. Bei Propofol scheuten sich Vertreter einzelner Bundesstaaten nicht davor, Strohmänner in Compounding Pharmacies zu schicken, um vermeintliche Rezeptursubstanzen zu besorgen, berichtete The Atlantic. Laut Berichten des Fokus hätten Beamte aus Arizona sogar versucht, Präparate aus Indien zu importieren. Diese Schwierigkeiten werden offizielle Stellen mit Fentanyl nicht haben. Zur Not helfen dunkle Kanäle weiter. Und nicht zu vergessen: Es gibt immer noch wirksamere Derivate. Carfentanyl hat je nach Messmethode die 2.200- bis 25.000-fache Potenz von Morphin. Es wirkt zu stark und kommt deshalb nur bei der Betäubung großer Wildtiere zum Einsatz.
Der Washington Post zufolge befürchten amerikanische Ärzte weitere Experimente in Todeszellen. Im Moment gebe es keine hinreichenden Erfahrungen mit anderen Opioiden, heißt es weiter. Das Experiment sollte Scott Dozier, einen Todeskandidaten aus Nevada treffen. Fentanyl wirkt analgetisch und sedierend. Höhere Dosen führen zu Atemdepression bis hin zum Tod durch Atemstillstand. Der neue Cocktail sollte noch Diazepam zur Sedierung enthalten. Als weitere Komponente war Cisatracurium, ein Muskelrelaxans, vorgesehen. Die Kombination führt theoretisch rasch zum Atemstillstand.
Ob das auch praktisch funktioniert hätte, ist eine andere Frage. Menschenrechtler verweisen auf die Hinrichtung von Joseph Wood Mitte 2014. Er bekam eine nicht erprobte Mischung aus Midazolam und Hydromorphon. Sein Todeskampf dauerte rund zwei Stunden. Etomidat, das als mögliche, aber ebenfalls kaum erprobte Alternative in Giftcocktails gilt, will Janssen als pharmazeutischer Hersteller dem US-Staat nicht mehr verkaufen. Diese Lücke könnte Fentanyl schließen. Doziers Exekution wurde zwar aufgeschoben. Sollten Gerichte jedoch zustimmen, sind die Folgen selbst für Experten nicht absehbar. „Es ist ein Experiment“, erklärt Professor Deborah Denno von der der Fordham University in New York. „Es klingt wie ein risikoreiches Unterfangen. Selbst geschulte Leute können nicht behaupten, zu wissen, was passieren wird.“
Die Problematik veranlasst so manchen US-Bundesstaat, nach Alternativen zu suchen. Laut The Guardian kann sich Arizona vorstellen, dass sich Anwälte der Häftlinge für ihre Mandanten „saubere“ Chemikalien verordnen lassen, um ihnen einen schmerzfreien Tod zu ermöglichen. Und laut dem Death Penalty Information Center (DPIC), einer gemeinnützige Organisation mit Sitz in Washington, sind in mehreren Bundesstaaten auch wieder antiquierte Alternativen wie der elektrische Stuhl, Erschießungen oder Hinrichtungen in der Gaskammer eine Option.