Je früher, desto besser: Babys mit hohem Allergierisiko profitieren in der Prävention von frühem Erdnuss-Genuss. Therapeutisch bringt sich jetzt das Erdnusspflaster in Stellung.
Die Prävalenz von Erdnussallergien steigt in westlichen Ländern seit Jahren an. In Nordamerika und Europa sollen zwischen 1 und 3 % aller Kinder von einer Erdnussallergie betroffen sein. Doch das Problem scheint hausgemacht, vermuten Experten. Noch bis vor einigen Jahren sprachen sich Verbände aus Kinderärzten und Allergologen für den kindlichen Erdnuss-Verzicht aus – zumindest wenn beim Baby ein erhöhtes Allergierisiko besteht. In Studien fehlten allerdings Hinweise, dass der Erdnuss-Verzicht einer Allergie wirklich vorbeugen könnte.
2015 folgte dann eine bahnbrechende Studie: Die im New England Journal of Medicine veröffentlichten Ergebnisse zeigten, dass Kinder, die im Säuglingsalter Erdnüsse verabreicht bekamen, eine „signifikant verringerte“ Wahrscheinlichkeit hatten, eine Erdnussallergie zu entwickeln. Genauer gesagt hatten Kinder, die in den ersten 11 Lebensmonaten zum ersten Mal Erdnüsse probierten, im Alter von fünf Jahren eine um 81 % niedrigere Rate an Erdnussallergien als Kinder, die in dieser Zeit Erdnüsse mieden.
In den USA gilt seither die Empfehlung, allen Babys Erdnüsse anzubieten – natürlich nicht in Form ganzer Nüsse (Erstickungsgefahr!), sondern als Erdnussmus oder -pulver. In Deutschland hat man diese Empfehlung bisher nicht übernommen, da es – anders als die USA – nicht als Land mit hoher Erdnussallergie-Prävalenz einzuordnen ist. In der aktualisierten Leitlinie wird die Empfehlung zurückhaltender formuliert: „Zur Prävention der Erdnussallergie kann bei Säuglingen mit atopischer Dermatitis in Familien mit regelmäßigem Erdnusskonsum im Zuge der Beikost-Einführung erwogen werden, Erdnussprodukte in altersgerechter Form (z. B. Erdnussbutter) einzuführen und regelmäßig weiter zu geben“, heißt es darin.
Inzwischen sind weitere Studien zum Thema erschienen, die die Befunde der NEJM-Studie untermauern. In einer Nachfolgestudie konnte etwa gezeigt werden, dass der frühe Kontakt mit Erdnüssen Kinder vor der Entwicklung von Erdnussallergien schützen kann – selbst, wenn sie später ein ganzes Jahr lang keine Erdnüsse aßen. Die Erdnuss-Esser schienen auch andere Vorteile zu haben: Kinder, die Erdnüsse bis zu ihrem fünften Lebensjahr mieden, hatten häufiger andere Probleme wie Ekzeme und Infektionen der unteren Atemwege.
Ein britisches Forscherteam ist nun einen Schritt weitergegangen und hat sich speziell mit der Frage beschäftigt, wann der beste Zeitpunkt dafür ist, Erdnüsse in den Speiseplan von Säuglingen aufzunehmen, um Allergien zu verhindern. Für die Modellierungsstudie, die im Journal of Allergy and Clinical Immunology erschienen ist, verwendeten die Forscher Daten aus der oben genannten Untersuchung (Learning Early About Peanut Allergy (LEAP)) und zwei weiteren Studien. Sie umfassten sowohl Kinder mit hohem Risiko für die Entwicklung einer Erdnussallergie, als auch Kinder, die ein geringes Risiko haben.
Die Analyse der Daten zeigte, dass die Einführung von Erdnussprodukten in die Ernährung aller Säuglinge bis zum sechsten Lebensmonat die Erdnussallergie in der Bevölkerung um bis zu 77 % reduzieren könnte. Würde man auf Erdnussprodukte bis zum Alter von 12 Monaten warten, würde dies nur zu einer Verringerung um 33 % führen.
„Diese neuesten Erkenntnisse zeigen, dass die Anwendung einfacher, kostengünstiger und sicherer Maßnahmen auf die gesamte Bevölkerung eine wirksame präventive Strategie für die öffentliche Gesundheit sein könnte, die für künftige Generationen von großem Nutzen wäre“, meint der Leiter der Studie, Prof. Graham Roberts über die Ergebnisse der Studie. Das beste Zeitfenster für die Aufnahme des Allergens liege laut der Forscher dabei zwischen dem 4. und 6. Lebensmonat. Für Babys mit Ekzemen empfehlen sie ein Alter von 4 Monaten. In den USA existiert diese Empfehlung bereits.
Moment mal, heißt es nicht von der WHO, Babys sollten in den ersten 6 Lebensmonaten ausschließlich gestillt werden? Erdnüsse haben da eigentlich keinen Platz – oder sollten die Empfehlungen jetzt neu geschrieben werden? Für Alastair Sutcliffe, Professor für Pädiatrie vom University College London, der an der Studie nicht beteiligt war, stößt diese Untersuchung in der Tat eine wichtige Diskussion an. Es sei geradezu ein „Aufruf, dieses Dogma des 6. Lebensmonats zu überdenken“. Denn wenn Eltern nun gesagt werde, dass sie ihrem Baby ab dem 4. Monat feste Nahrung geben können, führe das zu widersprüchlichen Aussagen – und zu verwirrten Eltern. Er hält die Idee, Kinder schon früh an das Allergen zu gewöhnen, für sehr sinnvoll. „Ich glaube, dass diese Arbeit mit ihren eleganten Modellierungen darauf hindeutet, dass eine echte Änderung der Praxis erforderlich ist, damit Säuglinge bei Bedarf schon in jüngerem Alter feste Nahrung erhalten können.“
So einfach ist die Sache mit der Empfehlung allerdings nicht, findet Prof. Mary Fewtrell vom Institute of Child Health am University College London. „Das mag ein vernünftiger Ansatz sein, aber Empfehlungen für die Ernährung von Säuglingen werden nicht nur unter Berücksichtigung eines Ergebnisses wie einer Nahrungsmittelallergie ausgesprochen.“
Sie wirft einige wichtige Fragen in den Raum, wie etwa, ob sich die Empfehlung, Erdnüsse ab dem 4. Monat zu geben, dazu führen könnte, dass Eltern auch andere Lebensmittel früher zuführen – was sich wiederum negativ auf das Stillen auswirken könnte. Fewtrell: „Wie die Autoren betonen, ist hier die Aufklärung sowohl der Angehörigen der Gesundheitsberufe als auch der Eltern wichtig, damit jede Änderung der Empfehlungen wirksam und sicher ist.“ Immerhin: Die vorliegende Arbeit liefere laut Fewtrell nützliche Informationen und wird bei der nächsten Überprüfung der Erkenntnisse zum Thema frühkindliche Ernährung sicherlich berücksichtigt werden.
Was, wenn aber trotz aller Präventionsbemühungen eine Erdnussallergie auftritt? US-Wissenschaftler berichten im New England Journal jetzt über die Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studie, in der bei Erdnussallergie eine epikutane Immuntherapie evaluiert wurde. Sie wurde mit einem Erdnusspflaster appliziert und kommt damit auch für Säuglinge und Kleinkinder in Frage, denen ein solches Pflaster zum Beispiel unkompliziert auf den Rücken geklebt werden könnte. Bisher wird die Erdnuss-Desensibilisierung in Deutschland oral durchgeführt. Das ist relativ aufwändig, vor allem aber ist es für Kinder unter vier Jahren nicht zugelassen.
An der Studie nahmen 362 erdnussallergische Kinder im Alter von einem bis drei Jahren teil. Sie wurden ein Jahr lang täglich beklebt. 85 % hielten das auch über den Studienzeitraum hinweg durch. Der primäre Effektivitätsendpunkt war Behandlungsansprechen, definiert als Anstieg der tolerierten Erdnuss-Antigen-Dosis auf mindestens 1000 mg, wenn die initial tolerierte Dosis größer war als 10 mg, bzw. auf mindestens 300 mg, wenn die initial tolerierte Dosis kleiner war als 10 mg. Das erreichten in der Gruppe mit Verum-Pflastern 67 % der Kinder und in der Gruppe mit Placebo-Pflastern 33,5 %, was signifikant war (95% KI 22,4-44,5; p<0,001). Behandlungsassoziierte Anaphylaxien traten bei 1,6 % der Kinder in der Therapiegruppe auf.
Prof. Dr. Randolf Brehler von der Universitätshautklinik in Münster weist darauf hin, dass die epikutane Desensibilisierung (EPIT) kein ganz neues Prinzip sei: „Die jetzige Studie zeigt, dass die Behandlung bei Kindern im Alter von einem bis drei Jahren durchaus klinische Erfolge zeigt. Die insgesamt vertragene Menge ist allerdings relativ klein und unter der Therapie sind durchaus Nebenwirkungen aufgetreten.“ Brehler glaubt deswegen, dass die orale Therapie trotz Pflaster fortgeführt werden muss, was einiges der Attraktivität einer Epikutantherapie zunichte machen würde. Insgesamt handele es sich aber um eine interessante und wichtige Studie: „Es ist damit zu rechnen, dass auch die epikutane Immuntherapie zugelassen werden wird. Wichtig wird ein Vergleich der Ergebnisse der Therapiemöglichkeiten sein.“
Bisher gibt es für Kinder unter vier Jahren mit Erdnussallergie gar keine zugelassene Immuntherapie. Allerdings seien die Ergebnisse von Studien mit oraler Immuntherapie (OIT) im Kleinkindalter bereits vorgestellt worden, sie seien aber noch nicht publiziert, so Prof. Dr. Kirsten Beyer von der Charité Berlin: „Es gibt zwar keine direkte Vergleichsstudie, aber insgesamt hat man den Eindruck, dass die OIT ein bisschen wirksamer zu sein scheint, aber auch etwas mehr Nebenwirkungen hat als die EPIT. Zum Beispiel brechen ungefähr zehn Prozent der älteren Kinder die OIT ab, vor allem aufgrund gastrointestinaler Beschwerden.“
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Philipp Grätzel.
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