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Können Diabetiker zukünftig auf die Insulin-Spritze verzichten? Forscher sagen: Ja. Gleich zwei neuartige Methoden sind in der Pipeline.
Eine der größten Schwierigkeiten bei der Therapie des Diabetes ist das Verabreichen von Insulin mit Spritze und Pen. Jeder Stich ist mit Schmerzen und gerade bei Neudiabetikern auch mit Ängsten verbunden, sodass die Forschung zur Umgehung der Nadel immer weiter vorangetrieben wird. Doch wird es zukünftig möglich sein, auf diese invasive Verabreichung ganz zu verzichten? Kann man den Typ-1- und Typ-2-Diabetikern hier bereits Hoffnung machen, wenn sie in der Apotheke dazu nachfragen?
Da Insulin ein Peptidhormon ist, ist seine orale Verabreichung bislang nicht möglich, weil es im Magen denaturiert und abgebaut wird. Doch nun haben Wissenschaftler der RMIT University in Melbourne eine Kapsel entwickelt, die vielleicht zukünftig doch eine orale Verabreichung von Proteinmedikamenten möglich machen könnte. Das Forscherteam um Dr. Jamie Strachan entwickelte eine Formulierung, bei der das Insulin, eingebettet in einer kubischen Lipidphase, dem Patienten mit Hilfe einer magensaftresistenten Kapsel verabreicht wird. Strachan erklärte der Presse, dass die spezielle Verkapselung das Medikament im Inneren schützt, sodass es sicher durch den Magen in den Dünndarm gelangen könne.
Die neu entwickelte Kapsel verfügt über eine spezielle Beschichtung, die so konzipiert ist, dass sie in der Umgebung mit niedrigem pH-Wert im Magen nicht zerfällt, bevor der höhere pH-Wert im Dünndarm die Auflösung der Kapsel auslöst. Dabei wird das Insulin selbst in ein fetthaltiges Nanomaterial in der Kapsel integriert, das dabei hilft, das Insulin zu tarnen, damit es die Darmwände passieren kann. Dieses Prinzip ließe sich entfernt mit der Funktionsweise der Covid-Impfstoffe von Biontech und Moderna vergleichen, bei denen die mRNA ebenfalls in Fetten verpackt ist. Dies trage dazu bei, dass die Medikamente während der Abgabe im Körper aktiv und sicher bleiben.
Das Team hat die neue orale Kapsel mit Insulin in einer präklinischen Studie getestet und die Ergebnisse in der internationalen Fachzeitschrift Biomaterials Advances veröffentlicht. Eine der leitenden Forscherinnen, Prof. Charlotte Conn, äußerte sich der Presse gegenüber, dass das Team nun eine Reihe präklinischer Tests an diabetischen Ratten durchführt, um so schnell wie möglich mit klinischen Studien beginnen zu können. Um das Peptidhormon im Körper zu stabilisieren, wurde die Kapsel so konzipiert, dass ihre Lipiddoppelschicht über einer minimalen Oberfläche in drei Dimensionen angeordnet wurde und den Raum in zwei sich gegenseitig durchdringende wässrige Netzwerke unterteilt. Nicht nur für Insulin sei das eine geeignete Lösung, diese neue Technologie könne auch zur oralen Verabreichung anderer Proteinmedikamente genutzt werden. Der Aufbau aus polaren und unpolaren Komponenten sei auch zum Schutz und zur Stabilisierung von eingekapselten Proteinen und anderen Biomolekülen möglich.
Die Wirkung der oral einzunehmenden Insulin-Kapseln wurde bislang sowohl mit schnell als auch mit langsam wirkendem Insulin bewertet. Conn betonte die hervorragenden Absorptionsergebnisse für die langsam wirkende Form, die etwa 50 % besser als die Injektionsverabreichung für die gleiche Insulinmenge war. Bei schnell wirkendem Insulin gab es ebenfalls gute Absorptionsergebnisse, doch im Vergleich zur Injektion war die Wirkung naturgemäß deutlich verzögert. Sie sieht daher die Kapseln mit ihrer bikontinuierlichen kubischen Phase vor allem als Ersatz für langsam wirkendes Insulin. Die Bioverfügbarkeit des Insulins und die Pharmakokinetik war dabei abhängig von der Dicke der magensaftresistenten Beschichtung. Hier könnten sich sogar Möglichkeiten ergeben, die Freisetzungsraten zu steuern. Bei der mit etwa 160 μm dünn beschichteten Kapsel benötigte das Insulin 20–60 Minuten, und bei der 500 μm dick beschichteten Kapsel 75–140 Minuten, um ins Blut zu gelangen.
Eine ganz andere zukunftsweisende Idee zur Therapie des Typ-1-Diabetes ohne Insulinspritzen wurde bei der internationalen Konferenz zu neuartigen Technologien und Behandlungen für Diabetes in Berlin vorgestellt. Es wird intensiv an der Möglichkeit geforscht, die körpereigene Insulinproduktion wieder anzustoßen. Das würde ein großes Plus an Lebensqualität und eine deutliche Verbesserung für eine kontinuierliche Insulinversorgung der Betroffenen bedeuten, ohne Blutzuckerspitzen und die damit verbundenen Folgeerkrankungen. Die Firma Genprex Inc. präsentierte in Zusammenarbeit mit Forschern der University of Pittsburgh eine experimentelle Gentherapie, die bei nicht-menschlichen Primaten gute Ergebnisse erzielt hat.
Bei acht der Primaten wurde künstlich mittels Streptozotocin ein sogenannter toxininduzierter Diabetes mellitus herbeigeführt. Streptozotocin ist ein natürlich vorkommendes von Streptomyces achromogenes gebildetes Antibiotikum, das eine diabetogene Wirkung aufweist, indem es die Betazellen der Bauchspeicheldrüse größtenteils zerstört. Nachdem sie einen Monat lang abgewartet hatten, bis sich der Diabetes tatsächlich manifestiert hatte, wurde den Tieren bei einer offenen OP intraduktal in die Bauchspeicheldrüse eine Infusion aus speziellen Proteinen, gekoppelt an adeno-assoziierte Viren, verabreicht.
Pancreas/duodenum homeobox protein-1 (Pdx1) und V-maf musculoaponeurotic fibrosarcoma oncogene homolog A (mafA) sind Transkriptionsfaktoren, die eine forcierte Expression von spezifischen weiteren Transkriptionsfaktoren auslösen. Nach dieser Behandlung entstanden in der Bauchspeicheldrüse der Primaten neue betazellartige Zellen, die dazu in der Lage waren, im Körper eine Hyperglykämie festzustellen und eine Insulinsekretion auszulösen, um die Normoglykämie wieder herzustellen. Nach der Behandlung konnten ein signifikant gesunkener Insulinbedarf, erhöhte C-Peptid-Werte und eine verbesserte Glukosetoleranz festgestellt werden. Bei einem der Versuchstiere konnte man dadurch sogar drei Monate nach der Gentherapie eine Normoglykämie erreichen. Eine immunhistochemische Untersuchung mittels Insulin- und Glukagonfärbung zeigte im Vergleich zur nicht behandelten diabetischen Kontrolle auch mehr insulinpositive Zellen.
Die Forscher können sich vorstellen, dass diese Gentherapie beim Menschen später auch ohne Operation angewandt werden könnte, um durch diese Betazellen-Neubildung einen langfristigen Ersatz für die untergegangenen Zellen der Bauchspeicheldrüse zu schaffen. Angedacht ist, sie mittels einer endoskopischen retrograden Cholangiopankreatikographie (ERCP) zu verabreichen. Die Hoffnung ist, dass sie auch den Attacken des Immunsystems entgehen und so für immer auf Insulinspritzen – oder auch Insulinkapseln – verzichtet werden kann.
Auch wenn bei beiden Methoden noch einige Zeit ins Land gehen wird, bis sie tatsächlich Marktreife erlangt haben, stellen sie eine vielversprechende Behandlung für beide Diabetes-Typen dar. Wir dürfen also gespannt bleiben, was die Zukunft bringt – und wer weiß, vielleicht können wir in einigen Jahren tatsächlich viele Apothekenkühlschränke für Insulin abschaffen?
Quellen
Strachan J et al., A promising new oral delivery mode for insulin using lipid-filled enteric-coated capsules. Biomaterials Advances, 2023. https://doi.org/10.1016/j.bioadv.2023.213368.
Pressemitteilung: Genprex Announces Groundbreaking Data from Non-Human Primate Study Evaluating Novel Gene Therapy to Treat Type 1 Diabetes at 16th Annual International Conference on Advanced Technologies & Treatment for Diabetes 2023.
Bildquelle: Iona Cristiana, unsplash