Jeder kennt bipolare Störungen. Aber kennt ihr auch die Bipolar-II-Störung? Wie sich die beiden Diagnosen unterscheiden und wie man BP-II richtig behandelt, lest ihr hier.
Die bipolare Störung ist wohl eine der bekanntesten psychischen Störungen. Sie ist u. a. gekennzeichnet durch das Auftreten von manischen und depressiven Phasen. Dabei wird allerdings oft die Unterteilung in die beiden Ausprägungen Bipolar-I und Bipolar-II vergessen. Wie unterscheiden sich die beiden Störungsbilder und was muss bei der Behandlung beachtet werden?
Obwohl die Bipolar-II-Störung seit 1994 im DSM als eigenes Störungsbild vorhanden ist, wissen selbst viele Experten relativ wenig über die Krankheit. Sie wird häufig fehl- oder sogar gar nicht diagnostiziert und wird dementsprechend selten explizit behandelt. Das kann dazu führen, dass Betroffene teilweise bis zu 10 Jahre auf eine korrekte Diagnose warten müssen. Oft wird die Störung als eine weniger schwere Form der Bipolar-I-Störung gesehen. Die aktuelle – zugegeben dünne – Studienlage deutet aber auf einen vergleichbaren Leidensdruck und vergleichbar hohe Suizidalität bei beiden Krankheitsbildern hin.
Die Behandlung erfolgt aktuell, wenn die Diagnose denn überhaupt gestellt wird, meist nach dem Schema der Behandlung einer Bipolar-I-Störung. In einem Review beschäftigten sich Wissenschaftler jetzt mit den wesentlichen Unterschieden in Diagnose und Behandlung.
Für die Diagnose einer Bipolar-II-Störung (BP-II) müssen mindestens eine hypomanische und eine depressive Episode aufgetreten sein. Anders als bei der Bipolar-I-Störung fehlen die manischen Phasen. Alleine in Deutschland leiden etwa 4 % der Bevölkerung an einer solchen Störung. „Trotz der klaren diagnostischen Kriterien für BP-II haben Kliniker in der Praxis Schwierigkeiten, die Krankheit genau zu erkennen“, schreiben die Studienautoren in ihrem Review. Aber warum ist das so?
Die depressiven Phasen einer BP-II-Störung unterschieden sich nicht von regulären depressiven Phasen, weswegen eine Fehldiagnose als Depression häufig vorkomme. Ebenfalls würden die Patienten die hypomanischen Phasen oft schwer von regulärer positiver Stimmung unterscheiden können. Zudem seien gemischte hypomanische Zustände relativ häufig. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Patienten ausschließlich reizbar und wütend fühlen – und keine für die (hypo)manische Phasen oft typischen euphorischen Gefühlszustände verspüren. Vielen Patienten würden deswegen primär wegen depressiver Verstimmung oder depressiven Phasen Hilfe suchen, was die Anzahl der Fehldiagnosen weiter in die Höhe treiben könnte. Häufige Komorbiditäten sind unter anderem Angststörungen oder ADHS.
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich viele Personen mit BP-II nicht an ihre Hypomanie erinnern, sie nicht erkennen oder nicht darüber berichten können, was zu einer Depressions-(Fehl-)Diagnose führt“, so die Studienautoren.
Oft werden BP-I und BP-II gleich behandelt. Im Jahr 2018 versuchten das Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments (CANMAT) und die International Society for Bipolar Disorders (ISBD) Guidelines für die Behandlung von BP-II zu erstellen, mit ernüchternden Ergebnissen: „Die Schlussfolgerung dieser Leitlinien ist, dass es zu wenige kontrollierte Studien bei Patienten mit BP-II gibt, um detaillierte evidenzbasierte Empfehlungen zu geben oder evidenzbasierte Behandlungsalgorithmen zu entwickeln“, so die Studienautoren.
Einen wichtigen Trend konnten die Studienautoren dennoch feststellen: Während die alleinige Therapie mit Antidepressiva in der Behandlung von BP-I nicht zielführend ist, könnten BP-II-Patienten von einer solchen Therapie profitieren. Jedoch bräuchte es auch hier weitere Studien.
„In Ermangelung schlüssiger Daten über die Häufigkeit der Umstellung auf ein anderes Antidepressivum und ohne nachweislich gutes Ansprechen auf eine Monotherapie mit einem Antidepressivum in der Vergangenheit wird in den aktuellen Behandlungsrichtlinien empfohlen, zunächst mit Lithium oder einem Stimmungsstabilisator zu beginnen, bevor eine Monotherapie mit einem Antidepressivum hinzugefügt oder umgestellt wird“, so die Autoren. Außerdem sind die Antipsychotika Quetiapin und Lumateperon (seit 2021) für die Behandlung von BP-II von der FDA zugelassen.
Psychotherapeutische Behandlungen könnten ebenfalls hilfreich sein. Aber auch hier mangelt es an spezifisch für die Behandlung von BP-II zugeschnittenen Studien. Die Autoren schließen, dass es vorläufige positive Belege für kognitive Verhaltenstherapie, Psychoedukation und familienorientierte Therapien sowie Interpersonal and Social Rhythm Therapy (IPSRT) zur Behandlung von BP-II gebe. „Keine dieser Psychotherapien wurde allerdings in randomisierten, kontrollierten Studien speziell für BD-II-Depressionen getestet – mit Ausnahme der IPSRT – was auf den Bedarf an zusätzlicher Forschung in diesem Bereich hinweist.“
Bildquelle: Birmingham Museums Trust, unsplash