Steigende Preise, private Investoren, Work-Life-Konzepte: Wer mit einem Praxiskauf ins Arztleben starten will, hat es derzeit besonders schwer. Oder war das schon immer so?
Die Deutschen werden älter und dabei oft kränker – so weit, so bekannt. Gleichzeitig suchen Berufseinsteiger auch im Gesundheitssektor ihren Lebensinhalt nicht mehr ausschließlich im Job, sondern, ganz verrückt, ebenso im Privaten. Wie vertragen sich diese beiden Entwicklungen?
Nicht besonders gut, wie ein Blick in die aktuelle Versorgungsanalyse des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung zeigt. Dort verzeichne man „einen starken Trend zur Berufsausübung in Anstellung und Teilzeitmodelle gewinnen an Bedeutung. Das heißt, selbst bei steigender Arztzahl kann das tatsächliche Arztangebot in Zukunft sinken.“ Eine Befragung der Apo-Bank unter Ärzten und Apothekern bestätigt die Motive, die für viele gegen eine Neugründung oder einen Praxiskauf sprechen. Vor allem die überbordende Bürokratie (62 %), hohe finanzielle Belastungen (59 %) sowie die Arbeitsintensität (57 %) werden hier genannt. Auf die Frage an angestellte Ärzte, was geändert werden müsse, um sie zur Niederlassung zu bewegen, sagten 63 %, dass vor allem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf (63 %) gewährleistet sein müsste.
Dass diese Problematik nicht bloß vereinzelt auf dem Land stattfindet, verdeutlicht die Tatsache, dass „die ärztliche Niederlassung in 94 % der Fälle durch die Übernahme einer bestehenden Praxis“ vollzogen wird. Auch gehen in den kommenden Jahren rund 20 % aller Praxisinhaber in den Ruhestand. Chance für Neueinsteiger oder nicht zu füllende Lücke?
Erschwert werden Praxisübernahmen laut ärztlicher Aussagen zudem dadurch, dass zwischen den Generationen Welten aufeinanderprallen – zum einen mit Blick auf Arbeits- und Lebensentwürfen und zum anderen bei finanziellen Vorstellungen.
Sollten die Tweets nicht angezeigt werden, bitte einmal die Seite neu laden.Ein ähnliches Bild vom Markt liefern Analysen von Frielingsdorf Consult. Seit über 30 Jahren haben die Ärzteberater einen Blick auf Preise, Preisentwicklungen und die Kauflaune (junger) Ärzte. „Wir beobachten insbesondere bei Hausarztpraxen in ländlichen Lagen bereits seit mehreren Jahren rückläufige Praxisveräußerungserlöse und erwarten auch für die nahe Zukunft keine deutliche Erholung“, erklärt Oliver Frielingsdorf, geschäftsführender Gesellschafter der Frielingsdorf Consult und Sachverständiger für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen und vergleichbarer Einrichtungen des Gesundheitswesens. Demografie, Landflucht und Personalmangel seien wirtschaftliche Größen, die man nicht ignorieren kann – doch die Problematik sei eigentlich längst bekannt. „Die genannten Aspekte wirken negativ auf die Nachfrage nach entgeltlichen Praxisübernahmen und haben damit natürlich einen großen Einfluss auf die realisierbaren Kaufpreise bei der Abgabe von Hausarztpraxen. Jedoch sind diese Entwicklungen natürlich nicht neu, sondern bereits seit einigen Jahren zu beobachten. In der aktuellen Marktlage sind diese Faktoren daher bereits weitgehend eingepreist.“
Auf Twitter regen sich unterdessen Ärzte über vermeintlich gestiegene Durchschnittspreise auf – sind damit aber vermutlich entweder an außergewöhnlich große Praxen oder besonders selbstbewusste Hausärzte geraten. Dass dem nicht wirklich so ist, scheinen auch die Durchschnittspreise zu belegen, die vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) gemeinsam mit der Apo-Bank erfasst wurden. So mussten gewillte Praxiskäufer im Jahr 2020 mit Gesamtkosten (103.800 Euro Übernahme + 65.500 Euro Modernisierungsmaßnahmen und Ausstattung) 169.300 Euro auf den Tisch legen. Gleichzeitig mahnt Frielingsdorf, dass diese Werte für den jeweiligen Kauf kaum eine Bedeutung haben: „Durchschnittspreise für Praxen sind nicht aussagekräftig. Die Preise streuen sehr stark, je nach Ertragskraft einer Praxis und nach Lage.“
Ein weiteres Problem, mit dem kaufwillige Ärzte zu kämpfen haben, ist das zunehmende Engagement von Großinvestoren und Private-Equity-Unternehmen, die in den Gesundheitsmarkt dringen – teils mit dem einzigen Ziel der gewinnbringenden (Weiter-)Verkauf (wir berichteten). „Die Praxisveräußerungserlöse beim Verkauf einer Praxis an Investoren liegen statistisch im Durchschnitt über denjenigen Preisen, die beim Verkauf an einen freiberuflichen Nachfolger realisierbar sind. Denn Investoren mit einer Vielzahl von Praxen können häufig Synergien nutzen und somit höhere Kaufpreise finanzieren. Dem möglicherweise höheren Kaufpreis gegenüber steht meistens eine mehrjährige Tätigkeit als angestellter Arzt. Jeder Praxisinhaber muss hier seine persönliche Entscheidung treffen und Prioritäten setzen“, berichtet Frielingsdorf.
Wie akut das Problem ist und wie stark Investoren trotz politischer Gegenmaßnahmen in den Markt drängen, hat jüngst die Stiftung Gesundheit in einer Umfrage ermittelt. So haben 11,7 % der Niedergelassenen bereits ein Kaufangebot durch einen Investor erhalten. Am beliebtesten seien Facharztpraxen, gefolgt von Zahnärzten – und jedes neunte Angebot ging an einen Hausarzt. „Finanz-Investoren sind ebenso wenig Heilsbringer, wie die Praxis in Privatbesitz ein Garant für Leistung und Qualität ist. Und spätestens da, wo sich kein Nachfolger für eine Praxis finden lässt, ist ein Verkauf an einen Investor möglicherweise auch für die betroffenen Patienten eine bessere Lösung als eine komplette Schließung“, beschreibt Prof. Konrad Obermann, Forschungsleiter der Stiftung Gesundheit, einen möglichen Vorteil von Investoren.
Dass sich private Käufer einen guten Überblick verschaffen sollten und sich gegen Investoren mit großen Geldreserven durchsetzen müssen, macht es nicht einfacher – zumal rund 40 % der befragten Ärzte auch an Investoren verkaufen würde, wenn die Konditionen stimmen. Doch auch die Wirtschaftsunternehmen schlagen nicht immer mit den passenden Angeboten auf und versuchen, unter Wert zu kaufen. „Die mir bekannten Angebote von Investoren decken den tatsächlichen Wert [der Praxis] nur zu einem erschreckend kleinen Teil ab“, war die häufigste Antwort darauf, warum es nicht zur Einigung beim Praxiskauf kam.
In die Zukunft sehen die Experten trotzdem hoffnungsvoll und verweisen darauf, dass es sich gerade auf dem Land lohnen kann, in die Eigenständigkeit durchzustarten – privaten Herausforderungen zum Trotz. „Wer als junger Hausarzt bereit ist, seine Zelte auch abseits der Metropolen aufzuschlagen, der findet dort häufig ein Eldorado vor. Er wird dort mit offenen Armen empfangen, wertgeschätzt und unterstützt. Hausärztliche Praxen in regionalen Lagen können außerordentlich lukrativ sein. Dazu kommen die Anerkennung und Wertschätzung von Bevölkerung und Politik. Wer dort eine halbwegs modern eingerichtete und gut laufende Hausarztpraxis von einem Kollegen übernehmen kann, erspart sich zudem durch den Kaufpreis die mühsame Aufbauarbeit. Ein Praxisübernehmer kann (anders als der Neugründer) sofort loslegen und seine Vorstellungen von hauärztlicher Patientenversorgung und Praxisführung umsetzen.“
Und auch für die Generation der baldigen Ruheständler hat Frielingsdorf einen Rat: Bei der Abgabe der eigenen Praxis brauche es – im Sinne der eigenen finanziellen Interessen, im Sinne der Patienten, wie auch der Praxis selbst – eine strategische Nachfolgeplanung. Die solle damit beginnen, dass man sich im Klaren über seinen persönlichen Eintritt in den Ruhestand ist. „Sodann sollte heute bereits mehrere Jahre vor der geplanten Praxisabgabe mit der Nachfolgersuche begonnen und ggf. frühzeitig ein Kandidat in die Praxis eingebunden werden (bspw. als angestellten Arzt). Wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die Nachfolgersuche beginnen muss, hängt also davon ab, wann der Praxisinhaber in den Ruhestand gehen möchte.“
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