Eine 53-jährige Frau stellt sich mit anhaltendem, trockenem Husten und weiteren unspezifischen Symptome beim Hausarzt vor. Die Diagnose überrascht.
Seit bereits mehreren Wochen plagt die Frau ein rezidivierender, trockener Reizhusten. Zuletzt hatte sie auch noch hartnäckige, wässrige Durchfälle entwickelt und ständig ein gerötetes Gesicht. Fieber oder andere typische Symptome für einen Infekt werden verneint, das Gewicht der Patientin sei stabil, über Nachtschweiß klagt sie ebenfalls nicht. Geraucht hat sie zuletzt vor 35 Jahren. Im Ausland war sie pandemiebedingt in den vergangenen Jahren auch nicht. Der Hausarzt entscheidet sich zu einer Röntgenuntersuchung, in welcher sich eine periphere Raumforderung der Lunge zeigt. Es erfolgt eine Krankenhauseinweisung auf Grund des Verdachts auf einen Tumor der Lunge, in weiterer Folge gelingt bronchoskopisch eine Probenentnahme.
In der histologischen Aufarbeitung durch den Pathologen zeigt sich allerdings wider Erwarten kein gewöhnliches klein- oder nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom. Stattdessen kommt ein neuroendokriner Tumor (NET) der Lunge zur Darstellung, ein sogenanntes Lungenkarzinoid, genau genommen in diesem Fall ein atypisches Karzinoid.
NET zählen zu den seltenen Erkrankungen, umgangssprachlich auch Zebras genannt in Anlehnung an das Zitat „Wenn du Hufgetrampel hörst, sind es wahrscheinlich Pferde, keine Zebras“, die dazu ermahnen soll, primär an geläufige, statt exotische Diagnosen zu denken. Nichtsdestotrotz ist die Kenntnis seltener Erkrankungen – die in der EU über eine Inzidenz von maximal 5/10.000 definiert sind – unerlässlich, handelt es sich doch häufig um bedrohliche, aber zugleich auch weniger erforschte Erkrankungen. NET der Lunge bzw. Lungenkarzinoide sind mit einer Inzidenz von etwa 0,5/100.000 zwar in der Tat selten, aber insgesamt kommt es damit doch zu 400–500 jährlichen Fällen in Deutschland.
Klinisch handelt es sich bei NET um maligne Entartungen von Zellen des neuroendokrinen Systems. Am häufigsten sind sie im Gastrointestinaltrakt und der Bauchspeicheldrüse (gastroenteropankreatische NET, GEP-NET) lokalisiert. Karzinoide der Lungen sind für etwa 25 % aller NET verantwortlich, während sie nur 1 % aller malignen Lungentumoren ausmachen. Histologisch werden besser differenzierte NET von den schlecht differenzierten und deutlich aggressiveren neuroendokrinen Karzinomen (NEC) abgegrenzt, im Falle der Lunge sind dies die häufigeren klein- (SCLC) sowie großzelligen Lungenkarzinome.
Was NET besonders macht, ist auf Grund ihres Ursprungs im neuroendokrinen System die Fähigkeit, ggf. hormonell aktiv zu sein. Dies führt dann vor allem durch die Sekretion von Serotonin häufig zu einem sogenannten Karzinoid-Syndrom. Wenngleich dies bei Karzinoiden der Lunge nur sehr selten auftritt (1 %), ist es in dem zuvor geschilderten Fall aber die Ursache der Durchfälle sowie wiederkehrenden Hautrötungen (Flush) der Patientin. Da NET trotz ihrer grundsätzlichen Malignität häufig nur eine geringe Proliferationsrate aufweisen, ist ihre Prognose oft besser als bei anderen Tumorerkrankungen. Die Prognose von sowohl typischen als auch atypischen Karzinoiden der Lunge ist stadienabhängig gut, mit einem 5-Jahres-Überleben von bis zu 80 % nach kompletter chirurgischer Resektion. In dieser besteht in aller Regel auch die primäre Therapie eines Lungenkarzinoids. Eine adjuvante Systemtherapie ist – mit Ausnahme von individuellen Entscheidungen in Fällen mit fortgeschrittener Lymphknotenmetastasierung (N2) – grundsätzlich nicht empfohlen, nachdem verschiedene Studien keinen entsprechenden Nutzen belegen konnten. Auf Grund des langsamen Wachstums von NET ist allerdings anschließend eine lebenslange systematische Nachsorge empfohlen.
In den Fällen, in denen die Erkrankung nicht kurativ chirurgisch versorgt werden kann – sei es auf Grund von zu großer Ausdehnung des Tumors, disseminierten Fernmetastasen in anderen Organen oder Begleiterkrankungen, die eine OP verbieten –, stehen verschiedene systemische Behandlungsoptionen zur Verfügung. Da NET häufig Somatostatin-Rezeptoren exprimieren, was auch im Staging mittels Somatostatin-Rezeptor-Szintigraphie (SRS) ausgenutzt wird, können häufig als erste Therapielinie Somatostatin-Analoga zum Einsatz kommen. Im Progressfall kann darüber hinaus der mTOR-Inhibitor Everolimus verwendet werden oder aber, insbesondere wenn eine rasche Remission induziert werden soll, die Tumorlast oder Proliferationsrate hoch ist, auch eine konventionelle zytostatische Chemotherapie zum Einsatz kommen (z. B. Streptozotocin/5-FU, Capecitabin/Temozolomid, oxaliplatinhaltige Kombinationen, ggf. auch Therapieschemata des SCLC). Ein spezielles nuklearmedizinisches Therapieverfahren ist die Peptid-Radiorezeptor-Therapie (PRRT), welche abermals den Besatz mit Somatostatin-Rezeptoren ausnutzt, um über diese ein radioaktiv strahlendes Medikament an den Tumor anzudocken. Voraussetzung hierfür ist, dass in der SRS eine entsprechende Rezeptor-Exprimierung nachgewiesen werden konnte.
Quellen
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