Schon wieder schwappt ein Gesundheitstrend aus den USA zu uns rüber: Diesmal geht es um Bodybuilding. Wie gefährlich sind die selektiven Androgenrezeptor-Modulatoren?
Geht man einkaufen, sieht man überall High-Protein-Produkte, die beim Abnehmen und gezielten Muskelaufbau helfen sollen. Der Trend zum gestählten Körper wird auch über die sozialen Medien befeuert, allen voran Instagram oder TikTok, wo man den Eindruck bekommt, dass man mit einem normalen Körperbau eher zu den Losern der Gesellschaft gehört. Immer schwerere Geschütze werden im Kampf gegen den eigenen Körper aufgefahren. Auch in den Apotheken kommt dieser Trend natürlich an – langsam, aber spürbar. Waren es vor Jahren vor allem die Abnehmpulver und -tropfen, sind es nun häufig entweder die Semaglutid-Spritzen zum Abnehmen oder Nahrungsergänzungsmittel zum Muskelaufbau, die angefragt werden. Aus den USA schwappt dabei ein gefährlicher Trend zu uns herüber: SARM. Eine Abkürzung, die wir uns merken sollten.
SARM, was ist das eigentlich? Es steht für selektive Androgenrezeptor-Modulatoren (namentlich unter anderem Ostarin, Ligandrol und Andarin), die angeblich ohne die bekannten Nebenwirkungen von Anabolika dabei helfen sollen, die Muskulatur schneller aufzubauen. Wie so oft in der Szene ist aber durchaus Schatten zu finden, wenn das helle Licht des einfachen Muskelaufbaus lockt: Die FDA warnt derzeit wieder einmal vor den Nebenwirkungen der SARM, die durchaus nicht so ungefährlich sind, wie es auf den ersten Blick vielleicht aussehen mag.
Die niedermolekularen Verbindungen von Ostarin (syn. Enobosarm) und Andarin binden an die Androgenrezeptoren des Körpers mit einer etwa zehnfach höheren Bindungsaffinität im Vergleich zu Testosteron und ähneln in ihrer Wirkung damit androgenen und anabolen Steroiden. Anabole Gewebe sprechen bei den SARM stärker an als beispielsweise die Prostata, was so manche Unterschiede in den Nebenwirkungen ausmacht. In klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass Ostarin eine gewebeselektive anabole Wirkung in Muskeln und Knochen hat und gleichzeitig anderes androgenes Gewebe verschont. Bei Frauen ist daher offensichtlich kein Haarverlust, bei Männern keine negativen Auswirkungen auf die Prostata zu befürchten.
Ursprünglich sollte mit den SARM nur zur Behandlung von Muskelatrophie geforscht werden, doch die Sportlerszene hatte natürlich sehr schnell ein Auge auf diese neue und vielversprechende Substanzklasse geworfen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat schon am 1. Januar 2008 die Einnahme von SARM als verboten erklärt. Weder in Europa noch in den USA sind sie als Arznei- oder Nahrungsergänzungsmittel zugelassen. Ab einer mitgeführten Menge von 90 mg macht man sich außerdem strafbar.
Wie bei Anabolika ist daher Beschaffungskriminalität für diejenigen ein Thema, denen es nicht um die Steigerung der Muskelmasse zur Verbesserung sportlicher Leistungen im Wettbewerbsbereich geht, sondern die SARM vor allem nutzen wollen, um den eigenen Körper in ihren Augen optimal zu modellieren. Dass diese Substanzklasse recht einfach im Urin nachgewiesen werden kann, ist für sie nebensächlich. Die FDA beklagt in ihrem aktuellen Aufruf, dass Social-Media-Beiträge von Influencern und Verkäufern von SARM zur Verfügbarkeit und Werbung für diese gefährlichen Produkte beitragen. Ganz gezielt sollen dabei Teenager und junge Erwachsene angesprochen werden, dabei wird die Gefährdung, die bei Missbrauch dieser Substanzen auftritt, verharmlost und heruntergespielt. Explizit werden als Nebenwirkungen genannt:
Die FDA ermutigt medizinisches Fachpersonal und Verbraucher, alle unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit SARM-Produkten zu melden. Auch in Deutschland ist es sinnvoll, dem BfArM eine Meldung zu machen, wenn entsprechende Beschwerden von Verwendern geäußert werden. Das ist selbstverständlich auch anonym möglich. Nur so kann man zumindest über die Anzahl der eingegangenen Meldungen erkennen, wie groß oder wie klein das SARM-Problem hierzulande bereits ist. Auch das BfArM warnte vor der Einnahme von SARM im Zusammenhang mit der ansteigenden Rate an Depressionen im Bulletin für Arzneimittelsicherheit vom März 2023. Es sieht in der Aufklärung über die Gefahren dieser Substanzklasse einen wichtigen Aspekt der präventiven Dopingaufklärung im Leistungssport. Am BfArM wird außerdem bereits zusammen mit dem Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) der Einfluss von Steroidhormonen auf das Proteom von neuronalen Zellen untersucht. Dass die Einnahme von Dopingmittels in Fitnessstudios ein Problem darstellt, wissen wir spätestens seit einer Studie der Uni Lübeck, die allerdings auch schon ein paar Jahre älter ist.
Das Problem hat sich seither eher verschlechtert, die Konsumenten werden immer jünger und der Frauenanteil steigt ebenfalls. Da die SARM nicht einmal, wie andere Anabolika, injiziert werden müssen, sondern oral eingenommen werden können, fallen hier weitere Hemmschwellen. Eine Injektion hat vielleicht noch den ein oder anderen davon abgehalten, zu versuchen, ohne viel Zeit- und Kraftaufwand die maximale Muskelmasse herauszuholen.
Wie kann hier die Apotheke helfen, Aufklärung zu betreiben? Auf Internetseiten, wo die SARM zum Kauf angeboten werden, finden sich Aussagen wie „kaum Nebenwirkungen“, „fast alle androgenbedingten Nebenwirkungen werden ausgeschalten“ oder „wurden von großen Pharmaunternehmen erforscht und entwickelt, um wirksame Medikamente, zum Beispiel gegen Muskelschwund im Alter oder nach Operationen, auf den Markt zu bringen. Es sollte damit eine Therapieform geschaffen werden, die Muskelwachstum begünstigt – ohne die negativen androgenen Nebenwirkungen“.
Kommt ein Kunde in die Apotheke, um das zu verifizieren, ist es sinnvoll, wenn man darüber aufklärt, dass diese Aussagen extrem verharmlosend sind und dass es noch ein weiter Weg ist, bis die SARM tatsächlich als Medikament eingesetzt werden können. Die Langzeitfolgen sind praktisch unbekannt. Eine Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen ist ebenfalls denkbar. Auch wenn die Apotheke vor Ort eher nicht der erste Anlaufpart der Bodybuilderszene ist – es bestellt sich eben im Internet deutlich anonymer – das ein oder andere Mal kommt auch das pharmazeutische Personal in Kontakt. Meist dann, wenn Spritzen und Kanülen verlangt werden. Hier könnte man vorsichtig nachhaken oder wenigstens versuchen, eine vertrauensvolle Basis aufzubauen, um über die Risiken aufzuklären. Jede Form der Intervention ist besser, als nur stumm die gewünschte Ware über den HV zu reichen.
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