Macht Fluorid dumm? Zumindest in Deutschland besteht darüber klarer wissenschaftlicher Konsens. Eine Studie rüttelt jetzt am Status quo.
Fluorid – neurotoxisch oder nicht? Das wird immer wieder gerne diskutiert – auch wir haben schon über das Thema berichtet. Stein des Anstoßes sind Studien, die einen Zusammenhang zwischen erniedrigtem IQ und Fluorid im Trinkwasser herstellen. Diese kommen jedoch aus Ländern mit natürlich sehr hohen Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser oder Ländern wie Kanada oder den USA, in denen das Trinkwasser zum Zwecke der Kariesprophylaxe gezielt fluoridiert wird.
Eine sehr prominente Studie dieser Art stammt aus Kanada: Green et al. berichteten 2019, dass eine höhere Fluoridkonzentration im Urin von Müttern mit leicht verringerten IQ-Werten ihrer Kinder einhergehe. An der Studie gab es verschiedene Kritikpunkte – fehlende Berücksichtigung wichtiger Störfaktoren oder eine schlechte Vergleichbarkeit der IQ-Test-Ergebnisse beispielsweise. So bleibt die Evidenz für diese These also dünn – zumindest in Gebieten wie in Deutschland, wo die Fluoridkonzentration in der Regel unter 0,3 mg/L liegt, ist nichts zu befürchten.
Die gleiche kanadische Gruppe bleibt aber an dem Thema dran. Sie lieferte nun eine neue Auswertung der gleichen Studienkohorte von 2019, die ihre Befunde um einen plausiblen Mechanismus ergänzen soll. So gibt es nämlich Literatur, die zeigt, dass Fluorid die Schilddrüsenfunktion herabsenken könnte. Auch in der Literatur bekannt ist ein Zusammenhang zwischen der Schilddrüsenfunktion der Mutter und der Intelligenz ihrer Kinder: Hypothyreose in der Schwangerschaft heißt womöglich kleinerer IQ bei ihren Babys. Lässt sich dieser Zusammenhang in der kanadischen Schwangerenkohorte also wiederfinden?
Unter den Teilnehmerinnen der Maternal-Infant Research on Environmental Chemicals Kohorte wurden 1.508 Frauen zur Analyse ausgewählt, über die Informationen zum Schilddrüsenstatus vorlagen. Die Frauen kamen aus 10 verschiedenen kanadischen Städten, von denen 7 über fluoridiertes Leitungswasser verfügten – 912 der Teilnehmerinnen kamen aus solchen fluoridierten Städten. Die ausgewählten Frauen hatten alle angegeben, während ihrer Schwangerschaft Leitungswasser getrunken zu haben. Die über den Verlauf der Schwangerschaft gemittelte Fluoridkonzentration im Leitungswasser ihres Wohnortes konnte aus den Angaben der lokalen Wasserwerke ermittelt werden. TSH und freies T4 (fT4) wurden in mütterlichen Plasmaproben im ersten Trimester erhoben; Frauen mit einer Überfunktion wurden von der Analyse ausgeschlossen.
Entsprechend ihrer Schilddrüsenwerte wurden die Frauen als euthyreot (TSH = 0,1–2,5 mIU/mL; fT4 = 11–17 pg/mL), subklinisch hypothyreot (TSH = 2,5–10 mIU/mL; fT4 = 11–17 pg/mL) oder primär hypothyreot (TSH > 2,5 mIU/mL; fT4 < 11 pg/mL) eingeteilt. Auch Frauen, die schon vor der Schwangerschaft einmal mit einer Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert wurden, wurden in letztere Gruppe eingeordnet. Von den 1.508 Teilnehmerinnen hatte der Großteil eine normale Schilddrüsenfunktion (1.301), bei 100 wurde eine subklinische Hypothyreose (SH) und bei 107 eine primäre Hypothyreose festgestellt (PH).
Die Frauen der PH-Gruppe waren im Schnitt 1 Jahr älter als die anderen Studienteilnehmerinnen, hatten vor Beginn der Schwangerschaft einen höheren BMI und gebaren weniger häufig Jungen als die Frauen der anderen beiden Gruppen. Außerdem waren sie öfter in den fluoridierten Gemeinden anzutreffen: 8,4 % der in fluoridierten Gemeinden lebenden Frauen wurden als PH eingestuft, während es in den nicht fluoridierten Städten nur 5 % waren. Die tägliche Fluoridexposition im Wasser lag im Durchschnitt für alle Frauen bei 0,41 mg/L (SD 0,26); bei Frauen mit PH war sie mit durchschnittlich 0,48 mg/L (SD 0,24) leicht, aber signifikant erhöht.
Nach Anpassungen um Störfaktoren wie das Alter, Bildungsstand und BMI vor der Schwangerschaft errechneten die Forscher ein um 65 % erhöhtes Risiko, während der Schwangerschaft eine Hypothyreose zu haben, wenn die Fluoridkonzentration im Trinkwasser um 0,5 mg/L ansteigt. Diese Konzentration entspricht dabei dem Expositionsunterschied zwischen einer fluoridierten und einer nicht fluoridierten Gemeinde.
Über Selbstauskünfte der Frauen aus dem ersten und dritten Trimester versuchten die Forscher auch die tägliche Fluoridaufnahme in Form von Leitungswasser und zusätzlichen Nahrungsquellen wie Tee und Kaffee zu ermitteln. Die benötigten Daten lagen aber nicht bei allen Frauen der Studienkohorte vor, nur bei 996 war so eine Einschätzung möglich. Hier kamen die Forscher auf eine durchschnittliche Aufnahme von 0,66 mg/Tag (SD 0,50). Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Fluoridaufnahme und der Schilddrüsenfunktion ließ sich allerdings nicht ermitteln. Auch der Fluoridgehalt im Urin, der in Einzelmessungen über den Schwangerschaftsverlauf ermittelt wurde, stand in keinem Zusammenhang mit Schilddrüsenunterfunktionen. Für die SH-Frauen ergab sich bei keinem der drei möglichen Endpunkte ein statistisch signifikanter Zusammenhang.
Offensichtlich sind die Angaben zur Fluoridaufnahme und der Fluoridkonzentration im mütterlichen Urin nicht sonderlich belastbar, da sie auf Selbstauskünften und Einzelmessungen beruhen. Die Studienautoren geben daher zu bedenken, dass der Fluoridgehalt im Trinkwasser, der sich zeitlich gut nachvollziehen lässt und nur geringfügigen Schwankungen unterliegt, möglicherweise ein besserer Indikator für eine langfristige Fluoridexposition sein könnte. Eine nachvollziehbare Argumentation – aber auch bemerkenswert, da die eingangs erwähnte Studie des gleichen Labors, die 2019 zum Schluss kam, dass eine erhöhte Fluoridbelastung der Mutter mit einem niedrigerem IQ ihrer männlichen Kinder zusammenhängt, sich auf Urinspiegel gestützt hatte.
Die Autoren kommen zum Schluss: Eine Fluoridexposition über das Trinkwasser kann das Risiko einer Schilddrüsenunterfunktion bei Schwangeren erhöhen. Auf die Allgemeinbevölkerung übertragen lässt sich das Ergebnis allerdings nicht ohne Weiteres. Die Autoren selber weisen darauf hin, dass die gesamte Studienkohorte allgemein älter und gebildeter war. Außerdem war der Anteil Probandinnen, die in fluoridierten Gegenden wohnten, mit rund 60 % ungewöhnlich hoch; in der allgemeinen kanadischen Population liegt dieser Anteil eigentlich bei 38 %. Auch der Anteil hypothyreoter Probandinnen war mit 6,1 % recht hoch; üblicherweise wird die Prävalenz in nordamerikanischen Gebieten auf 0,7–3 % der Bevölkerung geschätzt.
Abschließend wollten die Autoren noch überprüfen, ob sich die erniedrigte Schilddrüsenfunktion ihrer Probandinnen auch tatsächlich negativ auf den kindlichen IQ auswirkte. Der IQ der Kinder wurde im Alter von 3–4 Jahren im Rahmen einer freiwilligen Follow-Up-Studie erhoben, an der aber nur ein kleiner Teil der untersuchten Frauen teilgenommen hatte. Bei nur 439 verfügbaren Mutter-Kind-Paaren hatte diese Untersuchung lediglich exploratorischen Charakter. Der durchschnittliche Full Scale IQ aller 439 Kinder mit euthyreoten oder primär hypothyreoten Müttern lag bei 108 (SD 19), wobei die Kinder mit hypothyreoten Müttern im Schnitt 4,45 Punkte schlechter abschnitten (95 % CI: -9,17–0,26). Dies betraf vor allem die Söhne hypothyreoter Mütter, deren IQ sogar 8,42 (95 % CI -15,33–(-1,50)) Punkte geringer war als der männlicher Kinder euthyreoter Mütter. Für Mädchen ließ sich hingegen kein signifikanter Unterschied feststellen.
Diese Ergebnisse sind allerdings mit einem sehr großen Fragezeichen versehen. Als allererstes fällt die geringe Probandenzahl auf: Von den ohnehin schon nur 439 Kindern hatten nur 28 eine hypothyreote Mutter – statistische Power sieht anders aus. Dann ist da natürlich das übliche Cave einer Beobachtungsstudie: Es könnten immer noch weitere Störfaktoren vorliegen. Zwar wurden die Werte beispielsweise um Alter und Bildungsstand der Mutter oder Exposition zu Zigarettenrauch korrigiert, aber andere bekannte Faktoren, die einen Einfluss auf die IQ-Entwicklung des Kindes haben können, wurden nicht erhoben, beispielsweise das Geburtsgewicht oder ob das Kind gestillt wurde. Auch der Zeitpunkt des IQ-Tests könnte eine maßgebliche Rolle spielen: Zwischen 3 und 4 Jahren macht ein Kind große Entwicklungsschritte und wann genau der IQ erhoben wird, dürfte entsprechend einen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis haben. Wie schon bei der Vorgängerstudie von 2019 lässt sich auch hier die klinische Relevanz der IQ-Abweichung anzweifeln, da diese deutlich unter der Standardabweichung des Durchschnittswertes liegt.
Was kann man aus der Studie also mitnehmen? Dass die Evidenz für einen neurotoxischen Effekt bei pränataler Fluoridexposition nach wie vor sehr dünn ist, zumindest bei niedrigen Expositionen wie in unseren Breitengraden. In Deutschland liegt die Fluoridkonzentration der meisten Trinkwässer unter 0,3 mg/L – und damit unter dem Durchschnittswert der kanadischen Studie. Um also einen Effekt von mütterlicher Fluoridexposition auf den kindlichen IQ zu belegen, werden auf jeden Fall mehr und vor allem besser gemachte Studien benötigt.
Im besten Fall unterstützt diese Studie dennoch den auch hierzulande vertretenen Standpunkt, dass die Fluoridierung vom Trinkwasser eine schlechte Idee ist. Denn die Dosierung des Einzelnen ist auf diesem Weg schlicht nicht steuerbar und so kann es leicht zu Überdosierungen kommen. Gerade bei Kleinkindern ist das schnell geschehen – die Folge ist das vermehrte Auftreten von Dentalfluorosen.
Quellen:
Bildquelle: Caleb Woods, Unsplash