Die psychische Gesundheit kann unter Stress im Arbeitsleben leiden. Was sich Ärzte von Lehrern abgucken können, das lest ihr hier.
Lehrkräfte stellen seit Jahrzehnten die größte Berufsgruppe (10 %) unter den Patienten in psychosomatischen Kliniken dar. Angesichts der enormen wechselseitigen Belastungen des Lehrerberufes, bedarf es bestimmter Fähigkeiten im Umgang mit den eigenen Ressourcen und Stress, um langfristig gesund zu bleiben. Leider werden diese Kompetenzen in der Lehrerausbildung bisher nicht ausreichend gelehrt.
Seit dem Jahr 2004 wurde eine umfangreiche empirische Erhebung durchgeführt, um Muster und Strategien zur Stressbewältigung bei Lehrkräften zu untersuchen und dabei die Unterschiede zwischen erkrankten und gesunden Lehrkräften zu berücksichtigen. Basierend auf dem Vergleich zwischen gesunden und erkrankten Lehrkräften wurde das Programm AGIL (Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf) entwickelt.
Dieses Gruppen-Präventionsprogramm besteht aus acht Doppelstunden und richtet sich an 8 bis 12 Teilnehmer. Es umfasst vier Module, die auf den empirisch fundierten Unterschieden zwischen gesunden und kranken Lehrkräften aufbauen. Der Aufbau des Programms umfasst folgende Schritte:
Modul 1 Basismodul: Sensibilisierung und Achtsamkeit
In diesem Modul werden die Teilnehmer sensibilisiert für Stresssymptome und lernen, achtsam mit ihren eigenen Bedürfnissen umzugehen. Es werden Techniken zur Stressreduktion und Entspannung vermittelt.
Modul 2 „Denkbarkeit“: Erkennen und Entschärfen von stressverstärkenden Denkmustern
Hier werden den Teilnehmern die Zusammenhänge zwischen Gedanken, Emotionen und Stress verdeutlicht. Sie lernen, negative Denkmuster zu erkennen und durch positive Gedanken zu ersetzen, um so ihre Resilienz zu stärken.
Modul 3 Möglichkeiten: Strategien zur Belastungsbewältigung
In diesem Modul werden den Teilnehmern verschiedene Bewältigungsstrategien vermittelt, um mit beruflichem Stress umzugehen. Sie lernen effektive Zeitmanagementtechniken, Kommunikationsfähigkeiten und Selbstfürsorgepraktiken kennen.
Modul 4 Erholung: Reflexion des individuellen Erholungsverhaltens
Im letzten Modul werden die Teilnehmer dazu angeregt, ihr individuelles Erholungsverhalten zu reflektieren und gegebenenfalls anzupassen. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie ihre Erholungsphasen optimal gestalten können, um ihre Energie und Motivation im Lehrerberuf aufrechtzuerhalten.
Durch diesen strukturierten Aufbau erhalten die Teilnehmer eine ganzheitliche Schulung, die ihnen langfristig hilft, mit den Herausforderungen des Lehrerberufs umzugehen und ihre Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern.
Der Arztberuf ist mit einer Vielzahl von Herausforderungen und einem hohen beruflichen Stressniveau verbunden. Ärzte stehen unter enormem Druck, Entscheidungen zu treffen, mit hohen Arbeitslasten umzugehen und gleichzeitig für das Wohlergehen ihrer Patienten zu sorgen. Es gibt eine Vielzahl von Studien auf internationaler Ebene, die darauf hinweisen, dass Ärzte ein erhöhtes Risiko für Burnout, Depression und Substanzkonsum haben. Laut diesen Studien liegt die Punktprävalenz für eine klinisch relevante depressive Störung bei Ärzten in Deutschland zwischen 6 % und 13 %, während die Lebenszeitprävalenz bei 41 % bis 45 % liegt. Im Vergleich dazu liegt die 12-Monats-Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung bei 4,5 % bis 8,5 % und die Lebenszeitprävalenz zwischen 9,9 % und 14,5 %.
Des Weiteren haben Medizinstudenten ein erhöhtes Risiko für Depression. Der Stress und die Belastungen während des Studiums können zu psychischen Problemen führen. In Anlehnung an das AGIL-Programm gibt es Potenzial, ein ähnliches Programm zu entwickeln, das Ärzte bei der Stressbewältigung und Förderung der Selbstfürsorge unterstützt.
Das AGIL-Programm könnte speziell auf die Bedürfnisse von Ärzten zugeschnitten werden und ihnen wirksame Strategien zur Bewältigung des beruflichen Stresses vermitteln. Hier sind einige mögliche Aspekte, die in einem solchen Programm berücksichtigt werden könnten:
Stresserkennung und Achtsamkeit: Ärzte könnten lernen, ihre eigenen Stressreaktionen zu erkennen und achtsame Praktiken zu integrieren. Durch Achtsamkeitstechniken wie Meditation, autogenes Training oder bewusstes Atmen könnten sie ihre Gegenwart und Konzentration verbessern. Dies ermöglicht es ihnen, stressige Situationen mit größerer Gelassenheit zu bewältigen und ihre eigene Gesundheit zu schützen.
Selbstreflexion und Selbstfürsorge: Ärzte könnten angeleitet werden, ihr eigenes Verhalten und ihre Denkmuster zu reflektieren. Das Programm könnte ihnen helfen, die Bedeutung der Selbstfürsorge zu erkennen und konkrete Schritte zur Verbesserung ihrer Work-Life-Balance zu unternehmen. Indem sie Zeit für Ruhe, Erholung und ihre persönlichen Interessen reservieren, könnten Ärzte ihre Energie und Motivation langfristig aufrechterhalten.
Effektive Kommunikation und Teamarbeit: Das Programm könnte Ärzten helfen, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern und effektiv mit ihrem Team zu interagieren. Durch klare und respektvolle Kommunikation könnten sie Missverständnisse minimieren, Konflikte lösen und ein unterstützendes Arbeitsumfeld schaffen. Dies trägt zur Reduzierung von Stress und Verbesserung der Zusammenarbeit bei.
Strategien zur Arbeitsorganisation und Priorisierung: Ärzte könnten lernen, ihre Zeit effizienter zu nutzen und ihre Arbeitsbelastung besser zu bewältigen. Das Programm könnte ihnen dabei helfen, Prioritäten zu setzen, Aufgaben zu delegieren und realistische Erwartungen an sich selbst zu haben. Dadurch könnten Ärzte ihre Effektivität steigern und Überlastungssituationen vorbeugen.
Resilienzförderung und Stressbewältigung: Das Programm könnte Ärzten helfen, ihre Resilienz zu stärken und Techniken zur Stressbewältigung zu erlernen. Durch den Aufbau von resilienten Denkmustern und Bewältigungsstrategien könnten Ärzte mit den Herausforderungen des Berufs besser umgehen und psychischer Erschöpfung vorbeugen.
Das AGIL-Programm, das ursprünglich für Lehrkräfte entwickelt wurde, zeigt vielversprechende Ansätze zur Unterstützung von Ärzten und Medizinstudierenden bei der Stressbewältigung und Förderung der Selbstfürsorge. Durch die Implementierung von AGIL-Prinzipien könnten Ärzte lernen, anstrengende Situationen besser zu bewältigen, ihre Resilienz zu stärken und effektive Strategien zur Selbstfürsorge entwickeln. Die Sensibilisierung für den eigenen Stress, die Förderung von Achtsamkeit, die Reflexion des eigenen Verhaltens und die Verbesserung der Kommunikation könnten Ärzten dabei helfen, ihre Arbeitsbelastung zu reduzieren und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben zu finden.
Ein solches Programm sollte idealerweise bereits in die medizinische Aus- und Weiterbildung integriert werden, um Ärzte frühzeitig für die Bedeutung der Stressbewältigung und Selbstfürsorge zu sensibilisieren. Auch in der Arbeitsumgebung von Ärzten könnte die Implementierung von AGIL-Prinzipien zu einer gesünderen und unterstützenden Arbeitskultur beitragen.
Die Unterstützung von Ärzten bei der Stressbewältigung und Förderung der Selbstfürsorge ist von großer Bedeutung, da dies nicht nur ihre eigene Gesundheit und Lebensqualität verbessert, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung positiv beeinflusst. AGIL bietet einen hoffnungsvollen Ansatz, um Ärzten die Handwerkzeuge und Fähigkeiten zu vermitteln, um langfristig erfolgreich und gesund in ihrem anspruchsvollen Beruf tätig zu sein. Für Ärzte die bereits psychosomatisch erkrankt sind, gibt es Behandlungsprogramme, die speziell auf Ärzte ausgelegt sind.
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Bildquelle: Marten Newhall, unsplash