Sie bewegen sich viel und achten auf ihre Ernährung – was erstmal gut klingt, kippt bei einigen Sportlern ins Gefährliche. Erfahrt hier, wann ihr hellhörig werden solltet.
1997 definierte das American College of Sports erstmals eine pathologische Triade aus gestörtem Essverhalten, unregelmäßigen Menstruationszyklen und verminderter Knochendichte als „Female Athlete Triade“-Syndrom (FAT). Weitere Forschung zeigte im Verlauf, dass nicht unbedingt eine Essstörung vorliegen muss. Durch exzessiven Sport kann es zu einer defizitären Energieverfügbarkeit kommen, die auch bei Männern eine verminderte Knochendichte und einen hypogonadalen Hypogonadismus auslösen kann. Das Krankheitsbild wurde deshalb 2014 durch ein Expertengremium des International Olympic Committee (IOC) auf das Konzept des „Relative Energy Deficiency in Sports“-Syndrom (RED-S) erweitert.
Beim RED-S steht dem Körper nach exzessiven sportlichen körperlichen Leistungen aufgrund einer im Vergleich dazu unzureichenden Energieaufnahme nicht mehr genug Energie zur Verfügung, um die restlichen Körperfunktionen aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich kann jede intensiv betriebene Sportart das Problem auslösen, doch Ausdauersport, gewichtsabhängige und ästhetische Sportarten sind mit einem besonderen Risiko verbunden. Aktuelle Studien zeigen eine hohe Prävalenz an Zyklusstörungen in unterschiedlichen Sportarten. Auswertungen von Untersuchungsdaten der Sportmedizin am Institut für angewandte Trainingswissenschaften zeigen, dass ca. 24 % der deutschen Sportlerinnen, die keine hormonellen Verhütungsmittel anwenden, eine Zyklusstörung aufweisen. Dennoch gibt es sowohl bei Ärzten als auch bei Sportlern ein noch zu geringes Bewusstsein für das Krankheitsbild. Bei Männern ist das Syndrom in Ermangelung eines so klaren Warnsignals wie Zyklusstörungen noch schwieriger zu diagnostizieren. Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, zumal es keine standardisierten Diagnostikkriterien gibt.
Der Körper reagiert auf den Mangelzustand, indem er untergeordnete Organsysteme auf Sparflamme herunterregelt. Die Energiebereitstellung wird auf Lipolyse umgestellt. Der Hormonhaushalt passt sich an. Leptin und Oxytocin werden vermindert ausgeschüttet, die Serumkonzentrationen von Ghrelin, IGF-1, Peptid YY und Adiponektin steigen. Das wiederum bewirkt eine Inhibition der Hypothalamus-Hypophysen-Achse und hat auch Einfluss auf die Hypothalamus-Hypophysen-Thyreoidea-Achse. Der Körper stellt auf eine Art Energiesparmodus um, der Grundumsatz wird gedrosselt. Die GnRH-Sekretion wird gehemmt, wodurch letztlich der Gonadotropinspiegel sinkt. Die Follikelreifung ist eingeschränkt. Es kommt zu Zyklusstörungen und einer abnehmenden Reproduktionsfähigkeit. Bei Männern werden erniedrigte Testosteronspiegel beobachtet, die bei gezielter Anamnese durch einen Libidoverlust auffallen können. Der Körper versucht, das Energiedefizit durch eine cortisolvermittelte Glukoneogenese zu steigern, wobei die Cortisol-Ausschüttung durch psychosozialen Stress noch zusätzlich begünstigt werden kann.
Die Hormonkonstellation führt bei beiden Geschlechtern zu einer Abnahme der Knochendichte, die Ermüdungsbrüche nach sich ziehen kann. Zudem nimmt die Infektanfälligkeit zu. Kardioprotektive Effekte der weiblichen Geschlechtshormone gehen bei amenorrhoischen Sportlerinnen verloren, wodurch sich der Lipidstoffwechsel verändern und früher Atherosklerose auftreten kann. Die mangelnde Ernährung führt häufig zu Eisenmangelzuständen, auch bei Männern. Bei entsprechender Anamnese sollten erniedrigte Ferritinwerte an ein RED-S denken lassen. Bei Athletinnen und Athleten mit RED-S wurden gehäuft depressive Zustände sowie psychosomatische Störungen, Essstörungen und eine reduzierte Stresstoleranz beobachtet. Inwieweit diese Faktoren ursächlich für das RED-S waren oder durch dieses ausgelöst, ist nicht ganz klar.
Während durch die Gewichtsreduktion zu Beginn für kurze Zeit eine Leistungssteigerung erzielt werden kann, kommt es im Verlauf zu einer verminderten Ausdauerfähigkeit, vermehrten Verletzungen, verminderter Trainingsantwort und einer Abnahme der Muskelkraft und Muskelmasse und teilweise chronotroper Inkompetenz bei insgesamt niedrigem Ruhepuls. Betroffene berichten, trotz konsequenten Trainings keine Leistungssteigerung mehr erzielen zu können, oder sogar Leistung einzubüßen.
Als kritisch gilt eine Energiezufuhr von < 30 kcal pro kg fettfreier Masse pro Tag wobei mindestens 45 kcal pro kg fettfreie Masse pro Tag als ausreichend gelten. Bisher fehlen Messemethoden zur Feststellung der Energieverfügbarkeit. Parameter wie beispielsweise erniedrigte Leptin-, erniedrigte bis tiefnormale fT3-Werte sowie erhöhte Serumcortisolkonzentrationen werden beim RED-S zwar beobachtet, es fehlen jedoch valide Cut-off-Werte und die Studienlage ist noch nicht umfangreich genug, als dass ein Screening mittels der Werte empfohlen werden könnte. Es gibt einen Fragebogen (LEAF-Q), der zum Beispiel Fragen zu gastrointestinalen Beschwerden, Verletzungen und dem reproduktiven System beinhaltet, jedoch lediglich eine Sensitivität von 78 % aufweist.
Eine ausführliche Anamnese ist besonders wichtig. Sie sollte neben den Ernährungs- und Trainingsgewohnheiten auch Gewichtsfluktuationen, das psychische Wohlbefinden, Schlaf sowie beruflichen und privaten Stress ansprechen. Eine körperliche Untersuchung sollte eine BMI-Bestimmung beinhalten. Idealerweise sollte auch der Körperfettanteil gemessen werden. Sollte der Hausarzt erste Anlaufstelle sein, müssen unbedingt Zyklusunregelmäßigkeiten erfragt und Patientinnen ggf. entsprechend überwiesen werden. Patientinnen benötigen eine gynäkologische Untersuchung mit Augenmerk auf die sekundären Geschlechtsmerkmale sowie auch eine sonographische Beurteilung des inneren Genitals. Die funktionelle hypothalamische Oligo- oder Amenorrhö stellt eine Ausschlussdiagnose mit aufwändiger Diagnostik dar.
Es wird eine umfangreiche gynäkologisch/endokrinologische Labordiagnostik empfohlen, die ein Blutbild, Vitamin-D Spiegel, Kalzium, humanes Choriongonadotropin (HCG), TSH, fT3/4, luteinisierendes Hormon (LH), follikelstimulierendes Hormon (FSH), Prolaktin, Estradiol, Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEA-S), Ferritin und die Bestimmung des freien Transferrinrezeptors sowie des CRPs beinhalten sollte. Empfohlen wird eine morgendliche Nüchternblutentnahme am 1.–5. Zyklustag. Die Labordiagnostik sollte mit endokrinologischen Funktionstests (Gestagentest, Östrogen-Gestagen-Test, ggf. GnRH-Test) komplettiert werden. Bei erhöhten Prolaktinspiegeln kann zudem die Durchführung eines MRTs erforderlich sein. Ab einer Amenorrhödauer von mehr als 6 Monaten ist eine Knochendichtemessung indiziert.
Bei Männern gestaltet sich die endokrinologische Diagnostik noch schwieriger und sollte bei einschlägiger Anamnese (exzessiver Sport mit oben genannten Symptomen, Libidoverlust, depressive Verstimmung etc.) durch versierte Urologen oder Endokrinologen erfolgen, da die gemessenen Konzentrationen stark schwanken und sowohl von der Tageszeit als auch den verwendeten Assays abhängen. Zudem kann der Testosteronspiegel von der Nahrungsaufnahme, vorangegangenen Erkrankungen und Medikamenten beeinflusst werden. Folglich sollte der Gesamttestosteron-Spiegel an zwei separaten Zeitpunkten morgens und nüchtern mit einer zuverlässigen Methode bestimmt werden. Die Bestimmung des freien Testosterons sollte mittels Equilibriumdialyse oder rechnerisch mit Hilfe der Konzentrationen des Gesamttestosterons, SHBG und Albumins erfolgen. Eventuell müssen anschließend noch LH und FSH gemessen werden.
Die Therapie des RED-S ist langwierig und schwierig. Hauptziel ist der Ausgleich des Energiemangels. Die Trainingsintensität sollte gesenkt und die Kalorienaufnahme gesteigert, sowie etwaige Mangelzustände (z. B. Eisenmangel) ausgeglichen werden. Bei einer Kalziumaufnahme von weniger als 1.300 mg besteht die Indikation zur Therapie mit Vitamin D und Kalzium. Es ist sinnvoll, die Sportler mit einer spezialisierten Ernährungsberatung zu unterstützen. In manchen Fällen ist auch eine Psychotherapie hilfreich oder sogar erforderlich, gerade wenn eine Essstörung vorliegt. Wenn die Betroffenen dem zustimmen, sollten auch Trainer – und ggf. Eltern – über das RED-S informiert und in die Therapie miteinbezogen werden. Selbst wenn die Umsetzung sofort gelingt, ist bei den Frauen mit einer Latenz bis zum Wiedereinsetzen der Menstruation von bis zu 12 Monaten zu rechnen. In schweren Fällen ist teils auch eine Hormontherapie erforderlich.
Das RED-S ist ein schwerwiegender Symptomkomplex, der häufig bei ambitionierten Sportlern auftritt. Es ist wichtig, die Awareness bei Sportlern, Trainern und Eltern sowie Ärzten zu steigern, da das Syndrom die Betroffenen schwer und teilweise irreversibel beeinträchtigen kann. Abgeschlagenheit, gedrückte Stimmung, Gewichtsabnahme oder ein verändertes Essverhalten sollten das Umfeld an ein RED-S denken lassen. Behandelnde Ärzte sollten frühzeitig an ein RED-S denken und eine ausführliche Anamnese erheben. Zudem sollte eine sorgfältige körperliche Untersuchung erfolgen und auch mit Feingefühl etwaige Zyklusunregelmäßigkeiten oder Veränderungen der Libido erfragt werden. Diese müssen gynäkologisch bzw. urologisch und endokrinologisch weiter abgeklärt werden und es muss eventuell zusätzlich eine Knochendichtemessung erfolgen. Eine Therapie besteht darin, das Training auf ein körperlich und seelisch gesundes Maß zu regulieren und den Energiebedarf ausreichend zu decken. Weitere Forschung ist wünschenswert, damit in Zukunft Diagnosealgorithmen helfen können, betroffene Athleten frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, bevor Schäden an Körper und Psyche entstehen.
Quellen
Baumgartner, S., Management der „female athlete triad“/RED-S.
RED-S, Beyond the Female Athlete Triad: Gängige Symptome eines Energiemangels erkennen.
Reiser, M., Regier, M., Von der Marschfraktur über „female athlete triad“ zum relativen Energiedefizit im Sport, Radiologie 63, 233–234 (2023).
Korsten-Reck, U., „Female athlete triad“ und Stressfrakturen.
Bildquelle: Venti Views, unsplash