Am Wochenende kamen Tierärzte aus ganz Europa bei der Deutschen Vet zusammen. Lest hier, warum Katzen zahnlos werden und welche Farbe die Schleimhäute von Welpen haben sollten.
Wie passen Sonnenschein, pinke Fahnen, Hunde in allen Größen, Kinderwagen und gelb-schwarze Fußballfans zusammen? Auf den ersten Blick gar nicht – und doch fassen sie die Atmosphäre auf der diesjährigen Deutschen VET in Dortmund zusammen. Dass die Messehalle direkt neben dem Dortmunder Fußballstadion liegt, in dem es für den BVB ausgerechnet an diesem Wochenende um die Meisterschaft ging, konnten die Veranstalter bei der Planung natürlich nicht vorhersehen.
An zwei Tagen konnten letztes Wochenende Tierärzte und TFA das vielfältige Kongressprogramm nutzen, das in Zusammenarbeit der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover und dem Medizinverlag Thieme zusammengestellt wurde. Nationale und internationale Referenten stellten neueste Erkenntnisse aus Forschung und Praxis vor. Wir waren für euch vor Ort und haben in die wichtigsten Vorträge reingeschaut.
Am Freitagmorgen referierte Zahnexperte Jerzy Gawor aus Polen vor einem prall gefüllten Saal in einem der ersten Vorträge über seine Tipps zur Zahnextraktion bei der Katze – ein Thema, das viele Praktiker zu bewegen scheint. Die chronische Gingivostomatitis ist ein großes Problem in der Zahnheilkunde der Katze. Gawor ist kein Fan davon, hier per se direkt antibiotisch zu behandeln und zeigt beeindruckende Bilder eines Tieres, bei dem die Besitzer eine mittelgradige Entzündung tatsächlich nur durch Zähneputzen deutlich verbessern konnten – das sei natürlich nicht bei jeder Katze realistisch, gibt er zu. Oftmals sind sowieso neben dem Zahnfleisch auch Zahnhalteapparat und die Zähne betroffen, dann komme man um eine Extraktion dieser natürlich nicht herum. Nicht selten ist eine vollständige Extraktion aller Prämolaren und Molaren nötig, bei signifikanter Entzündung sogar der gesamten Zähne.
Weitere Tipps des Zahnexperten: Bei Extraktionen immer Röntgenbilder vor und nach dem Eingriff anfertigen – letztere stets VOR dem Verschließen der Gingiva, falls noch verbliebene Wurzelreste entfernt werden müssen. Auch hätten manche Zähne überraschend eine Wurzel mehr als sie eigentlich sollten – das kann zu einer bösen Überraschung beim Entfernen kommen. Gawor beschreibt sein standardmäßiges Vorgehen so: Zuerst stellt er einen Zugangslappen der Schleimhaut in der gewünschten Länge mittels Skalpell her, trennt Schleimhaut und Periost vom Knochen und entfernt dann die Knochenleiste über den Wurzeln anteilig mit einem Hochgeschwindigkeits-Hartmetallbohrer. Die Zahnkrone wird dann entsprechend der Wurzelzahl des Zahnes zerteilt. Gawor betont, dass der angesetzte Elevator für die Extraktion sachte bewegt werden und der Druck stets mit Geduld gehalten werden sollte, damit sich die Fasern des Parodontalligaments langsam lösen können. So beugt man Wurzelfrakturen effektiv vor.
Nach erfolgreicher Extraktion des Zahnes sollten die Kieferknochen außerdem immer mittels Bohrer geglättet und beim Vernähen der Gingiva darauf geachtet werden, dass keine Spannung auf der Naht entstünde. Gawor verwendet für den Verschluss eine spannungsfreie Naht mit eng gesetzten Einzelheften und versenktem Knoten. Imposante Fotos zeigen, wie dieses Vorgehen den Heilungsvorgang beschleunigen kann. Als Nahtmaterial empfiehlt der Experte einen resorbierbaren, monofilen Faden der Größe 5/0 und atraumatische Nadeln mit einer 3/8 oder ½ mm Krümmung – letztere seien besonders gut für den kaudalen Teil der Maulhöhle geeignet.
Später referiert Adriano Wang Leandro über Fallstricke bei der Thoraxbildgebung von Hund und Katze. Der nach seiner Residency an die TiHo zurückgekehrte Radiologe spricht über dynamische Erkrankungsbilder und die Bildgebung als tückische Momentaufnahme. Er zeigt beeindruckende klinische Fälle, die mittels CT oder Fluoroskopie gelöst werden konnten, betont aber auch, dass in vielen Fällen die fast allen Tierärzten zur Verfügung stehenden Techniken Röntgen und Ultraschall schon wichtige Hinweise bringen können. Und doch sei Bildgebung nicht immer das Nonplusultra: so habe eine Arbeitsgruppe zeigen können, dass etwa das C-reaktive Protein bei einer Aspirationspneumonie aussagefähiger und besser für die Verlaufskontrolle geeignet sei, als ein Röntgenbild.
Über einen oftmals unübersichtlichen Bereich, das kaudale Mediastinum, könne die CT, aber auch ein Ultraschall Aufschluss geben und z. B. dabei helfen, Abszesse und Tumoren von einer paraösophagealen Hernie zu unterscheiden. Hierfür sollte der Behandler die Ultraschallsonde am xyphoidalen Schallfenster positionieren und nach kraniodorsal schallen. An Fallbeispielen zeigt Wang Leandro außerdem, wie die Fluoroskopie bei dynamischen Pathologien wie einem Megaösophagus hilfreich sein kann, da sie ebenfalls Gefäßanomalien, Strukturen, Fremdkörper oder Hiatushernien sichtbar machen könne. Auch ein dynamischer Kollaps von Trachea und Bronchien könne auf einer konventionellen Röntgenaufnahme übersehen werden – in diesen Fällen sollte man stets an dynamische Bildgebungsverfahren denken. Zwischendurch nicken einige Teilnehmer im Saal bestätigend, als der Radiologe bei einer imposanten Thorax-Röntgenaufnahme bemerkt, wie schwierig diese im Falle vieler brachyzephaler Rassen wie der französischen Bulldogge zu beurteilen sei. Schon rassebedingt gebe es so viele Auffälligkeiten, dass es oft schwer sei, genau die Veränderung zu finden, die für die Beschwerden verantwortlich ist.
In einem sehr unterhaltsamen Vortrag beschrieb Prof. Stijn Niessen vom Royal Veterinary College London die Do‘s und dont‘s beim Patienten mit respiratorischen Symptomen. Er appellierte an die Sinne der Tierärzte und deren Vermögen, auch schon ohne aufwändige Diagnostik und Manipulation wichtige Hinweise auf das zugrundeliegende Problem zu erhalten. Sein Rat beim Patienten mit Atemnot: ruhig bleiben. Dem Tier unbedingt Sauerstoff anbieten – in welcher Form auch immer möglich. Schon die einfachste Maßnahme helfe hier, auch wenn keine teure Sauerstoff-Box vorhanden sei. Dann solle man das Tier in einer ruhigen Umgebung gründlich beobachten, denn der Adspektion komme beim respiratorischen Patienten eine Schlüsselrolle zu. Abnormale Geräusche bei der Inspiration geben in den meisten Fällen einen Hinweis auf Probleme der oberen Atemwege, während sie bei der Exspiration eher auf die unteren Atemwege hindeuten.
Bei der Katze rät der Experte in akuten Situationen immer zu einem Bronchodilatator, erwähnt jedoch auch, dass dieser, wird er langfristig angewandt, eher einen gegenteiligen Effekt erziele. „Ich sehe das leider ab und zu bei Patienten in der Sprechstunde.“ Ein Bild, das wohl keinem Zuhörer dieses Vortrags aus dem Kopf gehen wird, ist die Analogie des Duschvorhangs, die Niessen für Pathologien der oberen Atemwege verwendet: „Was passiert mit dem Vorhang, wenn wir in der Dusche stehen und sie anmachen?“, fragt er. „Er rückt uns ganz schön auf die Pelle, oder?“ Genau so könne man sich die Verhältnisse vorstellen, wenn der Luftstrom durch eine Engstelle oder erhöhten Kraftaufwand bei der Atmung zunehme: das Gewebe werde regelrecht eingesogen. In einem Video eines Patientenfalls wird das ganze deutlich sichtbar, als sich bei genauem Hinsehen eine atemsynchrone Einziehung am Hals einer Katze mit Dyspnoe zeigt.
Prof. Sandra Goericke-Pesch leitet die Kleintierreproduktionsmedizin der TiHo und widmete sich in einem Vortrag der Versorgung von neugeborenen Welpen. Sie erklärte, dass beim Neonaten stets zunächst das ABC der Reanimation angewendet werden sollte (Airways/Atemwege kontrollieren, Breathing/Atmung stimulieren und Circulation/Herz-Kreislauf checken). Nicht selten würden außerdem Missbildungen wie eine Gaumenspalte oder Atresia ani übersehen, so Goericke-Pesch. Sie rät, alle Welpen eines Wurfes objektiv mittels APGAR-Scoring zu klassifizieren – auch, um schnell diejenigen zu finden, die wohlmöglich mehr Betreuung und Aufmerksamkeit für ihren Start ins Leben benötigen.
APGAR-Scoring: 7–10 vital; 4–6 mäßig gefährdet; 0–3 hochgradig gefährdet
Auch erinnert Goericke-Pesch daran, dass es nicht ausreiche, einen einzelnen Welpen zu untersuchen, der nach der Geburt Probleme hat. Alle Welpen eines Wurfes und die Mutter würden eine Einheit darstellen und diese sollte immer in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Die Gefahr sei sonst zu groß, dass man Probleme beim Muttertier oder den Wurfgeschwistern übersähe und so wertvolle Zeit verlöre, um auch ihnen zu helfen.
Weitere Tipps der Expertin:
Auch müsse man aufpassen, dass den Welpen nicht zu viel Wärme zugeführt würde – das sehe sie häufig in der Sprechstunde: „Da denke ich manchmal – um Gottes Willen, wenn der noch weiter gewärmt wird, ist er durchgegart!“ Bis zu Tag 7 liegt der physiologische Bereich bei 34,8–37 °C, steigt dann pro Woche um etwa 1 Grad, bis dann ein Welpe über 3 Wochen eine Körperkerntemperatur zwischen 38 und 39 °C haben sollte. Bei unterkühlten Welpen mit einer Körperkerntemperatur unter 35 °C solle außerdem unbedingt auf die direkte Gabe von Milchaustauscher verzichtet werden, da das Risiko für die Entwicklung eines Ileus zu groß ist – die Gabe von G5 sei hier eine Alternative, mit einer erstmaligen Gabe vor dem Erwärmen.
Auch am Samstag gab es weitere spannende Vorträge auf der Deutschen VET. Mehr dazu könnt ihr bald in unserem zweiten Kongressbericht lesen.
Bildquelle: Evgeniya Shustikova, unsplash