Gesundheitspolitiker sind auf Bedrohungen durch Ebola wenig bis gar nicht vorbereitet, so das Ergebnis einer DocCheck-Recherche. Regierungsvertreter werden nicht müde, Bürger zu beruhigen und einzulullen. Sobald erkrankte Helfer nach Deutschland zurückkommen, könnte es ernst werden.
Am 16. Oktober trafen sich die Gesundheitsminister der EU-Mitgliedstaaten. Ihre gemeinsame Sorge: Ebola-Infizierte könnten bis nach Europa kommen. Schnell fanden sie eine vermeintliche Patentlösung. „Gute Hilfe vor Ort ist die beste Chance, das sehr, sehr geringe Risiko, dass es auch zur Einreise von Erkrankten kommt, so gering wie möglich zu halten“, sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und Kollegen aus anderen Nationen plant er strengere Ausreisekontrollen in betroffenen Ländern Westafrikas. Wir haben seine Aussage von Fachleuten überprüfen lassen.
Von den US Centers for Disease Control and Prevention bekamen wir auf Anfrage eine negative Bewertung dieser Strategie inklusive Erklärung. So seien bislang in Westafrika 36.000 Personen überprüft und 77 am Verlassen ihres Landes gehindert worden. Schlussendlich bestätigte sich kein Verdachtsfall, während der Patient, der später in Dallas starb, ungehindert Afrika verlassen konnte. Schlechter könne ein Test kaum ausfallen, hieß es weiter. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) äußert sich ebenfalls pessimistisch zur EU-Vorgehensweise. Einer aktuellen Studie zufolge übersehen Flughafenangestellte mit Infrarot-Thermometern bis zu 20 Prozent aller Patienten, die Fieber haben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Inkubationsphase laut ECDC bei Ebola elf Tage beträgt. Zuvor haben nur wenige Patienten eine auffällige Körpertemperatur.
Noch ein Blick auf deutsche Einrichtungen: Wie DocCheck aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erfuhr, planen Verantwortliche an Flughäfen hier zu Lande keine Ebola-Kontrollen bei der Einreise. Europas Strategie lautet, Maßnahmen in Ländern mit direkten Flugverbindungen zu verstärken. Hier sprachen die Minister primär von Belgien. Großbritannien, Frankreich und Tschechien haben bereits Aktionspakete geschnürt oder sind mit ihren Planungen fast fertig. Ein Trugschluss: Aus Deutschland gibt es zwar keine Direktflüge in die drei am stärksten betroffenen Länder Westafrikas. Trotzdem bleiben Gefahren: Als hohes Risiko gilt die Strecke Lagos – Frankfurt. Ärzte aus Nigeria berichten immer wieder von Erkrankungsfällen. Kein Wunder, dass der Frankfurter Flughafen den höchsten Risikoscore hat (100), gefolgt von München (96) und Düsseldorf (93). Entsprechende Werte gab das Max-Planck-Institut für Informatik jetzt auf Basis von Simulationen bekannt. Konsequenzen zieht niemand aus dieser Erkenntnis.
Doch was plant die Bundesregierung jenseits ihrer Grenzen oder Flughäfen? Auf Nachfrage von DocCheck sagte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), Deutschland sei „gut vorbereitet“. Sie schätzte Risiken einer möglichen Epidemie als „sehr gering“ ein. Das Ministerium sehe derzeit „keine Erhöhung bestehender Kapazitäten für die Bevölkerung“ vor. Weitere Rückfragen der Redaktion gingen an das Robert-Koch-Institut (RKI). Hier hielt man es „aus Kapazitätsgründen“ nicht für erforderlich, Ärzte über die deutsche Vorgehensweise zur Ebola-Prävention zu informieren. Zwar gibt es ein Netzwerk der Kompetenz- und Behandlungszentren der Länder, um Personen mit hochkontagiösen Erkrankungen zu versorgen. „Wir sind mit den 50 Betten deutlich über dem, was alle unsere Nachbarn hier vorhalten“, erklärt Hermann Gröhe. Ein Sprecher des Städtischen Klinikums München-Schwabing sagte zu DocCheck, in der Landeshauptstadt könnten zwei Ebola-Patienten versorgt werden, aber keine weiteren Erkrankten. Andere Standorte sind ebenfalls nicht in der Lage, über Nacht vorhandene Kapazitäten zu erhöhen. Professor Dr. Dieter Häussinger, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie am Uniklinikum Düsseldorf, hält es aber für „sehr wahrscheinlich“, dass Ebola in Deutschland ankommen wird – weniger als heimlich importierte Infektion, sondern über erkrankte Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Ob 50 Betten tatsächlich ausreichen, will zurzeit niemand kommentieren.
Manche Bundesländer trauen der Regierungsstrategie ohnehin nur bedingt. Wie wir aus Niedersachsen erfahren haben, bewertet die Landesregierung Flüchtlinge als mögliches Risiko. Deshalb sei eine Strategiegruppe mit Vertretern der Landesregierung, der Ärzteschaft, der Rettungskräfte und der Polizei eingerichtet worden. Das Gremium beschloss, ab sofort Krankenstationen von Aufnahmeeinrichtungen rund um die Uhr zu öffnen und das Personal zu schulen. Mögliche Verdachtsfälle würden sofort nach Hamburg in das Behandlungszentrum Nord gebracht, hieß es weiter. Andere Länder wollen diesem Beispiel jetzt folgen.
Ein Fazit: Deutschland hat offene Flanken, über die Ebola-Patienten zu uns gelangen könnten. Regierungsvertreter verorten die tödliche Krankheit nach wie vor in Westafrika und wollen vor Ort aktiv werden. Eine typische Sichtweise vieler Industrieländer: Sobald das eigene Leben in Gefahr ist, werden plötzlich Fachkräfte und Gelder zur Verfügung gestellt. Forscher hätten Jahrzehnte Zeit gehabt, Präparate zur Prävention und zur Therapie zu entwickeln. Dafür ist es jetzt zu spät. Strategien, wie mit größeren Patientenzahlen umzugehen wäre, hat Berlin bis heute nicht.