Indische Firmen produzieren mehr als ein Fünftel aller Generika weltweit. Jetzt warnt Amerika vor Produkten minderer Qualität und provoziert harsche Reaktionen der indischen Regierung. Nationale Interessen treffen pharmazeutische Bedenken – ein Ende des Streits ist nicht absehbar.
Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln haben oft einen Grund: Qualitätsmängel bei Zulieferbetrieben. Immer häufiger scheitern Apotheker bei der Beschaffung lebenswichtiger Pharmaka. Hierzulande veröffentlicht das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) regelmäßig eine Übersicht, wobei Hersteller nicht zur Meldung verpflichtet sind. Amerikanische Behörden wie die U.S. Food and Drug Administration (FDA) gehen noch einen Schritt weiter. Sie besuchen Produktionsstandorte von Firmen, die Präparate für US-amerikanische Märkte produzieren.
Beim indischen Hersteller Marck Biosciences Limited trauen FDA-Gutachter ihren Augen nicht. Der Betrieb produziert sterile Arzneimittel für US-Firmen. Marck hätte es versäumt, Prozesse von der Herstellung, Kontrolle und Verpackung bis zur Lagerung zu dokumentieren, heißt es im Bericht. Auch bei Chargenprotokollen stießen Kontrolleure vermehrt auf Unstimmigkeiten. Damit nicht genug: Externe Mitarbeiter seien ohne Schulungen zur Current Good Manufacturing Practice (CGMP) eingestellt worden. Der schockierende Teil: Vor Ort fanden FDA-Beauftragte Schimmelpilze in einem Waschraum nahe der Sterilherstellung. Weitere Bereiche waren mit toten Insekten und Fröschen übersät. Die Aufsichtsbehörde reagierte umgehend – und verhängte Importverbote. Daraufhin änderte Marck Biosciences seinen Namen und firmiert heute unter Amanta. Kein Einzelfall: Anfang 2014 kam die FDA beim indischen Hersteller Ranbaxy zu wenig schmeichelhaften Resultaten. Ranbaxy stellt unter anderem Ausgangsstoffe für Repaglinid und Nevirapin her. Dabei sei es zu Unstimmigkeiten bei der Qualitätskontrolle gekommen, monierten Inspektoren. Sie verboten den Verkauf aller Ranbaxy-Produkte aus der Produktionsanlage in Toansa. Sun Pharma wiederum darf keine Produkte mehr aus Karkhadi in die USA exportieren.
Ein weiterer Kritikpunkt: Experten behaupten schon lange, indische Konzerne produzierten minderwertige Pharmaka für Märkte ohne funktionierende Aufsicht – speziell für Afrika. Jetzt hat das American Enterprise Institute for Public Policy Research (AEI), ein konservativer Think-Tank aus Washington, eine Studie veröffentlicht. Zusammen mit Kollegen untersuchte der AEI-Forscher Roger Bate 1.470 Proben handelsüblicher Antibiotika beziehungsweise Antituberkulotika. Die Präparate waren für Afrika, Indien sowie für fünf weitere Länder mittleren Einkommens außerhalb Afrikas bestimmt. Forscher nahmen Proben vor Ort in Apotheken aus 18 Ländern. Weiter ging es in die Analytik. Bates Resultate geben zu denken. Bei 10,9 Prozent der Medikamente beanstandete er wirksame Komponenten – hinsichtlich der Qualität sowie hinsichtlich der Menge. Die Ausschussware sollte vor allem nach Afrika geliefert werden.
Indische Politiker reagierten auf die Kritik mit Empören – sie sprachen von einer „Schmierenkampagne“. Ein Sprecher des Pharmaceutical Export Promotion Council India (pharmexcil) sagte, der Report sei nur veröffentlicht worden, um das Ansehen indischer Hersteller zu beschädigen. Mit Rückendeckung der Regierung meldet sich die Indian Brand Equity Foundation (IBEF) zu Wort, eine Stiftung aus Industrie und Handelsministerium. Das Gremium bemängelt nicht nur methodische Schwächen, sondern auch moralisch-ethische Aspekte. Ein IBEF-Vertreter warf Bate vor, Behörden im jeweiligen Land nicht direkt kontaktiert zu haben. Vielmehr seien Vorwürfe erhoben worden, ohne dass Indien realistische Möglichkeiten hätte, um zu intervenieren. Gleichzeitig prüfen IBEF-Repräsentanten juristische Schritte gegen den Forscher. Roger Bate ist vom massiven Gegenwind überrascht: „Dass die Regierung rechtliche Schritte androht, ist eine schockierende Entwicklung, die Indien stärker als uns treffen wird.“ Nicht einmal Nordkorea oder Russland hätten Wissenschaftler wegen der Veröffentlichung akademischer Forschungsergebnisse verklagt. Jenseits allen Säbelrasselns bleiben inhaltliche Fragen: Warum zwischen der Probennahme und der Auswertung zwei Jahre vergingen, lässt sich nicht nachvollziehen. Wissenschaftler erinnern an einen ähnlichen Fall: Anfang 2014 hatte Preston Mason, Kardiologe am Harvard Medical School's Brigham and Women's Hospital, Atorvastatin untersucht. Proben bekam der Forscher aus Europa, aus den USA und aus Asien. Er fand 36 unterschiedliche, klinisch relevante Verunreinigungen. Kurze Zeit später lenkte Janet Woodcock von der FDA ein: Mason hätte nicht die richtigen Methoden herangezogen, um Wirkstoffe zu extrahieren. Dabei sei es zu Verunreinigungen gekommen, so Woodcock weiter. Pharmazeutische Bedenken oder nationale Interessen Amerikas – dieses Spannungsfeld lässt sich momentan nicht auflösen. Eine methodisch bessere Studie könnte Antworten bringen.
In Deutschland äußern sich Gesundheitspolitiker nicht zum Streit zwischen den USA und Indien. Sie kennen die Thematik nur allzu gut. Auch bei uns kämpfen Apotheker mit Lieferengpässen, falls indische oder chinesische Lohnhersteller keine Arzneistoffe geeigneter Qualität liefern. Grund genug für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), einen Pharmadialog zu starten. Er will Rahmenbedingungen für die Forschung und Produktion von Arzneimitteln in Deutschland optimieren, den Standort erhalten und auszubauen. Details gab das Ministerium noch nicht bekannt. Falls Gröhes Planung aufgeht, würden deutsche Heilberufler unabhängiger von Zulieferbetrieben. Auch die Preisgestaltung bei Generika müsste überdacht werden.