Proteine und Kraftsport könnten helfen, wenn adipöse Patienten an Muskelschwund leiden. Doch meist wird die Krankheit nicht erkannt. Wie ein Mix aus verschiedenen Methoden die Diagnose verbessern soll, lest ihr hier.
Es ist ein bislang kaum beachtetes Krankheitsbild und betrifft vor allem Menschen mit Adipositas: Aufgrund von Bewegungsmangel kann es bei dieser Bevölkerungsgruppe zu einem schleichenden Muskelschwund kommen der unter dem Fettmantel verborgen und damit unentdeckt bleibt, so. Prof. Stephan Bischoff von der Uni Hohenheim.
Muskelschwund aufgrund von Bewegungsmangel ist eine Krankheit, die bislang vor allem bei betagten Menschen, bei chronisch Kranken und als Folge längerer Phasen der Unbeweglichkeit beobachtet wird.
Neu ist allerdings die Erkenntnis, dass auch junge Menschen, bei entsprechendem Körpergewicht, an Muskelschwund leiden können, erklärt Bischoff. Das Gefährliche daran: Bei stark bis krankhaft übergewichtigen Menschen verbirgt die Decke aus Körperfett den Muskelverlust.
Bischoff erklärt: „Mit zunehmendem Übergewicht steigt erst einmal die Muskelmasse, um die Gewichtszunahme auszugleichen. Danach erreicht die Muskelmasse jedoch oft einen Kipp-Punkt, ab dem sie aufgrund von Bewegungsmangel wieder abnimmt.“ Mit abnehmender Muskelmasse steigt also die Gefahr von Erkrankungen. Diesen Zusammenhang haben auch die Erkrankungswellen während der Covid-Pandemie illustriert: „Da sich Muskelschwund bei adipösen Menschen auch auf die Atemmuskulatur auswirkt, hatten diese aufgrund der verringerten Atemleistung deutlich schwerere Verläufe“, so Bischoff.
In Deutschland sind Übergewicht und Adipositas kein Randgruppenphänomen: Rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland ist inzwischen übergewichtig. Bei einem Viertel der Gesamtbevölkerung ist das Übergewicht so stark ausgeprägt, dass es als adipös eingestuft wird, so Bischoff.
Zur Diagnose der sogenannten sarkopenen Adipositas empfiehlt ein Panel aus Fachleuten verschiedener Disziplinen einen Methodenmix. Dieser besteht aus der Bestimmung der Anteile von Fett- und Muskelmasse im Körper sowie der Vermessung der Muskelfunktion. Um die Körperzusammensetzung zu bestimmen, biete sich z. B. die Bioimpedanzanalyse an: Alternativ könnten auch Messungen aus der Magnetresonanztomographie verwendet werden. Um die Muskelfunktion zu testen, gibt es eine Reihe standardisierter Tests. Dabei werde z. B. gestoppt, wie oft Patienten in einer Minute aufstehen und sich wieder hinsetzen könnten oder welche Gehstrecke sie in 6 Minuten zurücklegten.
„Von der sarkopenen Adipositas sprechen wir dann, wenn sowohl der Anteil von Muskelmasse zu niedrig als auch die Muskelfunktion bereits beeinträchtigt ist“, erklärt Bischoff. Bei der endgültigen Diagnose werden Details wie Alter, Geschlecht oder auch die ethnische Zugehörigkeit berücksichtigt.
Wie die sarkopene Adipositas behandelt werden kann, ist derzeit noch Gegenstand der Forschung, betont der Ernährungsmediziner. Erste Ergebnisse zeichneten sich jedoch bereits ab. „Aus der Adipositas kennen wir bereits einige Programme zur Gewichts-Reduzierung. […] Nun müssen wir noch mehr darauf achten, dass die Muskelmasse bei der Gewichtsabnahme möglichst unangetastet bleibt bzw. wieder aufgebaut wird. Am aussichtsreichsten dafür scheint die Kombination aus Krafttraining und proteinreicher Ernährung.“
Bischoff empfiehlt eine proteinreiche Ernährung: „Bislang empfahlen wir die proteinreiche Kost vor allem deshalb, weil sie schnell den Hunger stillt und dadurch den Abnehm-Erfolgt erhöht.“
Anpassungsbedarf gibt es bei der Bewegungstherapie: „Wichtiger als Ausdauertraining scheint es, Gewichte zu stemmen – so wie es Bodybuilder und Gewichtheberinnen tun.“
Noch weitreichender sind die Folgen aktueller Erkenntnisse für chirurgische Maßnahmen gegen krankhaftes Übergewicht, bei denen der Magen verkleinert oder der Darm verkürzt wird. „In solchen Fällen brauchen wir eine viel intensivere Nachsorge“, erklärt Bischoff. Denn gerade, weil Proteine stark sättigen, ist es für Patienten mit verkleinertem Magen sehr schwierig, ausreichende Mengen zu sich zu nehmen.
Auch das nötige Bewegungstraining erweist sich als komplex. „In einer ersten Studie zusammen mit dem Universitätsklinikum Tübingen hatten wir versucht, die Betroffenen zum Training in Eigenregie zu ermutigen.“, berichtet Bischoff. Dazu hätten die Patienten eine Spiele-Konsole und entsprechende Trainingsprogramme erhalten. Der Erfolg sei bei diesem Ansatz jedoch überschaubar geblieben. „Es zeigt sich, dass Betroffene gerade nach einer chirurgischen Behandlung noch viel mehr aktive Betreuung benötigen“, so das Zwischenfazit des Ernährungsmediziners.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Hohenheim. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Victor Freitas, unsplash