Nein, so wird das nichts, liebe Kollegen. Solche Botschaften führen weder beim Essen, noch beim Rauchen oder bei Bewegung ans Ziel. Wie ihr eure Patienten wirklich auf den richtigen Weg bringt, lest ihr hier.
Was sind die häufigsten Erkrankungen, mit denen Patienten zum Arzt kommen – und was sind die häufigsten Ursachen für diese Probleme?
Und was tun wir dagegen? Überwiegend Rezepte ausstellen und Operationen durchführen. Dabei wären so viele Erkrankungen zu vermeiden, wenn es uns gelingen würde, Patienten zu einer Veränderung ihrer Lebensgewohnheiten zu motivieren. Aber Veränderung ist schwer und jemanden zu motivieren kann ein frustrierendes Erlebnis sein. Wir versuchen es immer wieder: Wir weisen auf Probleme hin, erklären Befunde, zeigen die Folgen auf und warnen eindringlich.
„Sie müssen dringend mit dem Rauchen aufhören, Ihre Ernährung umstellen und sich mehr bewegen. Sonst könnte es sein, dass Sie Ihren nächsten Herzinfarkt nicht überleben!“
Kurzfristig beeindruckt diese Ansage einige Patienten. Mittelfristig ist der Erfolg bescheiden. Höchstens 10 % schaffen nach einer solchen Ansage eine dauerhafte Veränderung. Und die anderen? Die sind offensichtlich nicht motiviert.
„Warum kommen diese Patienten dann überhaupt zum Experten, wenn sie den Rat ohnehin nicht hören wollen?!“ Aber liegt es wirklich an unseren Patienten, oder liegt es eher daran, wie wir diese Gespräche strukturieren und die Themen ansprechen? Könnten wir durch einen anderen Gesprächsansatz mehr Menschen zu einer Veränderung ihrer Lebensweisen motivieren? Mit der motivierenden Gesprächsführung nach Miller und Rollnick kann das gelingen. Aber was ist das überhaupt?
Motivierende Gesprächsführung (motivational interviewing, MI) zielt darauf ab, Menschen dabei zu helfen, eine eigene Motivation zu Verhaltensveränderungen zu finden. Der Ansatz ist besonders effektiv bei Menschen, die gemischte Gefühle bezüglich einer Veränderung haben. In dieser Ambivalenz können Menschen lange festsitzen. Denn es ist möglich, widersprüchliche Wünsche und Gedanken bezüglich einer Veränderung zu haben. Die meisten Betroffenen wissen selbst, wie schädlich ihr Verhalten ist und welche Vorteile die Veränderung hätte. Aber sie sind noch nicht bereit, scheuen den Aufwand oder möchten die Annehmlichkeiten des Status quo nicht aufgeben.
Mit der motivierenden Gesprächsführung unterstützen wir Patienten dabei, diese Ambivalenz aufzulösen und sich selbst für die Veränderung zu entscheiden. Wir verzichten dabei auf Beweisführung und Druck. Denn je mehr wir Argumente für die Veränderung aufzählen, desto mehr argumentiert der Patient dagegen. Das ist nicht Ausdruck mangelnder Motivation, sondern Ausdruck der Ambivalenz.
Motivational Interviewing (MI) wurde von Bill Miller und Stephen Rollnick ursprünglich entwickelt, um Menschen mit Alkoholproblemen zu Veränderungen zu bewegen. Der Ansatz, Menschen zu befähigen, selbst Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen, hat sich in vielen Bereichen der Medizin als wirksam erwiesen:
Auch beim Umgang mit wütenden Patienten und Menschen, die auf Druck von Partner oder Arbeitgeber kommen, kann der Gesprächsansatz sehr wirksam sein. Die Effektivität der motivierenden Gesprächsführung konnte in über 1.000 wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden. Was müssen wir berücksichtigen, damit diese Motivation zu Veränderung entstehen kann?
Als wichtige Voraussetzung müssen wir selbst unsere Aufgabe und unsere Grundhaltung reflektieren und ein wenig anpassen. In MI ist der Patient selbst der Experte für seine Gesundheit. Wir selbst halten uns zu Beginn mit unserem Fachwissen etwas zurück. Wir moderieren ein Gespräch. Ein Gespräch, das der Patient mit sich selbst führt und bei dem er sich selbst von den Vorteilen der Veränderung überzeugt.
In MI wird diese Haltung als der „Spirit“ beschrieben. Wir schaffen eine Gesprächsatmosphäre, in der unser Patient nicht den Eindruck hat, Vorwürfe zu hören und sich rechtfertigen zu müssen. Er fühlt sich verstanden und behält seine Autonomie. Damit das gelingt, wollen wir drei Dinge bedenken:
In der motivierenden Gesprächsführung verzichten wir auf Konfrontation und Beweisführung. Wir fördern Zusammenarbeit und wollen gemeinsam mit unserem Patienten auf das Problem schauen. Wir achten darauf, klassische Gesprächsfallen zu vermeiden, die eher Widerstand bei unserem Gegenüber erzeugen.
In der motivierenden Gesprächsführung verzichten wir darauf, dem Patienten ungefragt unsere Meinung und unsere Vorschläge zu präsentieren. Wir konzentrieren uns darauf, dem Patienten selbst diese Argumente für die Veränderung zu entlocken. Es hilft nichts, wenn wir selbst Argumente für die Veränderung liefern. Erst, wenn der Patient sie selbst formuliert und sich selbst reden hört, entsteht echte, eigene Motivation. Wir achten deshalb darauf, Fragen zu stellen, mit deren Beantwortung der Patient sich selbst immer mehr von der Veränderung überzeugt.
Viele habe gelernt, als Autoritätsperson aufzutreten, die dem Patienten sagt, was für ihn am besten ist. Bei der Wahl des richtigen Antibiotikums mag das gehen. Aber wenn es um tiefgreifende Verhaltensänderungen geht, wird dieses Vorgehen scheitern. Niemand möchte gerne Vorwürfe hören. Niemand lässt sich gerne sagen, was er zu tun hat. Ohne es zu wollen, verursachen wir dadurch Reaktanz. Auch wenn der Patient weiß, dass Sie recht haben: Er muss widersprechen, um seine Automanie zu verteidigen.
Wir akzeptieren in motivational interviewing, dass wir niemanden zu etwas zwingen können. Wir respektieren und betonen die Entscheidungsfreiheit unseres Gegenübers. Es liegt in der Verantwortung des Patienten, notwendige Maßnahmen zu ergreifen. Er muss die Arbeit leisten und die Verantwortung übernehmen. Wie können wir aus dieser Grundhaltung heraus Gespräche führen?
Viele Patienten zögern, offen mit uns über Probleme zu sprechen. Sie schämen sich, haben Angst vor Kritik und Ermahnungen. Sie kennen ihre Probleme – wir müssen nicht noch tiefer in der Wunde bohren. Statt zu mahnen und Tipps zu geben, üben wir uns in Empathie. Wir wollen die Situation des Patienten verstehen und das auch zum Ausdruck bringen. Das bedeutet nicht, dass wir mit allem übereinstimmen. Wir möchten uns mit der eigenen Meinung zurückhalten und unser Gegenüber verstehen. So fühlen sich Patienten wohl und finden Raum, über ihre Sorgen und Bedenken offen zu sprechen.
Je stärker ein Patient die Diskrepanz zwischen dem Ist-Zustand und seinen Zielen erkennt, desto mehr entsteht Motivation zu Veränderung. In MI wollen wir den Patienten dabei unterstützen, die eigenen Ziele und Werte zu definieren und den Widerspruch im Verhalten zu erkennen. Wir machen das ohne Druck und konzentrieren uns auf Stärken und Ressourcen unseres Gesprächspartners.
„Sie haben mir berichtet, wie wichtig Ihnen Ihre Gesundheit ist und was Sie alles unternehmen, um gesund und fit zu bleiben. Sie haben mir aber auch erzählt, dass Sie häufig aus Zeitmangel auf Fast Food und Süßigkeiten zurückgreifen. Wie passt das für Sie zusammen?“
Je mehr wir Patienten konfrontieren oder ermahnen, desto mehr reagieren sie mit Abwehr und Widerstand. Statt Patienten mit problematischem Verhalten zu konfrontieren, begleiten wir sie dabei, diese Probleme selbst zu erkennen und zu formulieren. So reduzieren wir Widerstand und geben eine Beschäftigung mit den Veränderungen. Wir verzichten auf Diskussionen und können es aushalten, nicht immer recht zu haben. Wenn ein Patient äußert, dass er seine Zigaretten zur Entspannung benötigt, könnten wir ihn zurechtweisen und über Alternativen dozieren. Oder wir gehen auf geschmeidige Weise darauf ein.
„Rauchen ist für Sie eine Methode, um mit Stress umzugehen. Und gleichzeitig beschäftigen Sie auch die negativen Seiten des Rauchens. Gibt es noch andere Dinge, die Ihnen bei der Entspannung helfen können?“
Wenn unsere Patienten sich für eine Veränderung entscheiden, brauchen sie die Zuversicht und das Selbstvertrauen, diese Ziele auch erreichen zu können. Viele Menschen haben eine Veränderung schon oft probiert und sind gescheitert. Sie haben Angst, es erneut nicht zu schaffen. In der motivierenden Gesprächsführung achten wir aktiv darauf, dem Patienten seine eigenen Stärken und Eigenschaften aufzuzeigen, mit denen er die Veränderung bewältigen kann.
„Sie haben mir erzählt, wie es Ihnen gelungen ist, eine Woche lang täglich spazieren zu gehen und wie gut Sie sich dabei gefühlt haben. Ich bin mir sicher, dass Sie daran auch wieder anknüpfen können! Sollen wir gemeinsam überlegen, wie Ihnen das gelingen könnte?“
Dieser Beitrag erschien erstmals bei StrebensWert und YouTube.
Bildquelle: Vitaliy Rigalovsky, Unsplash