Eine Frau nimmt sich das Leben. Bei der Obduktion finden Ärzte im Magen eine rötlich-bräunliche Flüssigkeit und kristalline Ablagerungen. Was ist hier passiert?
Von einem ungewöhnlichen Todesfall berichten Nadja Walle, Universität des Saarlandes, und Kollegen. Ein Mann findet seine 53-jährige Ehefrau tot im Bett. Sie hatte jahrelang mit Schizophrenie und Wahnvorstellungen gelebt. Viel spricht für einen Suizid, das ist schnell klar. Nur finden Kollegen bei der ärztlichen Leichenschau keinerlei Anhaltspunkte. In der Wohnung sind zwar etliche Medikamente vorhanden; todesursächlich scheint jedoch keines der Arzneimittel zu sein. Auch entdeckt die Polizei keinen Abschiedsbrief. Hinweise auf Fremdverschulden fehlen ebenso. Damit bleibt es bei einer unklaren Todesursache.
Bei der Leichenöffnung zeigt sich: Die Patientin ist schlecht ernährt, was ihren Tod aber nicht erklärt. Im Magen finden Ärzte eine rötlich-bräunliche Flüssigkeit und Ablagerungen. Auch die Magenschleimhaut zeigt seltsame Ablagerungen unklarer Herkunft. Sogenannte Holzer-Blasen, also Hautveränderungen nach Drogenkonsum, zeigen sich aber nicht. Erste Anhaltspunkte liefert ein Drogenvortest des Urins – mit positivem Ergebnis für Barbiturate. Das überrascht, denn solche Medikamente waren nicht in der Wohnung.
Um für mehr Klarheit zu sorgen, untersuchen die Ärzte verschiedene Proben mit der instrumentellen Analytik. Sie wählen gekoppelte Verfahren, nämlich die Gaschromatographie-Massenspektrometrie bzw. die Flüssigchromatographie-Massenspektrometrie. Und siehe da: Sowohl das Barbiturat Pentobarbital als auch das Antiemetikum Metoclopramid (MCP) sind vorhanden.
Eine Quantifizierung zeigt, dass die beiden Wirkstoffe in allen untersuchten Proben zu finden sind – mit den höchsten Konzentrationen an Pentobarbital bzw. MCP in der Galle (740 mg/l bzw. ca. 5,4 mg/l), in der Leber (289 mg/l bzw. 3,2 mg/l) und in der Niere (158 mg/l bzw. ca. 2,1 mg/l). Im Vollblut liegt die Pentobarbital- bzw. MCP-Konzentration bei 32 mg/l bzw. bei 0,58 mg/l.
Mit Blick in die Literatur geben die Autoren folgende Werte für Pentobarbital an:
Das alles erhärtet den Verdacht einer tödlichen Pentobarbital-Vergiftung. „Hierzu ist allerdings zu erwähnen, dass sich die zuvor definierten Konzentrationsbereiche von Pentobarbital auf Blutplasma von Lebenden beziehen und sich daher nur bedingt auf postmortale Gegebenheiten übertragen lassen“, so die Autoren. „Berücksichtigt man die im vorliegenden Fall sehr hohe Menge von etwa 14 g Pentobarbital im Mageninhalt der Verstorbenen sowie die im Rahmen der Obduktion festgestellten sandpapierartigen, kristallinen Ablagerungen an der Magenschleimhaut, so ist plausibel von einer oralen Aufnahme auszugehen.“
Laut Fallbericht sind damit zwar die Todesursache und der Aufnahmeweg geklärt. Die Autoren werfen aber als Frage auf, woher die Frau die Präparate bekommen hat.
Das Vorgehen, ein Barbiturat und ein Antiemetikum zu schlucken, erinnert stark an Protokolle zur Suizidbegleitung, wie sie Organisationen in der Schweiz durchführen. Nur ist die Frau eben in Deutschland gestorben, was eidgenössische Hilfe eher unwahrscheinlich macht. Eine Verordnung zum Zweck des Suizids erscheint in Deutschland trotz langjähriger kontroverser Debatten auch nicht möglich zu sein. Der nächste Verdacht, nämlich ein Bezug der Verstorbenen zur Veterinärmedizin, entpuppt sich ebenso als Sackgasse. Veterinärmediziner verwenden Pentobarbital zur Euthanasie.
Doch Pentobarbital und MCP brachten die Autoren auf eine Vermutung: Dubiose Online-Stores vertreiben genau diese Kombination für Menschen mit Suizidwunsch. Wie solche Medikamente am Zoll vorbeikommen, ist unklar. Nur haben Beamte kaum die Möglichkeit, jede Warensendung im Detail zu untersuchen.
Was zeigt der Fall? Bei unklarer Todesursache sollten Ärzte auch wenig gebräuchliche oder eigentlich nur schwer zugängliche Pharmaka in Erwägung ziehen. Das gilt selbst bei Personen, die nachweislich weder in der Human- noch Veterinärmedizin oder Forschung gearbeitet haben. Über das Internet sind viele Präparate erhältlich.
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