Ein gut aufgestelltes Mikrobiom schützt vor Infektionskrankheiten. Aber kann man es auch gezielt auf bestimmte Keime vorbereiten? Erste Ergebnisse sind vielversprechend.
Impfungen sind essenziell bei der Eindämmung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Wenn es um das Thema Immunisierung geht, denken die meisten wohl vor allem an die Bildung von T-Zellen und Antikörpern. Doch auch das Mikrobiom könnte sich als Waffe gegen die Ausbreitung von Infektionskrankheiten eignen. Wie das funktionieren könnte, haben jetzt US-Forscher untersucht.
Das Mikrobiom setzt sich aus verschiedenen Organismen zusammen und kann von Viren über Bakterien bis hin zu Archäen und Pilzen reichen. Diese Einzeller haben unterschiedliche Eigenschaften und können zum Teil für die Abwehr von Pathogenen nützliche Stoffe absondern. „Wir haben festgestellt, dass Impfstoffe in einigen Fällen eine schützende Veränderung des Mikrobioms bewirken können, was darauf hindeutet, dass eine sorgfältige Manipulation des Mikrobioms Teil einer umfassenderen Strategie sein könnte, um […] mit neu auftretenden Krankheitserregern umzugehen“, so Guilherme Becker, Professor an der Pennsylvania State University und Leiter des Forschungsteams.
Die Theorie: Eine gezielte Manipulation der Mikroorganismen im Mikrobiom könnte zu einer größeren Resilienz gegenüber Infektionen führen, wenn die richtigen Einzeller in ausreichender Zahl vorhanden sind. Doch wie manipuliert man ein System, das man noch nicht ausreichend kennt? Ein klassischer Ansatz ist die Probiotik. Hier werden z. B. gezielt ausgewählte Bakterienstämme zugeführt, um eine höhere Anzahl guter Bakterien im Mikrobiom zu erzielen. Doch dieser Plan hat Lücken: Wie kann man sicher gehen, dass eine hohe Anzahl von Bakterium X tatsächlich den gewünschten Effekt hat? Das kann man nämlich (noch) nicht! Das Mikrobiom ist ein komplexes System, bei dem auch das Zusammenspiel verschiedener Organismen (Mikroben-Mikroben-Interaktion) eine große Rolle spielt. Deswegen wählten die Forscher einen anderen Ansatz.
Statt Probiotika setzen die Wissenschaftler jetzt auf einen Prophylaxe-Ansatz. Die Idee: Wird ein Organismus einem Pathogen ausgesetzt, führt dies zu einem Selektionsdruck auf die Mikroorganismen des Mikrobioms. Dadurch ändert sich ihre Zusammensetzung und das verhindert eine Etablierung des Pathogens.
Die Forscher probierten ihren Ansatz erst mal an einem Modelsystem für Wirt-Pathogen-Interaktionen aus: dem Frosch Pseudacris regilla und dem Chytridpilz Batrachochytrium dendrobatidis [Bd]. Pathogene Pilze der Klasse Chytridiomycota befallen Amphibien weltweit, sowie unseren heimischen Feuersalamander. Aufgrund des Klimawandels und seinen Auswirkungen auf Ökosysteme kann sich die potenziell letale Hauterkrankung ausbreiten und sorgt für einen Einbruch der Feuersalamander-Populationen, aber auch anderen Amphibien.
Um den Prohyalaxe-Ansatz zu untersuchen, wurden die Kaulquappen von Pseudacris regilla unterschiedlich lange in Wasser gehalten, das mit verschiedenen Konzentrationen von Stoffwechselprodukten von Bd versetzt wurde. Die Stoffwechselprodukte stellten hier ein Prophylaktikum dar. Die Impfung erfolgt also nicht wie üblich mit toten Zellen. Dies soll laut einer anderen Studie ein sichererer Ansatz sein, da unter anderem das Risiko einer versehentlichen Eintragung lebender Pathogen-Zellen minimiert wird. Nach Abschluss des Experiments entnahmen die Wissenschaftler Proben vom Mikrobiom der Haut und untersuchten sie auf ihre Zusammensetzung. Hierzu wurden die Abstriche der Haut auf Agarplatten kultiviert, DNA extrahiert, sequenziert und aufgearbeitet.
Die Forscher zeigten, dass es durch die Zugabe des Prophylaktikums zu einer Veränderung der Mikrobiom-Zusammensetzung kommt. Insbesondere Bakterien mit Bd-hemmenden Eigenschaften, die das Wachstum und die Etablierung von Bd verhindern oder vermindern, machten einen größeren Anteil der Population aus, als in der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse unterstützen somit die Theorie, dass der Kontakt mit einem Prophylaktikum zu einer Veränderung bis hin zu einer resilienteren Spezieszusammensetzung führt. Hier hatten sowohl die Konzentration des Prophylaktikums sowie die Dauer der Behandlung einen Einfluss.
Das Mikrobiom erkennt also die Gefahr und wappnet sich für eine potenzielle Infektion durch das Pathogen. Die Veränderung in der Zusammensetzung deuten darauf hin, dass das Mikrobiom bei einem erneuten Kontakt eine Infektion durch Bd abwehren könnte. Das bezeichnen Wissenschaftler als Microbiome memory.
Diese Erkenntnisse geben nicht nur Hoffnung für den Schutz der Feuersalamander und anderer Amphibien. Die Möglichkeit, dass nicht nur klassische Impfungen, sondern auch die vorsichtige Veränderung des Mikrobioms Schutz vor Infektionen bietet, könnte auch auf andere Vertebraten angewendet werden und zu einer neuen Strategie führen, wie wir Infektionen behandeln und vorbeugen. Das würde bedeuten, dass in Zukunft Prophylaxen für Infektionskrankheiten entwickelt werden könnten, die das menschliche Mikrobiom auf eine Infektion vorbereiten. Die Ergebnisse der amerikanischen Forscher könnten also den Grundstein für ein neues Verständnis der Immunisierung legen.
Quellen
Siomko S. A. et al. (2023): Selection of an anti-pathogen skin microbiome following prophylaxis treatment in an amphibian model system; The Royal Scociety, Juni 2023
Coyte K. Z., Rakoff-Nahoum S. (2019): Understanding Competition and Cooperation within the Mammalian Gut Microbiome; Current Biology vol. 29, Issue 11, Juni 2019
Bildquelle: Alora Griffiths, unsplash