„Junge Frau, zart gebaut und auch noch Psychologiestudentin, die muss einen an der Waffel haben!“ So haben meine Ärzte wohl gedacht – und in den 20 Jahren bis zur erlösenden Diagnose bin ich davon einigen begegnet.
Kurz nach dem 14. Geburtstag fing es an: Egal ob Sommer oder Winter, in der Familie und im Freundeskreis war ich nur noch als das „eiskalte Händchen“ bekannt. Dabei litt ich nicht nur frauentypisch an kalten Händen und Füßen, sondern lief zu jeder Gelegenheit und besonders in Stresssituationen auch im Gesicht blau an. Dazu kamen eine generelle Abgeschlagenheit und unspezifisch auffällige Laborwerte.
Nachdem ich dann kurz vor dem Abitur während einer Kursfahrt im Hochsommer aus unerklärlichen Gründen beim Warten auf den Reisebus fast erfroren wäre, begann mein fast 20 Jahre dauernder Ärztemarathon.
Zuerst vermutete man einen klassischen Lupus erythematodes. Doch dafür fehlten mir schlechte Nierenwerte und ein klassisches Rheumalabor. Auch bei der rheumatoiden Arthritis war man auf dem Holzweg. Aufgrund einer auffällig gefärbten Iris mit grünem Hintergrund und braunen Sprenkeln schickte man mich zunächst mit Verdacht auf Neurofibromatose in die Augenklinik. Auch negativ. Durch sporadische Schwellungen im Gesicht wurde dann erstmal der Verdacht auf einen Pankreastumor abgeklärt. Immerhin könnten meine Beschwerden auch eine B-Symptomatik sein. Waren es aber nicht.
Ich verbrachte also in meiner Schulzeit und während des Studiums etliche Stunden in Wartezimmern und Ambulanzen. Immer mit dem gleichen Ergebnis: „Sie haben ein Raynaud-Syndrom und da kann man nichts machen, außer warme Kleidung tragen.“ Dass ich nicht nur ab und zu kalte Hände hatte, sondern sich die Kälte immer durch den ganzen Körper zog, wollte mir niemand so richtig glauben. Denn schließlich waren auch die Kälteantikörper stets negativ.
Wirkten die Ärzte zu Anfang noch sehr bemüht, verlor ich durch die Wahl meines Studienfaches wohl die letzte Glaubwürdigkeit. Denn ich studierte nach dem Abitur Psychologie und da gibt es ja eine Menge Vorurteile, dass insbesondere diese Studenten auch immer „einen an der Waffel hätten“. Und das ließen mich die Ärzte auch indirekt spüren. Daher gab es immer wieder ein paar Jahre, in denen ich aufgegeben hatte und mit den ganzen Einschränkungen lebte – nur wurden diese mit der Zeit immer schlimmer. So konnte ich im Winter kaum mehr das Haus verlassen und musste mich aufgrund starker Schmerzen am ganzen Körper als Berufsanfängerin immer wieder krankschreiben lassen.
Wahrscheinlich hatten die Ärzte nach der Konsultation immer den gleichen Satz im Kopf: „Die hat nichts, das ist psychosomatisch!“ Dass es aber auch eine seltene Erkrankung sein könnte, zog niemand in Betracht. Auch ein Perikarderguss ohne auffindbare Ursache lenkte die Ärzte nicht in die richtige Richtung. Erst als sich 15 Jahre nach den ersten Beschwerden immer wieder Knoten auf den Mittelgelenken meiner Finger bildeten, die jahreszeitenunabhängig plötzlich auftauchten und meine Hände fast funktionsunfähig machten, kam ich gemeinsam mit einer pragmatischen Dermatologin auf die richtige Diagnose.
Diese fackelte nämlich nicht lange: Sie schnitt die meine Hände entstellenden Knoten in einer ambulanten OP einfach heraus und schickte sie in die Pathologie eines großen Krankenhauses. Der Pathologe, eine stadtbekannte Koryphäe, musste drei Nachuntersuchungen machen, da er mit dem histopathologischen Befund zunächst nichts anfangen konnte. Ein Rheumaknoten war es nicht, aber der Befund passte auch nicht zum Lupus erythematodes. Am ehesten könnten es Frostbeulen sein, wie man sie von Obdachlosen kennt. Oder aber eine sehr seltene und noch wenig erforschte chronische kutane Lupusform mit dem Namen Chilblain-Lupus, die sich durch eben jene Beulen erkennen lässt.
Es kam mir vor wie ein kleines Wunder: Nach fast 20 Jahren setzte sich das Puzzle zusammen und die Ärzte nahmen mich wieder ernst. Ich bekam umgehend einen Termin in der Rheumaambulanz der nächstgelegenen Uniklinik und startete mit dem Malariamedikament Hydroxychloroquin einen ersten Therapieversuch. Und siehe da: Es kamen erstmal keine neuen Knoten.
Gegen die Kälte wirkte das Mittel hingegen nicht. Da höre ich bis heute immer noch den altbekannten Satz mit der warmen Kleidung. Obgleich ich also eine Diagnose habe und als Trägerin einer seltenen Erkrankung sogar für einige Ärzte wieder interessant geworden bin, bleibt das Warten auf ein Medikament, damit ich im Hochsommer nicht mehr frieren muss. Und ein kleiner Tipp an alle Ärzte: Das Häufige ist zwar häufig, aber man sollte auch seltene Erkrankungen auf dem Schirm haben!
Der Autor ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.
Bildquelle: Mahbod Akhzami, unsplash