Bei einem Wanderurlaub fällt der Patientin auf, dass ihre Waden „dicht machen“. Sie erzählt, sie habe schon seit Jahren Beschwerden, besonders bei Belastung. Dann wird der Fuß plötzlich ganz weiß. Die Diagnose ist klar – oder?
Eine 70-jährige Patientin stellte sich vor etwa 3 Jahren bei ihrem Hausarzt vor und berichtete über krampfartige Beschwerden in beiden Unterschenkeln. Als Vorerkrankungen waren eine arterielle Hypertonie und Hypercholesterin zu nennen. Seit der Jugend bestand Nikotinkonsum mit ca. einer Schachtel Zigaretten pro Tag. Ein Nikotin-Stopp habe ausschließlich während der beiden Schwangerschaften der Patientin bestanden. Zudem war die Patientin in der Vergangenheit an beiden Augen am grauen Star operiert worden. Die Patientin präsentierte sich mit einem BMI von 24 als normalgewichtig.
Medikamentös bestand zu diesem Zeitpunkt eine Therapie mit Candesartan 4 mg einmalig am Morgen, bei einer bestehenden Ramipril-Unverträglichkeit mit Reizhusten. Es war in der Vergangenheit ein Therapieversuch mit Simvastatin 40 mg begonnen worden, der aber bei Auftreten von Muskelschmerzen terminiert worden war. Der Patientin war stattdessen zu einer Lebensstiländerung mit einer Anpassung der Ernährung geraten worden. Zur biographischen Anamnese ist zu sagen, dass der Vater mit 72 Jahren an Krebs verstorben sei. Die Mutter sei mit 81 Jahren an einer Herzschwäche verstorben. Die Patientin habe eine 78-jährige Schwester, welche an arterieller Hypertonie und einem Typ-2-Diabetes leide. Sie sei geschieden und habe zwei Kinder.
Die Patientin erhielt ein Magnesiumpräparat zur Therapie der Muskelkrämpfe. Nach der regelmäßigen Einnahme von Magnesium berichtete die Patientin über eine leichte Besserung der Beschwerden. Nach einem Jahr stellte sich die Patientin erneut bei ihrem Hausarzt vor und berichtet, dass ihre Leistungsfähigkeit abnehmen würde. Sie hätte bei einem Moselurlaub bemerkt, dass sie nicht wie alle anderen die Weinberge hochgekommen sei. Sie berichtet außerdem, dass ihre Waden „dicht machen würden“. Dies trete ganz plötzlich auf und sie müsse dann pausieren.
Sie selbst nahm weiterhin eine muskuläre Ursache für die Beschwerden an. Sie kenne dies aus ihrer aktiven Zeit als Fechterin. Die Patientin wurde angewiesen, aufgrund ihres kardiovaskulären Risikoprofils ASS 100 mg als Dauermedikation einzunehmen und erhielt eine Verordnung für die Teilnahme an einem Rehasport-Programm. Dieses Angebot wurde seitens der Patientin wahrgenommen und sie absolvierte die verordneten Sport-Einheiten. Auch hier beschrieb sie im Rahmen der Ausdauereinheiten eine Verhärtung beider Waden. Diese behandelte sie eigenständig mit einer Diclofenac-Salbe.
Im Sommer 2022 bemerkte die Patientin, dass der rechte Fuß beim Spazieren gehen plötzlich nach ca. 50 m in der Sandale weiß wurde. Zudem traten darunter stärkste Schmerzen auf, so dass ein weitergehen nicht möglich war. Nach dem Stehen bleiben wurde der Fuß wieder rosig. Die Patientin schleppte sich nach Hause und ließ sich von ihren Verwandten zu ihrem Hausarzt fahren. Auf Nachfrage wurden dann auch Schmerzen in Ruhe in der Nacht angegeben. Die Patientin berichtete, dass sie seit geraumer Zeit nur noch mit dem rechten Fuß aus dem Bett hängend schlafen könne da sonst die Schmerzen nicht auszuhalten seien. Eine Nekrose oder ein Ulcus bestanden an beiden Beinen nicht.
Es erfolgte am gleichen Tag eine notfallmäßige Vorstellung in einer angiologischen Ambulanz im Krankenhaus. Nach ausführlicher Untersuchung der Patientin zeigte sich die Erstdiagnose einer pAVK Stadium III vom Oberschenkeltyp bds. bei chronisch kritischer Extremitätenischämie bei kollateralisiertem Arteria femoralis superficialis Verschluss rechts. Links konnten Stenosen ohne Interventionsbedarf dokumentiert werden. In der präoperativen Diagnostik zeigten sich Carotisplaques bds. ohne hämodynamische Relevanz sowie ein unauffälliger transthorakaler Herzultraschall. Laborchemisch dominierte ein LDL-Cholesterin von 220 mg/dl.
Es erfolgte wenige Tage nach Diagnosestellung eine digitale Subtraktionsangiographie sowie eine perkutane transluminale Angioplastie der Arteria Superficialis und der Arteria Poplitea rechts mit einem guten Ergebnis. Die Patientin wurde auf ASS 100 mg 1–0–0, Clopidogrel 75 mg 1–0–0 für 3 Monate, Atorvastatin 40 mg 0–0–1 und Candesartan 4 mg 1–0–0 eingestellt und bei gutem subjektivem Wohlbefinden aus dem Krankenhaus entlassen. Im Anschluss stellte die Patientin in Eigenregie, allerdings mit Zustimmung des behandelnden Arztes, einen Antrag auf eine Anschlussheilbehandlung und machte von ihrem Wunsch- und Wahlrecht Gebrauch, da sie die Rehabilitation gerne in einem ambulanten Setting wahrnehmen wollte. Die Krankenkasse stimmte innerhalb weniger Tage zu, so dass die Patientin 10 Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mit der ambulanten Rehabilitation beginnen konnte.
Am ersten Tag der Rehabilitation erfolgten die Aufnahmeuntersuchungen und die Planung des Therapieprogrammes. Die Patientin gab an, seit der Intervention an Kribbeln des rechten Vorfußes zu leiden, welches sich im Verlauf aber bereits gebessert habe. Claudicatio intermittens oder Ruheschmerzen wurden verneint. Aus kardiologischer Sicht wurden ebenfalls spezifische Beschwerden verneint. Insbesondere bestanden keine pektanginösen Beschwerden oder eine Dyspnoe-Symptomatik – sowohl in Ruhe als auch unter Belastung.
Synkopen, Palpitationen oder Herzrasen wurde ebenfalls negiert. Beide Beine präsentierten sich warm mit tastbaren peripheren Pulsen. In den Aufnahmeuntersuchungen zeigte sich im Belastungs-EKG eine eingeschränkte Belastbarkeit. Die Patientin erreichte 50 Watt. Die Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest lag mit 425 m unterhalb des Normwertes. In der transthorakalen Echokardiographie und im 12-Kanal-EKG zeigten sich keine Auffälligkeiten. Laborchemisch fiel ein HbA1c-Wert von 6,5 % auf. Der Nüchternblutzucker lag bei 126 mg/dl. Das LDL-Cholesterin zeigte sich unter der Atorvastatin-Therapie, die gut vertragen wurde, bei 99 mg/dl. Das Lipoprotein (a) war mit 331 nmol/l erhöht. Im Gefäßdoppler zeigte sich ein guter Blutfluss (Knöchel-Arm-Index 1,02 rechts, 0,99 links).
Nach Einschätzung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit durch das Belastungs-EKG und den Gehtest erfolgte für 15 Tage das tägliche blutdruck- und EKG-kontrollierte Herz-Kreislauf-Ergometertraining, Laufbandtraining, Hockergruppengymnastik, Medizinische Trainingstherapie, Rückenschule, Yoga sowie ein intensives Gehtraining. Zur Entspannung erfolgte die Einführung in die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson mit entsprechenden Übungseinheiten. Die Patientin erhielt im Rahmen der Rehabilitation ein Gruppenangebot und Einzelgespräche im Bereich Ernährungstherapie. Zudem erfolgte bei einem bestehenden Nikotinkonsum die Teilnahme an einer Raucherentwöhnungsgruppe, so dass während der Anschlussheilbehandlung ein vollständiger Nikotin-Stopp erreicht werden konnte.
Zur Krankheitsverarbeitung fanden neben Gesundheitsvorträgen Gruppenangebote zum Umgang mit krankheitsassoziierten psychischen Belastungsfaktoren und –situationen, sowie zur Vermittlung verschiedener Selbstberuhigungsstrategien statt. Darüber hinaus erhielt die Patientin ein psychokardiologisches Gesprächsangebot und Skillstraining. Ergänzend nahm die Patientin an einem sozialtherapeutischen Gruppenangebot teil.
Die Patientin erhielt zudem eine spezielle Ernährungsberatung aufgrund des neu diagnostizierten Typ-2-Diabetes. In der Ernährungseinzel-Therapie setzte sich die Patientin mit einer ausgewogenen und gesunden Ernährung auseinander. Die Patientin wurde über die Grundsätze einer vollwertigen Ernährung nach den Richtlinien der DGE aufgeklärt. Die Patientin gab an, erhaltene Empfehlungen im Alltag umzusetzen, beispielweise achte sie auf die Auswahl gesundheitsfördernder Fette sowie den Ballaststoff- und Salzanteil ihrer Mahlzeiten. Es wurde hinsichtlich des Typ-2-Diabetes ein konservativer Ansatz mit der Empfehlung einer Ernährungsumstellung begonnen und eine Anbindung an eine ambulante diabetologische Schwerpunktpraxis initiiert.
Im Langzeit-EKG während der Rehabilitation zeigten sich keine Auffälligkeiten, allerdings präsentierten sich die Blutdruckwerte in der Langzeit-Blutdruckmessung als optimierungswürdig (Tagesmittelwert 144/88 mm Hg, Nachtmittelwert 138/67 mm Hg, 24-h-Mittelwert 143/83 mm Hg). Das Candesartan 4 mg wurde von einer einmaligen morgendlichen Einnahme auf eine zusätzliche abendliche Einnahme erhöht. Zudem wurde die Medikation um Ezetimib 10 mg ergänzt, sodass das LDL-Cholesterin sich in einer Verlaufskontrolle bei 59 mg/dl zeigte. Hinsichtlich des erhöhen Lipoprotein (a) erfolgte eine ausführliche Aufklärung der Patientin.
Die Kinder der Patientin ließen sich ebenfalls testen, um ggf. mit sofortigen kardiovaskulären Check-up Untersuchungen zu starten. Ihre Lipoprotein-(a)-Werte waren erfreulicherweise normwertig, so dass keine weiteren Maßnahmen notwendig waren. Am Ende der Anschlussheilbehandlung zeigte die Patientin eine verbesserte Leistungsfähigkeit. Im Belastungs-EKG konnte sie sich von 50 Watt auf 75 Watt steigern und ihre Gehstrecke verbesserte sich von 425 m auf 534 m. Der Gefäßdoppler und die transthorakale Echokardiographie lieferten einen stabilen Befund.
Nach Entlassung aus der ambulanten Rehabilitationseinrichtung erfolgte nach ca. 3 Monaten eine Vorstellung in der diabetologischen Praxis. Da der HbA1c-Wert bei 6,6 % lag, wurde mit einer Metformin-Therapie begonnen. In den angiologischen Kontrollen nach 3 und 6 Monaten zeigte sich ein stabiler Befund ohne weiteren Interventionsbedarf. Das Clopidogrel wurde nach 3 Monaten abgesetzt. Die Patientin ist weiterhin rauchfrei und kommt im Alltag ohne funktionelle Einschränkungen zu Recht. Die Blutdruckwerte und Cholesterinwerte werden regelmäßig kontrolliert und zeigten sich bislang stabil. Die nächste diabetologische Kontrolle steht aktuell an.
Dieser Fallbericht zeigt eindrücklich, dass bei einem erhöhten kardiovaskulären Risikoprofil und bestehendem Nikotinkonsum auch bei nicht ganz klassischen Beschwerden an eine periphere arterielle Verschlusskrankheit gedacht werden sollte. Auch wenn Männer viermal häufiger von einer pAVK betroffen sind als Frauen, sollte die Diagnose bei Frauen nicht aus den Augen verloren werden.
Zudem waren in diesem Fall einige Stationen notwendig, um das kardiovaskuläre Risikoprofil vollständig zu erheben und optimal einzustellen. Insbesondere der Typ-2-Diabetes wurde in unserem Fallbericht relativ spät diagnostiziert. Dies wäre für die Diagnosefindung der pAVK nicht unrelevant gewesen, denn Diabetiker haben ein 6-fach erhöhtes Risiko für eine pAVK im Vergleich zu Nicht-Diabetikern.
Die Durchführung einer Anschlussheilbehandlung war wichtig und sinnvoll und wäre im optimalsten Fall seitens des Krankenhauses/Sozialdienstes initiiert worden. Indikationen für eine angiologischen Rehabilitation sind:
Es konnte gezeigt werden, dass die Leistungsfähigkeit nach der stattgehabten Intervention im Rahmen der Anschlussheilbehandlung gesteigert werden konnte und so die Patientin ohne funktionelle Beschwerden in ihren Alltag zurückkehren konnte. Auch die Einleitung einer Lebensstiländerung konnte im Rahmen der Anschlussheilbehandlung initiiert und begleitet werden.
Die in den meisten Fällen für eine pAVK ursächliche Arteriosklerose ist nicht heilbar. Daher kommt der prophylaktischen Minimierung von Risikofaktoren – insbesondere eines vollständigen Nikotinverzichts – eine wesentliche Bedeutung zu. Dies konnte in diesem Fallbeispiel zumindest im Kurzverlauf erreicht werden. Auch in Zukunft sollten neben den hausärztlichen Verlaufskontrollen die regelmäßigen angiologischen und diabetologischen Kontrollen fortgesetzt werden um eventuelle Befundverschlechterungen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig behandeln zu können.
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