Nach dem Apo-Protest ist vor dem Apo-Protest. Was hat die ABDA nun vor und warum scheint Lauterbach das immer noch alles egal zu sein? Lest hier mehr.
Gut 90 % aller Apotheken vor Ort hatten geschlossen, viele Teams haben sogar auf der Straße ihrem Unmut über die Gesundheitspolitik laut Luft gemacht. Wurden sie auch gehört? Und was sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eigentlich dazu? Die Verabschiedung des Engpassgesetzes am vergangenen Freitag (23. Juni 2023) zeigt deutlich: Zumindest die Bundestagsabgeordneten haben die Apotheken gehört, der Bundesgesundheitsminister hingegen bleibt unbeeindruckt.
Das Fazit von Gabriele Overwiening, Präsidentin der ABDA, zum neuen ALBVVG (Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln) fällt durchwachsen aus. Aber zumindest haben es die Apothekeninhaber nicht zuletzt durch ihren lautstarken Protest erreicht, dass die Abgeordneten die Apotheken mehrfach während der Lesungen erwähnten – die aufreibende Arbeit, den vergleichsweise geringen Lohn dafür und die hohen bürokratischen Hürden im Alltag.
Auch der Idee von Gesundheitskiosken wurde teilweise vehement widersprochen. Diana Stöcker (CDU) betonte, dass die Apotheken „höchste Anstrengungen“ leisteten und der Zusatzaufwand bei Engpässen sowie das Fixum dringend erhöht werden müssen, „um den Apotheken eine Zukunft zu geben“. Mit den Apotheken gäbe es zudem bereits ein flächendeckendes Netz niederschwelliger Anlaufstellen als bessere Alternative zu Gesundheitskiosken. An die Ampelkoalition gerichtet forderte sie klar: „Streichen Sie die Idee der Gesundheitskioske und stärken Sie die Apotheken vor Ort.“
Overwiening betonte in einem Videostatement nach der 2. und 3. Lesung des ALBVVG zudem, dass es vor allem den Parlamentariern zu verdanken sei, dass die Apotheken „in den Bereichen Präqualifizierung und Nullretaxation nun deutliche Entbürokratisierung und Erleichterung erhalten.“ Auch, dass die Austauschfreiheiten, welche während der Pandemie eingeführt wurden, immerhin teilweise verstetigt werden, sei eine gute Entscheidung. Die Streichung der Nullretaxationen bei fünf verschiedenen Einzelkonstellationen sei hingegen nicht die beste Wahl gewesen. Wie am Protesttag gefordert, hätte sie sich eine komplette Rücknahme der Nullretaxationen bei rein formellen Fehlern, wie auch die Möglichkeit, die Darreichungsformen auszutauschen, gewünscht. Dafür wird die ABDA also vermutlich weiterhin kämpfen.
Aus Overwienings Sicht hat die Bundesregierung nicht verstanden, dass die Apotheken vor Ort unterstützt werden müssen, was sie als „extrem bitter“ bezeichnete. Die nun beschlossenen 50 Cent für das Engpassmanagement seien eine „Beleidigung und Missachtung unserer Arbeit“. Irritation und große Sorge hätte Minister Lauterbach mit seiner Idee der Gesundheitskioske erzeugt, welche die Versicherungsgemeinschaft einen dreistelligen Millionenbetrag kosten würden, während er nicht bereit war, nach über 11 Jahren des Stillstandes das Fixhonorar anzuheben. Sie kündigte daher an, dass auch während der Sommerpause mit gezielten Aktionen weitegekämpft und im Herbst eine neue Protestwelle ausgerollt werde.
Es ist also noch nicht vorbei und die neu entdeckte Gemeinschaft und Solidarität der Apotheker vor Ort geht in eine neue Runde. Sieht man sich in den sozialen Netzwerken um, merkt man schnell, dass die Inhaber hier durchaus mitziehen – doch beeindruckt das Lauterbach? Er hatte am Protesttag selbst aus seinem Zimmer im Ministerium lediglich Fotos der Demo gemacht und einen Tweet dazu gepostet.
Und das ist es auch, was man – in einem anderen Zusammenhang, aber es lässt dennoch tief blicken – von ihm als Aussage bei Markus Lanz zuletzt hören konnte: „Also, wenn da vorm Haus demonstriert wird oder gepfiffen wird oder was auch immer – das kann mir komplett egal sein. Wenn es der Sache wegen notwendig ist, zieh ich das durch ohne Ende. Das muss so sein.“
Er wird sich von den protestierenden Apothekern auf diese Art und Weise nicht beeindrucken lassen. Es ist tatsächlich fraglich, was genau ihn hier zum Nachdenken bringen wird. Man kann nur hoffen, dass der ABDA oder anderen Verbänden, welche die Inhaber vertreten, noch zündende Ideen kommen bis zum Herbst. Es scheint so, als ob der Minister bei Krankenhäusern und Apotheken die gleiche Masche durchziehen will: Nur noch die Großen überleben, die Kleinen auf dem Land lässt man sterben und ersetzt sie durch Gesundheitskioske, respektive Level 1-I-Kliniken.
Die Lebenswirklichkeit der vielen schlecht mobilen Menschen, die auf dem Land leben, liegt weder ihm, noch seinen wissenschaftlichen Beratern am Herzen. Was bei der Krankenhausreform vielleicht im ein oder anderen Fall nicht ganz falsch zu sein scheint, passt nicht zur Versorgungssituation der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Wo die Apotheken fehlen, haben ganz besonders die Menschen Probleme, die sich nicht einfach mal so ohne weiteres ins Auto schwingen und 20–30 Kilometer zur nächsten fahren können. Gerade dort, wo auch die öffentliche Verkehrssituation nicht ausreichend ausgebaut ist.
Als Maßnahme gegen die Personalnot dürfen Apotheken in Nordrhein-Westfalen seit der vergangenen Woche die bislang vorgegebenen verpflichtenden Öffnungszeiten von 9 bis 18 Uhr unterschreiten. Zudem können sie ab jetzt auch samstags geschlossen bleiben. Verpflichtend muss eine Apotheke nur noch an vier Wochentagen zwischen 8 und 20 Uhr insgesamt sechs Stunden geöffnet sein und an einem weiteren Tag drei Stunden. Diese Regelung ist die Konsequenz der Personalnot, die in NRW bei einer Befragung 97 % der Apotheken beklagen. Und das liegt nicht an dem vielen Geld, das man in dieser Branche verdient.
Lauterbachs Tweet, den er mit einem Foto der Apotheker-Demo absetzte, zeugt jedoch davon, dass er entweder noch immer nicht verstanden hat, worum es hier wirklich geht, oder dass er die Branche in der Öffentlichkeit in Misskredit bringen möchte.
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Skandiert wurde nämlich: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die ZUKUNFT klaut“. Die hat zwar natürlich auch etwas mit dem fehlenden Geld zu tun, aber eben nicht ausschließlich. Wer nicht auskömmlich bezahlt wird, der wechselt den Job. Das wissen auch die Krankenkassen, deren Vorstände sich im vergangenen Jahr – begleitet von einem negativen Echo der Presse, was diese aber wohl auch nicht weiter beeindruckt hat – trotz des Kassendefizites eine saftige Gehaltserhöhung gegönnt hatten.
Das ist es, was die Apothekenverbände besser in die Öffentlichkeit bringen müssen – dass es nicht darum geht, sich, wie so einige polemisch bemerkten, „einen zweiten Porsche“ zu leisten. Sondern vielleicht einen zweiten Apotheker, der auch einmal die Urlaubszeiten abdecken kann. Oder eine zweite PTA, die dafür sorgt, dass die Arbeitsbelastung im Team erträglicher wird. So lange das den Gesundheitsminister aber nicht tangiert, weil er ohnehin die Apothekenzahl wie auch die Zahl der kleinen Krankenhäuser auf Kosten der Landbevölkerung abbauen will, so lange wird sich an der aktuellen Politik vermutlich wenig ändern.
Bildquelle: Alexandra Mirgheș, Unsplash