Ich sehe regelmäßig in der Praxis, was ein hoher Zuckerkonsum anrichten kann. Klar, es ist schwer, ganz auf Zucker zu verzichten. Deshalb habe ich in meiner Familie ein Ritual eingeführt – das empfehle ich auch meinen Patienten.
Wisst ihr, welcher Tag heute ist? Heute ist Tag 6 meiner zuckerfreien Woche. Bis einschließlich morgen habe ich meinen Kindern und mir eine Woche ohne Süßigkeiten und ohne Haushaltszucker aufgebrummt. Das klingt ja jetzt schon fast nach Bestrafung, aber meine Jungs kennen das Spielchen schon. Wir machen es seit fast zwei Jahren recht regelmäßig und auch ohne Zwang. Ich frage sie immer, wann wir das mal wieder machen wollen – und sie wollen es ganz unbedingt. Haha. Aber Spaß beiseite – sie machen es freiwillig und sie machen es toll.
Warum ich das mache? Weil ich überzeugt bin, dass Zucker Ähnlichkeiten mit einer Droge besitzt und langfristig für unsere Gesundheit sehr schädlich ist.
Wir kennen es doch alle: Abends sitzen wir vor dem Fernseher und sind regelrecht darauf programmiert, die Süßigkeitenschublade zu öffnen und sich den zuckrigen Köstlichkeiten hinzugeben und im Dopaminrausch zu versinken. Denn genau das passiert – eben wie bei einer „echten“ Droge auch. Unser Gehirn schüttet Dopamin aus und katapultiert uns damit in den Belohnungshimmel. Wir essen Schokolade und fühlen uns, als hätten wir heroische Taten begangen. Diese Gefühl wollen wir dann immer wieder erleben. Das starke Verlangen, die mangelnde Selbstkontrolle und der Bedarf nach immer größeren Mengen, das alles sind Zeichen einer Sucht.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und der Zuckerindustrie die Schuld gibt. Zucker in der Bärchenwurst, Zucker in Babybrei (wenn Babybrei für Babys ist, warum ist Bärchenwurst dann eigentlich nicht Wurst für Bärchen?), Zucker in Joghurt „für Kinder“.
Kinder werden schon früh auf den süßen Geschmack getrimmt und sollen in gewisser Weise abhängig gemacht werden, um den Verkauf anzukurbeln. Zucker ist billig und vielseitig in Lebensmitteln einsetzbar. Auch psychologische Tricks werden eingesetzt, um die Ware an das Kind zu bringen, beispielsweise an der Supermarktkasse. Eltern möchten die lieben Kleinen zwischen den dort aufgebauten Köstlichkeiten nicht vor anderen Menschen maßregeln, also landet der Schokoriegel auf dem Kassenband und rasch in den kindlichen Eingeweiden. Dahinter steckt also System: mehr Zucker, mehr Verkauf.
Was macht den Zucker aber so ungesund für uns? Wir brauchen ihn doch, oder? Unser Körper ist auf Glucose als Energielieferanten angewiesen. Glucose ist Traubenzucker und damit ein einzelner Zuckerbaustein, der besonders schnell abgebaut und verwertet werden kann. Aber ein gesunder Körper ist nicht auf die Zufuhr von außen angewiesen, sondern kann ihn praktisch aus fast allen zugeführten Nahrungsmitteln und unseren Reserven selbst bauen. Insbesondere die Zufuhr von Süßigkeiten und Zucker ist nicht notwenig – sondern im Gegenteil sehr schädlich. Gesüßte Getränke sind meiner Ansicht nach Gift, leere Kalorien.
Denn mit gesüßten Getränken und ständigem Zuckerkonsum treiben wir unseren Blutzuckerspiegel in die Höhe, aktivieren die Insulinausschüttung (um den Blutzucker abzubauen) und am Ende eines immer hohen Konsums steht die Insulinresistenz – die ausgeschüttete Menge an Insulin wirkt nicht mehr, sodass die Bauchspeicheldrüse noch mehr ausschütten muss. In der Folge bleibt der Blutzuckerspiegel dauerhaft erhöht. Eine gestörte Glucosetoleranz und im Laufe der Zeit ein Diabetes mellitus können die Folge sein. Wer adipös ist, hat durch Gewichtsreduktion und Zuckerverzicht gute Chancen, diese Entwicklung rückgängig zu machen oder wenigstens zu verlangsamen.
Ich erinnere mich an einen Patienten in meinem Alter (also beinahe noch jung), der mit deutlichem Übergewicht und einem stark erhöhten Langzeitblutzuckerwert zu mir kam. Aufgefallen war der nun bestehende Typ-2-Diabetes dadurch, dass er immer Durst hatte, literweise trank (leider Süßgetränke) und ständig zur Toilette gehen musste. Ich schickte ihn postwendend zum Diabetologen und er musste eine Zeit lang sogar Insulin spritzen, weil seine Werte so hoch waren. Durch Umstellung der Ernährung und eine Gewichtsreduktion konnte darauf schließlich wieder verzichtet werden und er ist nun bei einer medikamentösen Therapie in Tablettenform angelangt. Schade ist, dass dies alles hätte verhindert werden können.
Ein kleiner Einschub an dieser Stelle: Menschen, die an Typ-1-Diabetes leiden, haben einen absoluten Insulinmangel, also gar kein Insulin. Dies wird nicht durch falsche Ernährung verursacht, sondern durch eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse und kann auch nicht ohne ärztliche Begleitung und ohne Insulingaben behandelt werden.
Nun aber zurück zur zuckerfreien Ernährung: Ist Zucker denn immer gleich Zucker?
Auf vielen Produkten steht inzwischen „zuckerfrei“ oder „frei von zugesetztem Zucker“ drauf. Da lohnt sich immer ein Blick auf die Rückseite der Verpackung: Oft ist den Lebensmitteln Maltodextrin, Dextrose, Fructose, Lactose oder eine andere Zuckerart zugesetzt. Lasst euch also nicht verhohnepipeln und schaut nach, welche versteckten Zucker in einem Lebensmittel enthalten sind. Auch ach so natürlicher Agavendicksaft und Honig sind keine gesunden Alternativen, da sie hauptsächlich aus Fruchtzucker bestehen und damit insbesondere die Leber belasten und sie verfettet, wenn zu viel davon aufgenommen wird.
Die Umstellung zur zuckerfreien Ernährung kann also ganz schön anstrengend werden, aber sie lohnt sich sehr. Auf der Waage merkt man es übrigens auch und langfristig tut man seinem Körper etwas Gutes. Denn ein dauerhaft erhöhter Zuckerspiegel ist Risikofaktor für allerlei Erkrankungen. Und ein Diabetes mellitus kostet Lebensjahre, schädigt die Augen, die Nieren und die Gefäße.
Wenn der Hunger auf Süßes nun zu groß wird, gibt es ein paar kleine Tricks:
Der Belohnungseffekt nach einer Woche zuckerfrei ist übrigens umso höher, wenn man dann ein Stück saftigen Käsekuchen oder ein fruchtiges Spaghettieis isst. Es schmeckt dann wirklich umso besser.
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