Auch in der Schweiz mangelt es an Medikamenten. Was ich in meiner Apotheke tue, damit der Kunde sein Medikament doch noch bekommt, lest ihr hier.
952 Lieferengpässe von Arzneimitteln bestehen in der Schweiz – 8 % aller kassenpflichtigen Präparate. Darüber hinaus fehlen 152 Präparate von allen Herstellern. 11 davon sind auf der BWL Liste, 62 auf der WHO List of essential medicines. Eine Auflistung für die Schweiz findet sich hier.
Inzwischen suchen wir täglich mehrmals Ersatz für notwenige, verschriebene Medikamente. Ein stetig steigender Mehraufwand. In der aktuellen Situation versucht das BAG uns zumindest etwas die Arbeit zu erleichtern. Es geht ja nicht „nur“ darum, passenden Ersatz zu finden und zu bestellen – der Patient (der ja nichts dafür kann und es benötigt) sollte nicht noch dafür bezahlen müssen. Die Krankenkasse sollte das übernehmen. Dafür hat das BAG eine Übergangslösung präsentiert.
Die Abgabe in der Schweiz durch Swissmedic zugelassener und in der Spezialitätenliste (SL) aufgeführter Arzneimittel ist zwingend. Ausschließlich im Fall der Nichterhältlichkeit eines bestimmten Arzneimittels resp. einer bestimmten Packung ist das folgende stufenweise Vorgehen zu wählen:
Das verschriebene Medikament ist nicht lieferbar. Hier startet also mein Hindernislauf in der Apotheke.
Bei uns in der Apotheke versuche ich erst mal anders als über unseren Hauptgrossisten an das Medikament zu kommen: Wir haben inzwischen einen zweiten Grossisten, gelegentlich bekomme ich es dort. Häufiger fehlt es allerdings da auch.
Ich versuche es von einer anderen Apotheke zu bekommen, die es eventuell noch an Lager hat. Wir haben keine Zeit, Apotheken auf gut Glück anzurufen, die es (weil es eventuell schon länger fehlt) auch nicht mehr haben, aber ich kann bei den zu unserer Kette gehörenden Apotheken reinschauen.
Keine hat es noch oder es ist nicht möglich, das Medikament zu bekommen (Kühllieferungen gehen zum Beispiel nicht), dann beginnt die Suche nach einem Ersatzprodukt. Also:
Oder eine Kombination der oberen.
Finde ich dennoch nichts, gibt es vielleicht ein alternatives Arzneimittel – also etwas, das für das gleiche Problem ist, aber einen anderen Wirkstoff enthält. Das benötigt dann aber Rücksprache mit dem Verschreiber, da das ein Wechsel in der Therapie ist und der Patient eventuell neu auf das Medikament eingestellt werden muss. Ist eine Therapiealternative in der SL aufgeführt, eine Substitution jedoch aus medizinischen Gründen nicht möglich, muss dies auf der ärztlichen Verordnung bestätigt sein.
Wenn jetzt nichts davon möglich ist, dann darf ich ein importiertes Arzneimittel abgeben, wenn das Arzneimittel aus einem EU- oder EFTA-Land ist, wirkstoffgleich ist, gleiche Indikation hat und vergleichbare Darreichungsform und Packungsgröße.
In der Praxis sieht das so aus, dass ich versuche, das bei unserem Lieferanten in Deutschland zu bekommen. Als EU-Land können sie auch Medikamente aus anderen EU-Ländern liefern. Wenn es nur in England erhältlich ist, dann brauche ich einen anderen Lieferanten. Das übernimmt aktuell (und neu!) die Grundversicherung als Übergangslösung ohne vorgängige Kostengutsprache.
Problem: Was bei uns fehlt, ist oft auch im Ausland knapp. Der Import dauert ein paar Tage. Ich muss herausfinden, wie die Medikamente im Ausland heißen und ob sie lieferbar sind – Kühlmedikamente gehen nicht, Betäubungsmittel gehen nicht, Blutprodukte gehen nicht, viele Medizinprodukte gehen nicht.
Und dann die Dokumentation dafür! Ich dokumentiere natürlich in unserem Computersystem im Patientendossier, was ich versucht habe und weise den Lieferengpass des fehlenden Produktes mit einem Printscreen der Rückantwort des Grossisten auf die Bestellung nach. Falls ausländische Grossisten keine elektronische Meldung zur Nichtverfügbarkeit übermitteln (z. B. Rückmeldung nur per Telefon), dann geht auch eine Mitteilung per Mail. Dieser Nachweis muss der Krankenkasse nur auf deren Verlangen hin gezeigt werden können.
Der Aufwand fürs Suchen einer Alternative wird überhaupt nicht abgegolten.
Ist all das nicht möglich, bliebe noch die Herstellung einer Magistralrezeptur.Ganz neu wird das von der Krankenkasse auch übernommen, wenn der Wirkstoff in einem SL-Arzneimittel enthalten ist, aber nicht selbst in der ALT (Arzneimittel-liste mit Tarif) aufgeführt ist.
Importierte Arzneimittel dürfen nicht verwendet werden. Die verwendeten Hilfsstoffe müssen alle in der ALT aufgeführt sein. Es kommen die Bearbeitungs-und Gefäßtarife der ALT zur Anwendung bei der Abrechnung als Magistralrezeptur (PM SL).
Das Problem hier: Wirk- und Hilfsstoffe sind ebenfalls nur schwer zu erhalten. Ich habe zuletzt nach Suspensionsgrundlagen gesucht, wie für Ibuprofensirup oder Antibiotikasirupe. Das Zeug ist teils teuer. Die Herstellung nicht kostendeckend. Und viele Apotheken sind schlicht nicht (mehr) dafür ausgerüstet.
Wir Apotheker lernen das zwar im Studium, aber in den meisten Fällen ist das Jahre her (bei mir 20). Da es immer weniger gebraucht wurde, ging da viel verloren. Es gibt ein paar (wenige) Apotheken, die sich auf Herstellungen spezialisiert haben. Die haben dann noch die nötigen Materialien und Ausrüstung im Labor, wie Laminarflow, was für sterile Zubereitungen nötig ist. Aber wir reden hier nicht von Herstellungen im Industrieformat. Das geht in einzelnen Fällen – Großproduktion ist nicht möglich.
Übrigens: Ja, in der Schweiz werden Herstellungen durch Apotheker gemacht und nicht durch die Pharmaassistenten, respektive deren neue Berufsbezeichnung Fachfrau/mann Apotheke – die lernen das nicht einmal mehr.
Man sieht: Hürdenlaufen. Wenn ich an einer dieser Hürden scheitere, bekommt der Patient das wichtige Medikament nicht. Und wenn ich eine mühsam gefundene Alternative nicht korrekt dokumentiere, bekomme ich kein Geld für die Abgabe von der Krankenkasse – und muss das dem Patienten verrechnen. Ich bekomme kein Geld für den Mehraufwand und das braucht immer mehr Zeit dafür.
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