Tabuthemen sollte es in der Medizin eigentlich keine geben. Und doch fällt es Ärzten schwer, über gewisse Themen mit ihren Patienten zu sprechen. Kennst du’s?
„Also, bei mir in der Praxis gibt es das nicht!“ – so denken viele Ärzte über Tabuthemen. Die Realität sieht allerdings anders aus. Eine DPA-Befragung ergab beispielsweise, dass über 60 % der Befragten keine Ansprechpartner für Themen rund um Sexualität und über 30 % Probleme damit haben, in ihrem Alltag über Krankheiten und Gesundheitsthemen zu sprechen. „Hauptsächlich ist es für die Menschen schwer, über diese Themen zu reden, aus Angst vor der Reaktion anderer“, ordnet Dr. Luisa Werner diese Zahlen in ihrem Vortrag bei Med im Kornfeld 2023 ein.
„Wenn ich mit meinen Kollegen spreche, höre ich sehr oft: Tabuthemen in der Praxis? Das kenn’ ich nicht!“ erzählt Werner. „Wenn man dann aber bei den Patienten anfängt, nachzufragen, dann merkt man: junge Frau, vaginale Geburt, Inkontinenz.“ Patienten würden sich häufig schämen, diese Themen von sich aus anzusprechen. Doch auch Ärzte selbst würden viel zu selten von sich aus auf solche – oft häufigen, aber tabuisierten – Themen aufmerksam machen. Dadurch bleiben dann doch so einige Fragen auf der Strecke. Dazu gehören neben Sexualität oft auch Themen rund um die Verdauung, Depression, Suizidalität, Essstörungen, Gewalt und Inkontinenz. Aber wie kann man den Patienten dabei helfen, offen über diese relevanten Themen zu sprechen?
Ein großer Punkt ist dabei, den Patienten Zeit einzuräumen, um auf Fragen zu antworten. „Wenn wir eine Anamnese machen, haken wir schnell einfach alles ab. Alkohol? Check. Drogen? Check. Aber selten stellen wir wirklich die Frage: ‚Konsumieren Sie Drogen – gibt es da ein Problem bei Ihnen?‘ und lassen dann den Patienten auch tatsächlich Zeit, darauf zu antworten.“ Ärzte sollten dementsprechend mehr Rückfragen stellen und Fragen vollständig ausformulieren. Das kann im stressigen Praxisalltag natürlich schwerfallen – vor allem, wenn man nur ein paar Minuten Zeit pro Patient hat.
Aber oft bringen gut gestellte Fragen und explizites Ansprechen auf Tabuthemen im Nachhinein einen echten Zeitgewinn. Denn wenn Patienten offen sagen können, was sie bedrückt und was nicht stimmt, können Anamnesen und Diagnosen auch zuverlässiger und schneller gestellt werden. Das sieht auch Werner so, denn „wie sollen wir Menschen Hilfe anbieten, wenn wir nicht wissen, dass es überhaupt ein Problem gibt?“ Patienten sollten offen und direkt kommunizieren können, was ihr Problem ist – ohne Bedenken haben zu müssen, dass sie nicht ernst genommen werden. Beispielsweise sollte man seine Patienten dazu animieren, direkt zu sagen, dass sie Probleme mit der Verdauung hätten – anstatt einfach nur zu sagen, dass sie sich nicht gut fühlen. „Es braucht aber Mut, solche Tabuthemen anzusprechen“, konkludiert Werner.
Dabei ist nicht nur der Austausch zwischen Patienten und ihren Ärzten essenziell, sondern auch der Austausch unter Kollegen und Experten. Denn wenn Ärzte sich gegenseitig auf eventuell in der Praxis zu selten thematisierte Tabuthemen aufmerksam machen, könnten Hemmschwellen, diese bei den eignen Patienten anzusprechen, ebenfalls sinken. So kann das Verständnis unter Ärzten wachsen, warum es so wichtig ist, diese Themen in der Praxis direkt anzusprechen.
Bildquelle: Birmingham Museums Trust, Unsplash