Die Politik darf die Verantwortung für gesunde Ernährung und Umweltfolgen durch Massentierhaltung nicht auf die Verbraucher abschieben, so eine Gruppe internationaler Experten. Lest hier mehr dazu.
Experten forden: Statt freiwilliger Maßnahmen der Nahrungsmittelindustrie, die nur geringe Erfolge zeigen, sollte die Politik die Probleme selber angehen. Maßnahmen wären geschickte Steueränderungen, Einschränkung von Werbung für ungesunde Produkte und eine größere Verfügbarkeit gesunder Nahrungsmittel sowie verbindlichen Regeln für gesundheitskritische Inhaltsstoffe.
Prof. Linus Mattauch, Institut für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht der TU Berlin, stellt klar: „Es geht hier nicht um die Bevormundung von Verbraucher*innen oder ein Verbot des Fleischessens. Was wir in einem interdisziplinären Team von 17 Forscher*innen renommierter europäischer Wissenschaftsinstitutionen zusammengetragen haben, ist der aktuelle Forschungsstand, wie wir eine Ernährungswende zum Positiven am besten hinbekommen.“
Die Verantwortung dafür könne nicht einfach den Bürgern aufgebürdet werden. „In Umfragen stimmt ein sehr großer Teil der Menschen der Forderung nach besseren Haltungsbedingungen für Nutztiere zu. Trotzdem kaufen wir nur zu einem geringen Anteil Fleisch aus guten Haltungsbedingungen. Das zeigt, dass die Hürden für eine Wende im Ernährungssystem vielschichtig und komplex sind. Und darauf sollte die europäische Politik endlich mit geeigneten Maßnahmen reagieren. Wir geben sie ihr mit unserem Report nun an die Hand.“
„Schaut man sich Studien zur Wirksamkeit von freiwilliger Kennzeichnung von Nahrungsmitteln an, also die vielen unterschiedlichen Label der europäischen Nahrungsmittelindustrie, dann stellt man fest, dass sie die Kaufentscheidung nur wenig beeinflussen“, erklärt Mattauch. Auch freiwillige Vereinbarungen zwischen Staat und Lebensmittelindustrie zur Reduktion von ungesunden Inhaltsstoffen seien wenig effektiv. So initiierte bereits 2009 die australische Regierung den „Food and Health Dialogue“, 2011 folgte die britische Regierung mit dem „Public Health Responsibility Deal“ und 2014 die Niederlande mit der „Übereinkunft zur Verbesserung der Lebensmittelzusammensetzung“. Verschiedene wissenschaftliche Evaluationen hätten nur unzureichende Effekte dieser Vereinbarungen auf die Nährwertzusammensetzung der Lebensmittel gefunden, so Mattauch. „Eine Ausnahme ist die Reduktion von Salz, weil sie nur einen geringen Einfluss auf das Kerngeschäft der Unternehmen hat.“
In manchen Ländern, wie etwa in Mexiko oder Großbritannien, habe man sehr gute Erfahrungen mit Steuern auf Zucker gemacht, schreibt die Arbeitsgruppe. „Beim Schwellenland Mexiko hat der hohe Konsum von zuckerhaltigen Limonaden und die dadurch grassierende Verbreitung von Diabetes und Adipositas das Gesundheitssystem an den Rand seiner Kapazitäten gebracht“, erklärt Mattauch. „In Großbritannien waren es einfach kluge wirtschaftliche Überlegungen, wie die Reduktion von Zuckergehalten in Lebensmitteln Einsparungen beim nationalen Gesundheitsdienst NHS ermöglichen könnte.“
Die Effekte waren verblüffend: Nach der Faustformel „20 pro 20“ führt eine Verteuerung eines stark zuckerhaltigen Produkts um 20 Prozent dazu, dass das Produkt auch zu 20 Prozent weniger nachgefragt wird. „Mit Steuern kann man also, wie der Name ja schon suggeriert, das Konsumverhalten und damit im zweiten Schritt das Verhalten der Industrie sehr gut steuern“, sagt Mattauch. Denn die geringere Nachfrage würde die Industrie unter Zugzwang stellen, die Zusammensetzung ihrer Produkte zu ändern.
Positiv erwähnt wird im Bericht der Beratungsgruppe explizit die Abgabe auf Fleisch, die in Deutschland für den Umbau von Ställen für artgerechtere Tierhaltung verwendet werden soll und im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition enthalten ist. „Die Höhe der Abgabe könnte in Deutschland 40 Cent pro Kilo betragen, das dafür notwendige Gesetz wurde aber noch nicht beschlossen“, berichtet Mattauch.
Die Effekte kämen nicht nur den Tieren zugute: Der hohe Fleischkonsum in Deutschland führt erwiesenermaßen zu Gesundheitsproblemen, vor allem bei verarbeiteten Produkten wie etwa Wurst. Zudem sind der Methanausstoß der Wiederkäuer sowie die Abholzung von Wäldern in Ländern des globalen Südens für die Produktion von Futtermitteln – auch für die Tierhaltung in Europa – relevante Treiber des Klimawandels. Die Beratungsgruppe geht von einem Anteil der Landwirtschaft von 10 Prozent am gesamten Ausstoß von Klimagasen in der EU aus. Zudem kann die Tierhaltung zu Nitrit- und Nitratbelastungen im Grundwasser führen. Eine Verteuerung von Fleisch und damit ein niedrigerer Fleischkonsum könnte diesen Problemen entgegenwirkten. „Auf der anderen Seite könnte man die Steuern auf gesunde und nachhaltige Produkte senken und somit auch sozialer Benachteiligung von Menschen mit geringem Einkommen begegnen“, erklärt Mattauch.
Die emotionalen Diskussionen auch in Wahlkämpfen über den Eingriff der Politik in die Ernährung zeigen es: Die Art und Weise, was und wie wir essen, wird stark von unserem sozialen Umfeld geprägt. Dies bestätigen auch Ergebnisse der Sozialforschung. Für Mattauch und die Beratungsgruppe kommt es neben Abgaben und Steuern sowie verbindlichen Vorgaben der Politik für die Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln auch auf eine Regelung an, wie für ungesunde Lebensmittel geworben werden darf. „In manchen EU-Ländern ist zum Beispiel schon Werbung für stark zuckerhaltige Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, verboten“, sagt Mattauch. Zudem müsse in Schulen und Kindergärten, Restaurants und Kantinen verstärkt gesundes Essen aus nachhaltigen Quellen angeboten werden.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Technischen Universität Bonn. Die Originalpublikation findet ihr hier.
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