Medikationsmanagement, Arzneimitteltherapiesicherheit oder pharmazeutische Betreuung: Heilberufler und Politiker sprechen derzeit viel über neue Strategien. Während Apotheker noch grübeln, welche Fortbildung sie benötigen, springen Internisten auf den fahrenden Zug. Sie sehen pharmazeutische Leistungen im ärztlichen Bereich.
Ältere, multimorbide Patienten erhalten oft Verordnungen diverser Fachärzte und Allgemeinmediziner. OTCs und Nahrungsergänzungsmittel kommen mit hinzu. Doch viel hilft bekanntlich nicht viel: Interaktionen oder Anwendungsfehler haben fatale Folgen. Untersuchungen zufolge lassen sich 30 Prozent aller Krankenhausbehandlungen bei Patienten über 75 auf unerwünschte Arzneimittelereignisse zurückführen. Um hier gegenzusteuern, wären Medikationspläne wichtig – heute eher die Ausnahme als die Regel.
Ein Beispiel: Kollegen des Aktionsbündnisses „Sichere Arzneimittelanwendung Rhein-Neckar-Kreis / Heidelberg“ befragten 5.340 Bürger nach entsprechenden Dokumentationen. Nur jeder zweite Patient hatte tatsächlich einen Medikationsplan. „Das wollen wir deutlich verbessern“, sagt Professor Dr. Haefeli, Ärztlicher Direktor der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie an der Universität Heidelberg. „Unser Ziel ist, durch eine breit angelegte Kampagne und gezielte Aktionen möglichst alle Arzneimittelanwenderinnen und -anwender zu motivieren, einen Medikamentenplan zu nutzen.“ Neben Kliniken ist das Gesundheitsamt Rhein-Neckar-Kreis/Heidelberg mit von der Partie. Trotz aller Euphorie für regionale Projekte fehlen bis heute flächendeckende Lösungen. Politiker sind nicht mehr bereit, länger zuzusehen. „Das Problem der unerwünschten Arzneimittelwirkungen ist ohne eine funktionierende elektronische Gesundheitskarte nicht zu lösen“, weiß Karl-Josef Laumann (CDU), Patientenbeauftragter der Bundesregierung.
Bei Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist die Botschaft längst angekommen. Anlässlich des Deutschen Apothekertags 2014 hatte er mangelnde Fortschritte bei der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) kritisiert. Vor mehr als zehn Jahren wurden mit Paragraph 291a wichtige Eckpunkte im V. Sozialgesetzbuch verankert – inklusive elektronischer Rezepte. Seither hat sich wenig getan. Deshalb macht Gröhe jetzt Nägel mit Köpfen. Er will noch in diesem Jahr ein E-Health-Gesetz auf den Weg bringen – als Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit. Zwar nennt das Bundesministerium für Gesundheit noch keine Einzelheiten. Einige Eckpunkte stehen dennoch fest. Beispielsweise sollen Patienten, die mindestens fünf Präparate anwenden, einen laienverständlichen Medikationsplan erhalten. Auf Wunsch können OTCs ebenfalls mit aufgenommen werden. Um Ärzten und Apothekern einfache Zugriffsmöglichkeiten zu geben, plant Gröhe, Daten über die eGK bereitzustellen. Für Versicherte ist dieser Service freiwillig. Auch hier bleiben Fragen offen, etwa hinsichtlich der beliebten Ärztemuster oder hinsichtlich von Privatverordnungen.
Soweit zu Planungen des Bundesministeriums für Gesundheit. Jetzt sorgen Internisten für Schlagzeilen. Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat jetzt eine spezielle Arbeitsgruppe „Arzneimitteltherapie-Management & AMTS“ eingerichtet. In der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ begründen Professor Dr. Kai Daniel Grandt und Professor Dr. Ulrich R. Fölsch ihre Planungen: Multimorbide Patienten würden von fünf oder mehr Ärzten behandelt. Studien hätten gezeigt, dass die Kommunikation zwischen Spezialisten und Hausärzten, aber auch zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor ein Problem sei. „Verlockend klingen vermeintlich einfache Rezepte wie ‚nicht mehr als fünf Tabletten‘ oder ‚Überprüfung der Arzneimitteltherapie durch den Apotheker‘; aber sind dies Erfolg versprechende Lösungsansätze?“, schreiben Grandt und Fölsch. „Da eine detaillierte Kenntnis des Verlaufes und der Beeinflussbarkeit von Erkrankungen durch Medikamente die Voraussetzung für zielführende und adäquate arzneitherapeutische Abwägungen ist, kann der Beitrag der Internisten hier nicht durch andere geleistet werden.“ Sie räumen zwar ein, Hausärzte, weitere Fachärzte und Apotheker könnten ebenfalls ihren Beitrag leisten. Dieser bestehe aber nicht darin, die Verantwortung für internistische Arzneimitteltherapien zu übernehmen, diese zu optimieren oder zu verändern.
Grandts und Fölschs Einschätzung ist nicht ohne Brisanz. Während Internisten überzeugt sind, ohne zusätzliche Schulungen Aufgaben rund um Arzneimitteltherapiesicherheit beziehungsweise Medikationsmanagement zu übernehmen, sprechen sie anderen Professionen die Qualifikation teilweise ab. Apotheker ihrerseits sind verunsichert: Welche Fortbildungen müssen sie belegen, um hier erfolgreich tätig zu werden? Offizielle Standards fehlen bis heute. In diesem Vakuum werden sich schnell selbsternannte Berater oder Kursanbieter breit machen und Leistungen für teures Geld zu Markte tragen. Selbst etablierte, kostengünstige Module der Apothekerkammern wie ATHINA („Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken“) führen zu hohen zeitlichen Belastungen. Alle 36 Monate ist eine Rezertifizierung erforderlich. Darüber scheinen sich Internisten keine Gedanken zu machen.