Eine junge Frau sieht zu, wie ihre Mutter sich nach und nach selbst verliert. Welche seltene Erkrankung hinter dieser rätselhaften Geschichte steckt, erfahrt ihr hier.
Die Studenten Julia berichtet im Podcast Die Frage, dass ihre Mutter für sie „Schritt für Schritt“ als Person langsam verschwunden sei. Nach einigen Minuten dann die Lösung des Rätsels: Ihre Mutter gilt nicht als vermisst oder ist verstorben, sondern leidet an einer seltenen und schwerwiegenden Erkrankung, der Neurosarkoidose. Obgleich ich als Ärztin mit der Erkrankung der Sarkoidose natürlich sofort etwas anfangen konnte, hatte ich bislang von dieser seltenen Form noch nichts gehört. Also der optimale Anlass für eine kleine Recherche zur Erweiterung des Horizonts.
Die Neurosarkoidose ist eine seltene Komplikation unbekannter Ursache, bei der vor allem das Nervengewebe befallen wird. Etwa 10 % aller Sarkoidose-Patienten sind betroffen, was nach Schätzungen der Deutschen Hirnstiftung etwa 2.000 Menschen entspricht. Die aseptische Meningitis zählt zur häufigsten Verlaufsform, das klinische Bild umfasst Hirnnervenausfälle und Kopfschmerzen bis hin zum hirnorganischen Psychosyndrom. Und spätestens jetzt wird klar, warum Julias Mutter ihrer Rolle mit der Zeit nicht mehr gerecht werden konnte.
Bis es zur finalen Diagnose kommt, ist es auch für die Betroffenen dieser seltenen Erkrankung ein langer und weiter Weg. Die ursächliche granulomatöse und multisystemische Entzündung, wie man sie ebenfalls von der Grunderkrankung Sarkoidose kennt, führt erst mit der Zeit zu einer Störung der Liquorzirkulation und später dann zum Hydrocephalus. Neben der klassischen neurologischen Untersuchung kommen auf technischer Ebene vor allem Röntgenuntersuchungen und die Magnetresonanztomographie zur Identifikation pathologischer Veränderungen der Meningen zum Einsatz.
Obgleich ein Normalbefund nach Liquorpunktion die Erkrankung nicht komplett ausschließen kann, sind bei positiver Diagnose vor allem eine Erhöhung des CD4/CD8-Quotienten und des Gesamtproteins zu erwarten. Konnten dann die wichtigsten Differentialdiagnosen Neurotuberkulose, Neurosyphilis und Brucellose zusätzlich ausgeschlossen werden, haben die Betroffenen und ihre Angehörigen die traurige Gewissheit.
Wie bei vielen neurologischen Erkrankungen mit Autoimmunreaktion ohne bakterielle oder virale Ursache kommen zur Therapie der Neurosarkoidose Kortikosteroide in unterschiedlichen Dosierungen in Anpassung an den Schweregrad zum Einsatz. Darüber hinaus konnten auch mit klassischen Rheumamedikamenten wie Methotrexat oder Immunsuppressiva wie Cyclosporin und Azathioprin erste Erfolge erzielt werden. Bei pseudotumorösen Formen mit Masseeffekten im Gehirn und Rückenmark sollten zudem auch die Neurochirurgen mit ins Boot geholt werden. Und wenn all dies nicht weiterhilft oder Kontraindikationen vorliegen, kann schließlich ein Behandlungsversuch mit Radiotherapie gestartet werden.
Die Optionen für Patienten mit Neurosarkoidose könnten also mit Sicherheit noch deutlich optimiert werden. Wie bei allen seltenen Erkrankungen gibt es immer noch viele Fragen über die Pathogenese und die Auswirkungen für betroffene Familien. Da diese Krankheit aber auch in den Medien immer mehr in den Fokus rückt, bleibt die Hoffnung, dass Menschen wie Julias Mutter in Zukunft mit einer schnelleren Diagnose und einer wirksameren Therapie nachhaltig geholfen werden kann.
Quellen
Hebel, R., et al. Neurosarkoidose: Überblick über die neuesten Fortschritte. Übersetzung des Originalartikels: Overview of Neurosarcoidosis: recent advances in J Neurol (2015) 262: 258–267.
Die Frage. Meine Mutter ist nicht mehr für mich da: Liebe ich sie trotzdem? Podcast, 25.05.2023.
Bildquelle: Dimitar Donovski, unsplash