Gesichtsmasken mit Heilerde sind vor allem bei Menschen mit Hautproblemen beliebt. Das Naturprodukt soll aber auch bei nässenden Wunden zum Einsatz kommen können. Wie gefährlich das werden kann, lest ihr hier.
Sie ist in Reformhäusern, Drogerien und Apotheken zu finden, laut Packungsangabe wirksam bei Pickeln, Verdauungsproblemen und Hautwunden: Die Rede ist von Heilerde. Aber was ist das überhaupt genau – und ist sie wirklich so vielseitig einsetzbar, wie die Hersteller es versprechen?
Der Begriff Heilerde bezeichnet besonders feine Löss-, Lehm-, Ton- oder Moorerden, die für eine kosmetische oder medizinische Anwendung aufbereitet und abgefüllt werden. Löss besteht hauptsächlich aus Quarzstaub, kann aber auch Spurenelemente enthalten. Einer der im Handel präsentesten deutschen Hersteller ist die Heilerde-Gesellschaft Luvos. Sie bietet Produkte auf Heilerde-Basis zur inneren und äußeren Anwendung an. Das Unternehmen verkauft neben Löss in vier verschiedenen Feinheitsgraden in Kapsel- und Pulverform auch kosmetische Produkte wie Hautmasken, Dusch- oder Körperlotionen. Zwei Luvos-Heilerde-Produkte sind in Deutschland als traditionelle Arzneimittel zugelassenen, mit den Indikationen Durchfall, Sodbrennen und säurebedingter Magenschmerz; andere Zubereitungen des Herstellers werden als Medizinprodukte vermarktet.
Fundierte wissenschaftliche Belege für all diese Wirkungen sucht man in Datenbanken wie Pubmed aber vergeblich. Vor acht Jahren hatte das Magazin Gute Pillen – schlechte Pillen, in dem Ärzte Gesundheitsthemen kritisch aufbereiten, zu Heilerden recherchiert und fand zur medizinischen Anwendung von Heilerde keine seriösen wissenschaftlichen Studien. Bei den meisten Studien handele es sich lediglich um Anwendungsbeobachtungen oder Befragungen, die durch Titel wie „Prospektive Fernstudie“ einen seriösen Anstrich bekämen. Finanziert wurden diese meist vom Hersteller Luvos, in großen Teilen wurden sie von der Abteilung für Naturheilkunde an der Berliner Charité betreut.
Neben den obengenannten Indikationen, die den Verdauungstrakt betreffen, soll Heilerde auch gegen zahlreiche andere Beschwerden und Symptome helfen – innerlich etwa bei Histamin-Intoleranz oder Reizdarm, äußerlich angewendet bei Akne, Ausschlag, Neurodermitis, Verbrennungen und sogar Wunden. Praktisch für den Hersteller: Für eine Zulassung als traditionelles Arzneimittel sind keine klinischen Studien notwendig. Der Inhaber muss nur nachweisen, dass das Mittel seit mindestens 30 Jahren traditionell angewendet wird, es bei der empfohlenen Anwendung sicher ist und pharmazeutische Qualität aufweist.
„Beim Thema Heilerde scheiden sich wieder einmal die Geister“, erzählt uns eine PTA auf Anfrage. „Speziell bei Kunden, die Naturheilmittel verwenden, ist sie beliebt, hier besonders Zeolith, das angeblich so gut wie alles heilen kann, wirksam gegen Viren sein soll und Schwermetalle ‚ausleiten‘ können soll – und das, wo es doch so viel Aluminium enthält.“ In ihrer Apotheke würden sie gelegentlich Heilerde zur äußeren Anwendung bei sehr fettiger Haut als Maske empfehlen und zumindest nicht abraten, wenn Kunden darauf schwören, dass ihnen die Kapseln bei der Verdauung gegen Reizdarm helfen. „Ich sage aber immer dazu, dass sie innerlich niemals mit Medikamenten gemeinsam eingenommen werden darf.“
Auch Hautärztin Dr. Alice Martin sieht die Anwendung von Heilerde kritisch, wie sie im Gespräch mit DocCheck erklärt: „Wir sehen Heilerde vermehrt in der Praxis als Gesichtsmaske angewendet. Hier sind wir zurückhaltend in der Empfehlung bei bestehenden Hauterkrankungen wie Akne oder Rosazea, da häufig mit einer Verschlechterung gerechnet werden kann. Lediglich im Sinne einer Wellnessbehandlung können diese Behandlungen einen ‚neutralen‘ Effekt für die Haut haben.“
Auf seiner Webseite gibt der Hersteller Luvos für die Indikation Wunden an: „Luvos-Heilerde 2 hautfein kann die Behandlung von Wunden und Entzündungen natürlich unterstützen. Die Heilerde bindet Zellgifte, Bakterien und Zersetzungsprodukte und kann natürlich den Wundheilungsprozess fördern. Die Wundreinigung erstreckt sich durch den Saugeffekt auch auf die darunterliegenden Bereiche. […] Bei nässenden, blutenden oder Sekret fördernden Wunden wird trockenes Heilerdepulver aufgepudert. Durch die große Oberfläche der Heilerde wird die Blutung rasch gestillt und Sekrete werden aufgesaugt. Nässende Wunden trocknen leichter ab, die Wundheilung wird gefördert. Keine Angst vor ‚Erde‘ in der Wunde: Die feine Heilerde bietet Erregern keinen Nährboden.“
Auch in einem 2019 veröffentlichten Artikel in dem vom Thieme-Verlag herausgegebenen Magazin Ernährung & Medizin schreibt der Mediziner Prof. Bernhard Uehleke, selbst zeitweise Forschungskoordinator der Abteilung Naturheilverfahren an der Freien Universität bzw. Charité in Berlin, unter dem Punkt „Anwendung bei Entzündungen: Heilerde wird direkt auf Wunden und entzündete Stellen als salbenartige Paste aufgetragen. Hierzu gehören u. a. Verbrennungen, Sonnenbrand, Insektenstiche, oberflächliche Venenentzündungen (z. B. Krampfadern) und Entzündungen der Lymphgefäße. Auf nässende Wunden bzw. Ulzera wird direkt das Pulver aufgestreut – es bildet sich zusammen mit den Wundsekreten eine Schutzschicht, unter der die Haut heilen kann.“ Immerhin – am Ende des Artikels gibt der Autor als Interessenkonflikt an, dass er unter anderem die Heilerde-Gesellschaft Luvos berät.
Wie sieht es aber aus, wenn Patienten den Angaben des Herstellers vertrauen und Heilerde bei genau diesen Beschwerden, also nässenden Wunden, anwenden? Ein aktuell von MedWatch recherchierter Fall zeigt, dass das ganz schön gefährlich werden kann. Die Autoren schildern den Fall der Seniorin Margit P., die – statt zum Arzt zu gehen – dem Tipp einer Bekannten folgte und Heilerde auf einer kleinen Hautwunde am Fuß anwendete. Am Ende lag sie mit einer schweren, eitrigen Infektion des Fußes im Krankenhaus, erhielt ein Antibiotikum und mehrere Hauttransplantate. Nach dem Klinikaufenthalt brauchte sie lange Unterstützung eines Pflegedienstes und konnte sich nur noch mit einem Rollator fortbewegen.
In dem Artikel kommt Fachapotheker Werner Sellmer zu Wort: „Derartige Medizinprodukte haben in einer Wunde überhaupt nichts zu suchen“, sagt er. Kern des Problems sei, wie bei anderen evidenzfernen Behandlungskonzepten, dass Betroffene diese oft alternativ zu wirksamen Therapien anwenden würden. Das Hamburger Wundzentrum, bei dem Sellmer Vorstandsmitglied ist, listet Heilerde inzwischen in einer Negativliste.
Auch Hautärztin Martin rät bei diesen Krankheitsbildern klar von Heilerde ab: „Aus unserer praktischen Erfahrung empfehlen wir keine Heilerde oder alternativen Drogerieprodukte bei nässenden Wunden und insbesondere Körperstellen, die teils mit einem erhöhten Risiko für Infektionen und Ulzerationen einhergehen.“ Die angefragte PTA geht noch einen Schritt weiter: „Eine Anwendung von solchem unsterilen Material auf offenen Wunden halte ich persönlich für Wahnsinn und wundere mich, dass da noch keine Behörde regulatorisch eingegriffen hat, um das zu verbieten. Das grenzt an Körperverletzung.“
Die Angaben auf Packungen und Herstellerseiten im Netz bleiben eine Gefahr für Menschen, die Heilerde ohne Rücksprache mit medizinischem Fachpersonal anwenden. Hersteller Luvos registrierte im Februar 2022 fünf randomisierte, placebokontrollierte, doppelblinde klinische Studien zur klinischen Leistung und Sicherheit seiner Heilerde für die Indikationen Reizdarm, Hypercholesterinämie, Histamin-Intoleranz, Clostridioides-difficile-Infektionen sowie zur Modulation des zellulären oxidativen Stresses bei Rauchern. Die Einträge wurden allerdings seitdem nicht aktualisiert. Auf Nachfrage von DocCheck sagte eine Sprecherin des Unternehmens, dass sich die Studien als Folge von Abstimmungen mit den zuständigen regulatorischen Instanzen verzögert hätten und dass teilweise neue Studienzentren gefunden werden müssten. Weitere Details zu Startterminen oder geplanten Veröffentlichungszeitpunkten wurden nicht genannt. Ob die Ergebnisse am Ende überzeugen, bleibt abzuwarten.
Quellen:
J. Kleinhenz et al. (2021) Luminale Histaminbindung durch Heilerde - Klinische Effekte und in vitro Daten zur Histaminbindung als potentieller Therapieansatz bei Histamin-vermitteltem Reizdarm, Zeitschrift für Gastroenterologie 2021; 59 (08).
A. Madisch et al. (2020) Wirksamkeit der Luvos-Heilerde bei dyspeptischen und reizdarmtypischen Symptomen – Ergebnisse einer prospektiven nicht-interventionellen Studie, Zeitschrift für Gastroenterologie 2020; 58 (08).
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