Es kann vorkommen, dass Insulin im nüchternen Zustand ganz normal wirkt – aber nicht nach einer Mahlzeit. Deutsche Forscher beschäftigten sich jetzt mit diesem Phänomen. Was bedeutet das für die Diabetes-Prävention?
Wissenschaftler des Berliner Instituts für Gesundheit an der Charité (BIH) haben zusammen mit Kollegen aus dem Vereinigten Königreich Hinweise darauf gefunden, wie wir den Blutzuckerspiegel nach dem Essen konstant halten. Sie analysierten die DNA von fast 55.000 Teilnehmern verschiedener Studien und identifizierten zehn Genomregionen mit genetischen Varianten, die für die Regulierung des Blutzuckerspiegels nach einer Mahlzeit verantwortlich sind. In weiteren Experimenten konnten sie zeigen, wie diese Genvarianten die Insulinresistenz in den Zellen beeinflussen. Ihre Ergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Genetics veröffentlicht werden, könnten Auswirkungen auf die Behandlung von Typ-2-Diabetes haben.
Das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, steigt mit dem Alter und dem Grad der Fettleibigkeit, aber auch aufgrund von Bewegungsmangel und genetischer Veranlagung. Unbehandelt führt Typ-2-Diabetes zu Nerven- und Blutgefäßproblemen, die zu Komplikationen an Augen und Füßen sowie zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall führen können.
Das Molekül, das bei dieser Krankheit die wichtigste Rolle spielt, ist das Insulin. Menschen, die an Typ-2-Diabetes erkrankt sind, können ihren Blutzuckerspiegel nicht richtig regulieren. Das liegt entweder daran, dass die Bauchspeicheldrüse nicht genügend Insulin produziert, wenn der Blutzuckerspiegel ansteigt, oder daran, dass die Zellen weniger gut auf Insulin ansprechen.
„Die meisten Studien zur Insulinresistenz haben nüchterne Probanden einige Stunden nach ihrer letzten Mahlzeit untersucht“, sagt Studien-Leiterin Prof. Claudia Langenberg. „Während dieser Zeit wirkt das Insulin hauptsächlich auf die Leber. Die meiste Zeit verbringen wir jedoch nicht im Fasten, sondern in der Zeit nach einer Mahlzeit, wenn Insulin auf unser Muskel- und Fettgewebe einwirkt.“ Über diesen Prozess ist noch wenig bekannt, obwohl man davon ausgeht, dass die molekularen Mechanismen, die der postprandialen Insulinresistenz zugrunde liegen, eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes spielen.
Prof. Stephen O'Rahilly, Co-Direktor des Wellcome-MRC Institute of Metabolic Science an der Universität Cambridge, der ebenfalls an der Studie beteiligt war, sagt: „Wir wissen, dass es einige Menschen mit bestimmten seltenen genetischen Störungen gibt, bei denen das Insulin im nüchternen Zustand, in dem es hauptsächlich auf die Leber wirkt, völlig normal funktioniert, aber nach einer Mahlzeit, wenn es hauptsächlich auf Muskeln und Fett wirkt, sehr schlecht. Bisher war nicht klar, ob diese Art von Problem in der breiten Bevölkerung häufiger auftritt und ob es für das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, relevant ist.“
Um diese Fragen zu klären, nutzte das internationale Team genetische Daten aus 28 Studien mit mehr als 55.000 Teilnehmern, um nach wichtigen genetischen Varianten zu suchen, die den zwei Stunden nach einem zuckerhaltigen Getränk gemessenen Insulinspiegel beeinflussen. Die Wissenschaftler identifizierten 10 neue Regionen des Genoms (Loci), die mit der Insulinresistenz nach dem zuckerhaltigen Getränk in Verbindung stehen. Acht dieser Regionen waren den Forschern bereits in früheren Studien aufgefallen, weil sie mit einem höheren Risiko für Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht wurden.
Einer dieser neu identifizierten Loci befand sich in einem Gen namens GLUT4 – ein Gen für ein Transportprotein in der Zellmembran von Fett- und Muskelzellen, das für den Transport von Blutzucker in die Zellen verantwortlich ist. Dieser Locus bewirkte, dass GLUT4 in den Muskelzellen weniger aktiv war.
Weitere Experimente befassten sich mit Fettzellen von Mäusen. Hier schalteten die Wissenschaftler einzelne Gene der zehn neuen Loci aus und beobachteten die Auswirkungen. „Wir fanden 14 verschiedene Gene, die alle eine Rolle beim Glukosetransport spielen“, berichtet Langenberg. „Sie beeinflussen die Menge des Glukosetransporters GLUT4, der sich auf der Oberfläche der Zellen befindet. Je weniger GLUT4 an der Zelloberfläche zu finden ist, desto schlechter kann die Zelle Glukose aus dem Blut aufnehmen.“
Langenberg hofft, dass diese Entdeckung neue Wege zur Prävention von Typ-2-Diabetes eröffnen wird: „Unsere Arbeit zeigt, wie die Kombination von dynamischen Stoffwechseltests bei einer großen Anzahl von Probanden mit genetischen Informationen wichtige medizinische Erkenntnisse liefern kann. Wir verstehen jetzt besser, wie der Blutzuckerspiegel nach einer Mahlzeit reguliert wird, und das eröffnet das Potenzial für gezielte Interventionen.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Berlin Institute of Health an der Charité (BIH). Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Rumman Amin, unsplash