Deutschland ist Melde-Weltmeister! 50 % aller Verdachtsmeldungen zum Post-Vac-Syndrom kommen von hier – so viele wie aus keinem anderen Land. Woran liegts?
Im Großen und Ganzen herrscht beim Thema Corona-Impfungen und vor allem bei deren Impfnebenwirkungen weltweite Einigkeit: Häufiges ist häufig und Seltenes ist eben selten. Lokalreaktionen wurden häufig gemeldet, Myokarditis und Thrombose mit Thrombozytopenie-Syndrom selten. Die Einigkeit beginnt aber deutlich zu bröckeln, wenn es um das Post-Vac-Syndrom geht. Die Meldungen zu Long- und Post-Covid-ähnlichen Symptomen nach den Corona-Impfungen beinhalten: Long-Covid-ähnliche Symptome, chronisches Fatigue-Syndrom (CFS), posturales Tachykardiesyndrom (POTS) und eben etwas schwammig definierte Post-Vac-Beschwerden. Das Interessante daran: Die Hälfte aller weltweiten Meldungen zu diesen Nebenwirkungen kommt aus Deutschland. Das geht aus einem aktuellen Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hervor.
Das PEI fasst die aktuellen Zahlen rund um die Themen Corona, Pandemie und Corona-Impfungen im Bulletin für Arzneimittelsicherheit zusammen. Der Bericht zeigt, dass in Deutschland (Stand 31.01.2023) 192.208.062 Impfungen mit den hier verfügbaren, zugelassenen COVID-19-Impfstoffen durchgeführt wurden. Dabei gab es 340.282 Meldungen über den Verdacht von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen – in 56.432 Fällen davon wurde der Verdacht einer schwerwiegenden Impfnebenwirkung gemeldet.
„Solche Verdachtsfallmeldungen sind jedoch zumeist nicht geeignet, um die Kausalität der berichteten unerwünschten Reaktion mit der Impfung oder ihre Häufigkeit festzustellen (mit Ausnahmebeispielsweise von Lokalreaktionen an der Impfstelle oder anaphylaktischen Reaktionen unmittelbar nach der Impfung)“, erläutert das PEI. Deswegen wurden für den Bericht zudem Erkenntnisse aus internationalen Studien zu Nebenwirkungen und Sicherheit der Covid-Impfungen herangezogen.
Bei den mRNA-Impfstoffen wurden Myokarditis und Perikarditis als seltene schwerwiegende Nebenwirkungen festgestellt. Besonders junge Menschen seien davon betroffen, obwohl die am häufigsten betroffenen Altersgruppen je nach Studiendesign schwankten. Die meist jungen Betroffenen erholten sich in der Regel, jedoch führten vereinzelt schwerwiegende Verläufe auch zu Todesfällen. „Spontanmeldungen aus Deutschland über den Verdacht der Nebenwirkung einer Myokarditis spiegeln insgesamt die […] Studien zu Geschlechtsverteilung, Altersgipfel und Dosis wider“, so das PEI in seinem Bericht.
Auch bei anaphylaktischen Reaktionen und Verdachtsfällen auf Thrombose ist man sich international in der Häufigkeit einig. So wurden dem PEI etwa 321 bestätigte Fälle anaphylaktischer Reaktionen sowie 263 Fälle eines VITT/TTS nach Vaxzevria® (davon 96 Fälle mit Nachweis von Anti-PF4-Antikörpern) und 20 Fälle eines TTS nach Jcovden® (davon neun Fälle mit Nachweis von Anti-PF4-Antikörpern) gemeldet. Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und die idiopathische Faszialparese wurden ebenfalls als seltene Nebenwirkungen gemeldet – international sowie in Deutschland.
Bis hierhin ist man sich also auf internationaler Ebene einig, was die Nebenwirkungen der Corona-Impfungen angeht. Aber dann gibt es da noch das Post-Vac-Syndrom – und hier hat Deutschland eindeutig die Nase vorn, zumindest bei den gemeldeten Verdachtsfällen. Der Begriff „Post-Vac“ unterliegt dabei keiner medizinisch eindeutigen Definition, sondern umschreibt zumindest in Deutschland Symptome, die nach einer Corona-Impfung auftreten und mit Long- bzw. Post-Covid-Symptomen vergleichbar sind. Bis zum 31.03.2023 wurden dem PEI 1.452 Post-Vac-Verdachtsfälle gemeldet. Das klingt erst mal überschaubar. Wenn man allerdings in Relation setzt, dass weltweit nur 2.657 Fälle gemeldet wurden, sieht die Sache schon wieder anders aus. Deutschland ist demnach für über 50 % aller weltweit gemeldeten Fälle verantwortlich. Und das bei gerade mal 192 Millionen von weltweit etwa elf Milliarden verabreichten Impfdosen.
„Sehr häufig fehlen bei den o. g. Verdachtsfallmeldungen allerdings wichtige klinische Informationen, insbesondere zum Zeitpunkt des Auftretens der ersten Symptome und der Dauer bzw. ob die Symptome noch vorliegen, sodass die diagnostische Sicherheit der berichteten Gesundheitsstörungen in den meisten Fällen nicht beurteilt werden kann“, so das PEI. „Auch eine Koinzidenz zu einer COVID-19-Infektion ist oft nicht beurteilbar.“
Warum herrscht diese große Dissonanz zwischen Deutschland und dem Rest der Welt? So ganz nachvollziehen kann das auch das PEI nicht wirklich. „Auffallend ist die Imbalance der Spontanmeldungen, die offenbar überwiegend aus Deutschland berichtet wurden. Das Paul-Ehrlich-Institut wird Meldungen über langandauernde, unerwünschte Reaktionen nach COVID-19-Impfung weiter monitorieren“, kommentiert das PEI die Situation in ihrem Bericht.
Ein möglicher Grund für die übermäßigen Meldungen von Post-Vac-Verdachtsfällen könnte die einfache Zugänglichkeit zu den Meldesystemen sein. Denn jeder kann ganz einfach online Nebenwirkungen melden. Dieser niederschwellige Zugang ist wichtig und bringt viele Vorteile, aber er könnte eben auch zu einer Verfälschung der Meldungen führen. Insbesondere, wenn es um Thematiken geht, die medial ebenfalls stark bespielt und heiß diskutiert werden. Ein weiterer Grund könnte die generell impfkritische Haltung der Deutschen sein – denn trotz der gehäuften Meldungen treten laut der vom PEI untersuchten Studien in Deutschland nicht anteilig mehr Nebenwirkungen auf, als sonst wo.
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